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sábado, 18. enero 2025
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Zum 50. Todestag von Pablo Neruda

Von Tintenkriegen, Lobeshymnen und Tiraden

Pablo Neruda als Botschafter in Paris, 1971
Foto: Archiv

Der chilenische Literaturnobelpreisträger wurde als Dichter weltberühmt. Vor allem seine Liebesgedichte werden verehrt. Doch Pablo Neruda war nicht nur ein begabter Lyriker, sondern auch ein geschickter Diplomat, der die Fähigkeit besaß, knifflige Situationen gekonnt zu meistern. 

Als Francisco Franco im Jahr 1939 im spanischen Bürgerkrieg den endgültigen Sieg errang, flohen über eine halbe Million Republikaner mit ihren Familien nach Frankreich, wo sie notdürftig in Sammellagern unterkamen. Pablo Neruda, der vormals Konsul in Barcelona und in Madrid gewesen war, erfuhr in Santiago von den menschenunwürdigen Verhältnissen der Heimatlosen und arbeitete sogleich einen Plan aus, um eine größere Anzahl Emigranten nach Chile zu bringen. Staatspräsident Pedro Aguirre ernannte ihn zum Sonderkonsul für die spanische Auswanderung in Frankreich. Der Dichter reiste nach Paris, um den Umbau des alten Frachters «Winnipeg» in Angriff zu nehmen, der die Flüchtlinge befördern sollte und um die zumeist getrennten Familien wieder zu vereinen, wobei er in Santiago vom Außenminister Abraham Ortega entschieden unterstützt wurde. 

Das Meer hat Pablo Neruda inspiriert: Am unmittelbarsten ist dies an seinem Steinhaus in Isla Negra sichtbar, das neben seinen Refugien in Santiago und in Valparaíso als die meistbesuchten Sehenswürdigkeiten in Chile gelten.
Foto: Silvia Kählert

In Frankreich erhielt er unerwartet ein Telegramm des Präsidenten, mit der Anweisung, das Projekt abzubrechen. Ganz betroffen griff er zum Telefon und rief in Santiago an, um Aguirre umzustimmen. In seinen Memoiren «Confieso que he vivido» («Ich bekenne, ich habe gelebt») schildert  Neruda das umständliche Telefongespräch. Ortega war am Apparat, es krachte in der Leitung, plötzlich war der Ton weg, «wir schrien phänomenal, man musste die Sätze 20-mal wiederholen», und schließlich «glaubte ich verstanden zu haben, dass er mich bat, bis zum nächsten Tag zu warten». 

Erdbeben im Kabinett

Tags darauf trat Ortega aus Protest von seinem Amt zurück. Neruda dazu: «Das Kabinett bebte, und unser guter Präsident, der durch den Druck vorübergehend verwirrt war, hatte seine Autorität wiedererlangt.» Bald erhielt der Konsul ein weiteres Telegramm, in dem er beaufragt wurde, das Immigrationsverfahren fortzusetzen. 2.200 Exilanten konnten nun in Pauillac die «Winnipeg» besteigen, die am 4. August 1939 Anker lichtete und einen Monat später in Valparaíso einlief. An Bord waren so herausragende Persönlichkeiten aus dem Kulturbereich wie der Geschichtswissenschaftler Leopoldo Castedo, der Maler José Balmes, der Grafiker und Typograf Mauricio Amster, der Bühnenautor José Ricardo Morales und die 16-jährige Malerin Roser Bru; alles Koryphäen, die in ihrer neuen Heimat einen bemerkenswerten Beitrag leisten sollten.

Pablo Nerudas Autobiografie aus dem 1974

Im Jahr darauf übernahm Neruda das Generalkonsulat in Mexiko. 1943 zog er sich vom diplomatischen Dienst zurück. Er kehrte in seine chilenische Heimat zurück, um sich auf seine schriftstellerische und politische Tätigkeit zu konzentrieren. Er sollte jedoch noch einmal einen diplomatischen Auftrag annehmen. Im März 1971 ernannte Präsident Salvador Allende ihn zum Botschafter in Frankreich. Es heißt, Allende habe ihn dazu überreden müssen. Anderen Quellen zufolge habe Neruda den Posten mit tausend Freuden angenommen, da von Paris aus im Vergleich zu Chile die Möglichkeit, Lobbyarbeit für den Nobelpreis zu betreiben, weitaus besser war. Tatsache ist, dass der Dichter im Oktober des gleichen Jahres mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.

