Jedes Jahr erwarten wir mit verhaltener Euphorie die Ankunft des Frühlings, der eng mit der Feier unseres Nationalfeiertags verbunden ist. Wir alle feiern voller Freude, und dennoch gibt es zu viele Chilenen, die kaum oder gar nicht wissen, worum es bei diesem Ereignis geht. Viele glauben, dass es sich um das Datum handelt, an dem unser Land von Spanien unabhängig wurde, was eigentlich erst acht Jahre später geschah. Und sie alle ignorieren, welche historisch-kulturellen Bewegungen es waren, die ganz Spanisch-Amerika dazu brachten, sich vom «monarchisch-theologischen» Joch befreien zu wollen.
Wer von der «Unabhängigkeit» im Zusammenhang mit dem 18. September in Chile spricht, dem ist nicht klar, dass angesehene Historiker das damalige Geschehen eine «Revolution» nannten – ein Wort, das zunächst Angst hervorruft. Und es könnte nicht anders sein, da Revolution, nach verschiedenen Quellen, folgendes bedeutet: «Tiefgreifende, im Allgemeinen gewalttätige Veränderungen in den politischen und sozioökonomischen Strukturen einer nationalen Gemeinschaft. Es handelt sich um einen Transformationsprozess, der bestehende Strukturen, soziale Normen, politische Institutionen oder etablierte Praktiken in verschiedenen Bereichen, unter anderem im politischen, sozialen, kulturellen, religiösen und wirtschaftlichen Bereich, erheblich verändert. Revolutionen sind in der Regel durch Ereignisse oder Bewegungen gekennzeichnet, die den Status quo in Frage stellen und eine neue Ordnung der Dinge schaffen wollen. Sie können friedlich oder gewalttätig sein, abhängig von den Umständen und den Strategien der beteiligten Akteure.»
Ein chilenischer Historiker, Diego Barros Arana, und zwei Spanier, Melchor Martínez und Mariano Torrente, nannten ihre Texte in Anspielung auf den historischen Moment, den berühmten 18. September: «Teil sechs: Erste Zeit von der chilenischen Revolution», «Historische Erinnerung an die chilenische Revolution» und «Band II der Geschichte der chilenischen Revolution». Doch zu jener Zeit von der Revolution zu sprechen, bedeutete an die Tage des Terrors während der Französischen Revolution zu erinnern, und aus diesem Grund mussten ihre Befürworter ihre Ziele verschleiern, um die Bevölkerung dafür zu motivieren.
Revolutionen erfolgen nicht spontan, sondern sind das Ergebnis langer Reifungsprozesse. Folglich ist die Gründung der Ersten Regierungsjunta von Chile am 18. September 1810 gleichzeitig der Höhepunkt eines langen Prozesses und der Beginn der oben erwähnten «chilenischen Revolution», die wesentliche Veränderungen in den verschiedensten Aspekten des Lebens und in der Gesellschaft zur Folge hatte.
Kastengesellschaft und Liberalismus
Die spanische Gesellschaft war sowohl in ihrer angestammten europäischen Enklave als auch in allen ihren über verschiedene Kontinente verteilten Kolonien eine Kastengesellschaft, die im Wesentlichen aus zwei Klassen bestand: Erstens gab es die hohe Kaste, zu der das sogenannte «Volk» gehörte, diejenigen, die an der Leitung der Gemeinschaft teilnehmen konnten und bestimmte Freiheitsgrade hatten. Es wurde in Hochadel, Niederadel, Hochbürgertum und Niederbürgertum eingeteilt. Dann gab es die niedrige Kaste oder das gemeine Volk, bestehend aus Handwerkern und Kleinhändlern, Kleinbauern, bevormundeten Bauern, Dienern und Sklaven. Sie hatten nicht das Recht, an der genannten Leitung teilzunehmen und keinerlei Freiheitsansprüche. Diese Kastengesellschaft wurde von einem absoluten Monarchen regiert, der in allen rechtlichen und moralischen Aspekten der katholischen Kirche unterstand, deren Macht damals unumstößlich war.
Im 18. Jahrhundert, dem sogenannten «Zeitalter der Aufklärung», begann sich in ganz Europa eine Bewegung auszubreiten, die größere Freiheitsrechte in der Gesellschaft einführen wollte. Es war der Liberalismus, der viele Männer faszinierte, die ihrer Zeit voraus waren und die Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, allgemeine Bildung und ein politisches System mit verfassungsrechtlichen Garantien anstrebten. Libertäre Ideen, die auch die Aufhebung der Kastengesellschaft anstrebten, wurden von diesen Liberalen, zu denen auch Freimaurer gehörten, heimlich gefördert.
