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Blu-Ray Report – Das Monteverdi-Triptychon unter John Eliot Gardiner

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Im Jahr 2017 stellte das Teatro La Fenice in Venedig anlässlich von Claudio Monteverdis 450. Geburtstag neue Inszenierungen seiner Opern «L‘Orfeo», «Il ritorno d’Ulisse in patria» und «L’incoronazione di Poppea» vor. Als Dirigent wurde John Eliot Gardiner engagiert, der mit Monteverdi eine lebenslange Erfahrung hat und auf diesem Gebiet auf indiskutable Erfolge zurückblicken kann. 

Für die Jubiläumsproduktion ließ man sich ein besonderes Konzept einfallen: Das Orchester und der Dirigent nehmen die Bühne ein und die Sänger treten zwischen den Instrumentalisten auf. Auf Kulissen wird vollends verzichtet, auch die Requisiten werden oftmals nur angedeutet. So verwendet zum Beispiel Odysseus keinen Pfeil und Bogen, um Penelopes Freier zu töten, sondern mimt den Umgang mit der Waffe lediglich. 

Ebenso wird der Zuschauerraum szenisch genutzt. Die Blechbläser und der Rahmentrommler spielen die Toccata, die den «Orfeo» einleitet, vom Haupteingang des Parketts – ein beeindruckender Knalleffekt gleich zu Beginn der Oper – und Silvia tritt über den Zuschauerraum auf, als sie die Hiobsbotschaft vom Tod Eurydikes verkündet. 

Wohlklang, Spannung und Tragik

Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Komik, wenn unter Gardiners Notenpult die profane Plastikflasche mit Mineralwasser im Bild erscheint oder die beiden Blockflötistinnen sich während ihrer langen Spielpausen beschäftigen, als säßen sie daheim in der guten Stube: die eine strickt, die andere häkelt. 

Die neutral gehaltenen Kostüme sind einer bestimmten Epoche meist nicht zuzuordnen. So tragen die Frauen im «Orfeo» altgriechische Kleider, was durchaus überzeugt, im «Ritorno» dagegen mutet es seltsam an, als Neptun und Jupiter im Frack erscheinen.

Gardiner zieht die musikalische Handlung straff durch und lässt zwischen den verschiedenen Nummern keine Pausen entstehen. Das Zusammenwirken von Solisten, Chor und Instrumentalisten verschmelzt er zu einer Einheit, die je nach Bedarf Wohlklang verströmt oder Spannung beziehungsweise Tragik zu vermitteln vermag. Ein besonderer Vorzug der Produktion ist, dass Schöngesang ausdrucksstarker Deklamierung untergeordnet ist, was im Endeffekt Monteverdis überragenden Musikschöpfungen dienlich ist.

Bewegende Rollenporträts

Die Solisten sind den hohen Anforderungen der Partituren gewachsen und haben sich auf den frühbarocken Stil trefflich eingestellt. Leider ist das Italienisch einiger Ausländer 

unter ihnen nicht einwandfrei. Obwohl ihre Vokalfärbungen zumeist makellos sind, klingt die Aussprache einiger Konsonanten befremdlich, wenn zum Beispiel aus amore «amorrre» oder aus Euridice «Eurrridice» wird.  

Hana Blaíková deklamiert den «Orfeo»-Prolog der Musik eindrucksvoll, indem sie sich mit der Harfe begleitet. (Die Sängerin ist eine ausgebildete Harfenistin und spielt außerdem in ihrer tschechischen Heimat in einer Rockband die Bassgitarre.) Blaíková ist dazu eine prima Darstellerin, die so verschiedene Rollen wie die der liebenswerten Eurydike und der verführerischen Poppaea ebenso überzeugend gestaltet.

Lucile Richardot vermag mit der Kraft ihres Vortrags die Tragik von Silvias Botschaft zu übermitteln und als Penelope über drei Akte hindurch den Verlust des Gatten zu beklagen, ohne monoton zu wirken. 

Kangmin Justin Kim wartet mit einer breiten Palette von Ausdrucksnuancen auf. Einfühlsam spendet er als Hoffnung dem leidenden Orpheus Trost und steigert sich als Nero bis zum hysterischen Ausraster.