Am 5. Dezember 1972 wurde Pablo Neruda in einer Massenkundgebung im Nationalstadion von Santiago geehrt. Der Festakt wurde vom Fernsehen live übertragen. Die Ehrung sollte sein letzter öffentlicher Auftritt sein. Es wurde bekannt, dass Neruda an Krebs erkrankt war. Er zog sich auf sein Anwesen in Isla Negra zurück, wo er die kommenden Monate verbrachte. Im Winter 1973 musste er sich in der Deutschen Klinik in Santiago einer Operation unterziehen. Bei der Gelegenheit wurde er von Präsident Allende im Krankenhaus besucht. Sein Zustand verschlechterte sich, bis er am 23. September starb. 

Pablo Nerudas Werk ist stilistisch uneinheitlich. Mit 19 Jahren veröffentlichte er bereits sein zweites Gedichtbuch «20 poemas de amor y una canción desesperada» («20 Liebesgedichte und ein verzweifeltes Lied»), das besonders junge Leser anspricht und in einem einfachen, für jeden verständlichen Spanisch verfasst ist. In «España en el corazón» («Spanien im Herzen») beschreibt er die Greuel des Bürgerkriegs und bezieht eindeutig für die Republikaner Position. In «Canto general» («Allgemeiner Gesang») verschreibt er sich dem sowjetischen Realismus. 

Im Jahr 1967 entsteht sein einziges Theaterstück, das Musical «Fulgor y muerte de Joaquín Murieta» («Glanz und Tod von Joaquín Murieta»), mit Musik von Sergio Ortega, das mit großem Erfolg aufgeführt wurde. 

Politische Pamphlete und Tintenkriege

Weit unter seinem gewohnten Niveau ist sein opus ultimum «Incitación al Nixonicidio y alabanza de la revolución chilena» («Aufstachelung zum Nixonmord und Lob der chilenischen Revolution») (1973), ein bitteres politisches Pamphlet, das die damalige tiefe Zerrissenheit der chilenischen Gesellschaft widerspiegelt. 

Der passionierte Sammler: Der aus Parral stammende Dichter trug alles zusammen, was ihn an den Pazifik erinnerte – ob Flaschenschiffe oder Galionsfiguren in seinem Haus in Isla Negra oder die 7.000 Muscheln, die er der Universidad de Chile vermachte.
Foto: Silvia Kählert

Einer seiner wenigen Prosabände sind die bereits erwähnten Memoiren, in denen Neruda Episoden aus seinem Leben schildert, Politik macht und über seine Mitmenschen Urteile fällt. Gabriela Mistral etwa beschreibt er so: «Für mich hatte sie immer das offene Lächeln einer guten Kameradin, ein mehliges Lächeln auf ihrem Schwarzbrotgesicht.» Über Vicente Huidobro falle es ihm schwer, schlecht zu reden, versichert er, «weil er mich sein ganzes Leben lang mit einem spektakulären Tintenkrieg geehrt hat». Eduardo Frei Montalva, Nerudas Kollege im Senat, «ist ein kurioser Mann, sehr formell, weit entfernt von Allendes Spontaneität. Allerdings bricht er oft in heftiges, schrilles Gelächter aus. (…) Es ist ein plötzliches Lachen, das ein wenig Angst macht, wie das Kreischen bestimmter Nachtvögel.» 

In diesen Memoiren plaudert Neruda entspannt und munter drauflos, erzählt von fernen Ländern, die er bereist hat, stimmt Lobeshymnen auf seine Parteifreunde und Tiraden gegen seine Gegner an. Sachliche Aussagen sind ihm – namentlich im politischen Bereich – meist fremd, seine Urteile grenzen an Schwarzweißmalerei. Bei dieser Lektüre entsteht indes ein lebendiges Bild des Autors, weshalb dieses Buch für den Leser, der Pablo Neruda gut kennenlernen will, besonders empfehlenswert ist.

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