Vorbereitung der entscheidenden Sitzung
Nach vielen Versuchen, die einflussreichen Männer in den Städten Santiago, La Concepción, La Serena und Valparaíso zu überzeugen, standen die Liberalen an diesem Tag, dem 18. September 1810, endlich kurz davor, ihr großes Ziel zu erreichen. Dass es ihnen gelungen ist, eine Regierungsjunta zu gründen, lag nur an dem Tagungsgrund, den sie als Vorwand angegeben haben, nämlich «um die Gebiete für König Fernando VII. zu bewahren und Schutz vor fremden Nationen zu bieten», wie es in einem Brief heißt, der vom Conde de la Conquista selbst unterzeichnet wurde. In dem Fall könnten die Revolutionäre kurzfristig große Reformen in der noch vollkommen spanischen Gesellschaft der Kolonie einführen.
Diesen konspirativen Liberalen war es bereits gelungen, den betagten Gouverneur Mateo de Toro y Zambrano, den erwähnten Conde de la Conquista, davon zu überzeugen, die Entscheidung zur Bildung einer solchen Regierungsjunta in die Hände der einflussreichen Männer in Santiago zu legen. Um eine solche zu bilden, blieb nur noch die Entscheidung der Männer der genannten hohen Kaste, Kreolen und Europäer, abzuwarten, die am Dienstag, dem 18. September, zur öffentlichen Bürgersitzung eingeladen wurden. Es waren dieselben Liberalen, die die Einladungsschreiben verfasst und verschickt hatten, wobei sie sorgfältig darauf achteten, die unnachgiebigsten Männer außen vor zu lassen.
Dem Historiker Martínez zufolge umfasste die liberale Gruppe an diesem Tag nicht mehr als ein Drittel der Anwesenden, letztendlich 437 Männer. Ebenso weist er darauf hin, dass am Tag zuvor, in der Nacht des 17. September, «120 Revolutionäre sich im Haus von D. Domingo Toro, dem Sohn des Präsidenten, trafen, um den Operationsplan für die Wahl am folgenden Tag zu vereinbaren». Sie hatten alles organisiert, die Namen der Kandidaten für die Junta und auch eine Strategie, um die zwei Drittel der Bewohner zu überzeugen, die der Bildung eines solchen Vorstands immer noch misstrauisch gegenüberstanden.
Es sollte erwähnt werden, dass die Liberalen einen großen Teil der Offiziere der Regimenter infiltriert hatten, sodass das Oberkommando die wenigen Anti-Junta-Offiziere, die sich der Wahl widersetzen wollten, gut kontrollieren konnte. Um Gegendemonstrationen zu verhindern, wurden zahlreiche Soldaten in der Innenstadt aufgestellt.
Gründung der Junta und Reformen
Die öffentliche Sitzung fand statt, der Vorstand wurde gewählt. Von den sieben Mitgliedern, konnten zwei nicht teilnehmen: der Präsident Mateo de Toro y Zambrano wegen seines hohen Alters und der schon senile Bischof Martínez de Aldunate; zwei weitere wussten sehr wenig über das Regieren, nämlich Fernando Márquez de la Plata und Francisco Javier de Reina; Ignacio de la Carrera unterstützte die kreolischen Liberalen, und zwei waren entschiedene Liberale und Freimaurer: Juan Martínez de Rozas und Juan Enrique Rosales. Darüber hinaus wurden die ebenfalls liberalen Freimaurer José Gregorio Argomedo und José Gaspar Marín zu Sekretären ernannt.
Mit der erfolgreichen Gründung der Junta wurde die Revolution endgültig eingeleitet, da nun die Möglichkeit zur Einführung von Reformen bestand. Der Plan der Revolutionäre wurde jetzt umgesetzt: Bereits innerhalb eines Monats legte der Freimaurerbruder Juan Egaña der neuen Behörde einen ausführlichen und detaillierten Regierungsplan vor. Nur drei Monate später präsentierte der andere Freimaurer Juan Mackenna seinen Vorschlag zur Verbesserung der Ausbildung der Armee, besonders der einheimischen Offiziere. Schließlich, nach nur fünf Monaten, stellte Juan Martínez de Rosas seinen Entwurf für die Wahlordnung für den ersten Nationalkongress vor und zur selben Zeit wurde das Freihandelsgesetz verabschiedet. Alle diese Reformen stellten in jedem ihrer Bereiche echte Revolutionen dar und untergruben offensichtlich die Rechte und Interessen der spanischen Monarchie.
Die chilenische Revolution war endlich im Gange und erfolgreich verlaufen. Das ist die wahre Bedeutung des 18. September 1810.