Krystian Adam (Orpheus) beeindruckt mit seiner verzweifelten Klage, als ihn die Hoffnung vor der Hades-Pforte verlässt. Die extremen Koloraturen von «Possente spirto» singt er mit frappanter Selbstverständlichkeit und arbeitet dabei den Sinn von jedem Wort gründlich aus.

Gianluca Buratto erstellt als Charon, Pluto, Neptun und vor allem als Seneca bewegende Rollenporträts. Plutos Monolog «Benché severo ed immutabil fato» gestaltet er mit überragender Autorität und berührt tief mit Senecas erschütterndem Abschiedsgesang «Itene tutti a prepararmi il bagno».

Marianna Pizzolato als verschmähte Gattin Neros erreicht in ihrer Klage eine gesangliche wie darstellerische Höchstleistung und setzt damit bald nach Beginn der «Incoronazione» einen dramatischen Höhepunkt.

Furio Zanasis geschmeidige Stimme verströmt Wohlklang und kommt der Schöpfung seiner vier Rollen gut entgegen. Als Odysseus vermisst man bei ihm indes den Helden, der Troja in Brand steckte. Nachdem er Penelopes Freier umgebracht hat, hätte man sich bei dem Aufschrei «Alle morti, alle stragi, alle ruine!» mehr Feuer gewünscht.   

Bei aller Tragik, die in den drei Opern vorherrscht, sind einige Figuren bewusst witzig gehalten, wie der Vielfraß Iros (Robert Burt), der sich einer Snacktüte reichlich bedient, Knackwürste verschlingt und genüsslich Coca-Cola schlürft.

Tadellose Fernsehregie, vorbildliche Tontechnik

Das Fernsehbild ist durchweg von guter Qualität. Allerdings verliert es zeitweilig an Schärfe, wenn die Szene verdunkelt wird. Problematisch ist hierbei, dass kein Bühnenbild vorhanden ist, das die Lichtquellen reflektieren könnte, da statt Kulissen lediglich ein schwarzer Vorhang verwendet wird. 

Sébastien Glas‘ Fernsehregie ist tadellos. Er kommt den Einsätzen der Solisten immer zuvor und verknüpft sinnvoll das Zusammenwirken von Sängern, Instrumentalisten und dem Dirigenten.  

Ein besonderes Lob gebührt dem Tontechniker Denis Vautrin. Die Stimmen der Solisten haben eine optimale Präsenz, als seien sie keine 30 Zentimeter vom Mikrophon entfernt, was ihnen vorbildliche Ausdrucksmöglichkeiten gestattet. Chor und Instrumentalgruppe sind hervorragend gestaffelt, wobei die Bassbegleitung in den Vordergrund platziert wurde. Der Effekt bleibt nicht aus: die Theorben, die Celli und der Kontrabass strahlen einen verblüffenden Wohlklang aus.  

Als Ganzes hat diese Neueinspielung höchstes Niveau. Sie ist jedem Liebhaber der Alten Musik wärmstens zu empfehlen.

Claudio Monteverdi: «L‘Orfeo», «Il ritorno d’Ulisse in patria», «L’incoronazione di Poppea». Italien, Österreich, 2023. Musikalische Leitung: John Eliot Gardiner. Bühnenregie: John Eliot Gardiner, Elsa Rooke. Fernsehregie: Sébastien Glas. Ton: Denis Vautrin. Mit Krystian Adam (Orpheus, Telemach), Hana Blaíková (Musik, Eurydike, Minerva, Schicksal, Poppaea), Lucile Richardot (Silvia, Penelope, Arnalta, Venus), Francesca Boncompagni (Proserpina, Hoffräulein), Gianluca Buratto (Charon, Pluto, Zeit, Neptun, Antinoos, Seneca), Kangmin Justin Kim (Hoffnung, Nero), Furio Zanasi (Apoll, Odysseus, Erster Soldat, Liberto), Silvia Frigato (Amor, Page), Marianna Pizzolato (Octavia), Anna Dennis (Nymphe, Melanto, Drusilla, Tugend, Pallas), Carlo Vistoli (Menschliche Zerbrechlichkeit, Otho) u. a. Spieldauer: «L‘Orfeo»: 119 Min., «Il ritorno d’Ulisse in patria»: 195 Min., «L’incoronazione di Poppea» 192 Min. 

Bild ****

Ton *****

Darbietung *****

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