«Robin Hood Mexikos»
Das historische Bild von «Pancho Villa» ist vielfältig. Je nach Betrachtungswinkel wird er mal zum brutalen Banditen, zum «sozialgerechten Dieb», zu einem Revolutionär oder Helden des Freiheitskampfs erklärt. Zweifellos war er eine der zentralen Figuren der mexikanischen Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts – aber zweifellos war der Mexikaner auch sein bester Public-Relations-Manager in eigener Sache: Er lud Filmteams aus Hollywood ein, die ihn in seinen Schlachten als fotogenen Helden inszenierten.
Der gesetzlose Bandit
Als Doroteo Arango Arámbula kam er am 5. Juni 1878, vor 145 Jahren, in San Juan del Rio, im mexikanischen Bundesstaat Durango in einer Arbeiterfamilie auf einer Hacienda zur Welt. Sein Vater, Agustín Arango, bearbeitete dort als Naturalpächter ein Stück Land, verstarb aber früh, sodass seine Mutter, Micaela Arámbula, ihn und seine zwei Brüder und zwei Schwestern allein aufziehen musste. Doroteo erhielt keine formelle Ausbildung, lernte jedoch lesen und schreiben.
Der erste Einschnitt in seinem Leben erfolgte, als der Besitzer des Anwesens seine Schwester angriff, vergewaltigte, und er diesem dann wutentbrannt ins Bein schoss – so jedenfalls schilderte er die «Tragödie meines Lebens». Anderen Darstellungen zufolge soll ein Leutnant der Regierungsarmee seine Schwester entführt und später für ihren Tod verantwortlich gewesen sein.
Doroteo verließ sein Zuhause, floh in die Berge und begann als 16-Jähriger seine Karriere als Bandit. Er nahm den Namen Francisco (Pancho) Villa an, wobei «Villa» an einen gewissen Jesús Villa anknüpfte, dem biologischen Vater seines Vaters. Er schloss sich einer Bande an, da er allein in der Wildnis nicht hätte überleben können. So trat er den «Outlaws» unter Ignacio Parra und Refugio Alvarada bei und unternahm mit ihnen Raubzüge. Mit der Beute aus seinen Überfällen unterstütze er seine Familie und auch arme Menschen. Zwischenzeitlich führte er auch ein sesshaftes Leben, kehrte aber dann als Bandit zurück, sobald seine finanziellen Mittel aufgebraucht waren. Dabei wechselte er zwischen den Bandengruppen.
Rebellenführer und Revolutionär
Mit der Diktatur des Generals Porfirio Díaz verschärfte sich die soziale Misere in Mexiko und es kam zu Unruhen bis hin zum offenen Widerstand gegen die Regierung. Lediglich 1 Prozent der Bevölkerung Mexikos besaß zu jener Zeit 96 Prozent des Bodens, während 97 Prozent der Landbevölkerung Landlose waren. Zudem beherrschten US-Firmen den größten Teil der Wirtschaft, vor allem den Bergbau, die Erdölförderung und die Eisenbahnen.
1910 schloss sich dann auch Pancho Villa dem Aufstand des Revolutionsführers Francisco Madero, dem Sohn eines vermögenden Grundbesitzers, an, da dieser die Wiederwahl von Porfirio Díaz verhindern wollte. Dabei zeigte Villa sein Talent als Soldat und Organisator. Seine guten geografischen Kenntnisse im Norden Mexikos und seine Beliebtheit in der Landbevölkerung verschafften ihm militärische Erfolge mit seiner Truppe. Die Einnahme von Ciudad Juárez im Mai 1911 durch Villa und seine Rebellen, zwangen General Porfirio Díaz zurückzutreten.
Es gelang jedoch nicht, für den neu gewählten Präsidenten Francisco Madero alle Bürgerkriegsparteien hinter sich zu bringen, sodass erneut Kämpfe zwischen den vormals verbündeten Armeen ausbrachen. Pancho Villa floh über die Grenze in die USA, kehrte aber nach wenigen Monaten wieder zurück. Er vereinte sich mit anderen Revolutionsführern und übernahm schließlich das Kommando über eine Truppe von mehreren Tausend Mann. Damit hatte er die stärkste «Revolutionsarmee» Mexikos geschaffen, die sogenannte «Division del Norte».
Nun begann er mit der «Befreiung» mehrerer Städte im Norden und richtete sein Hauptquartier in Chihuahua ein. Dort wurde er dann auch Gouverneur. Nach der Einnahme der Städte im Norden Mexikos ließ er sogleich reiche Großgrundbesitzer enteignen und die Preise für lebensnotwendige Güter senken. Diese Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der armen Bevölkerung brachten ihm den Ruf als «Mexikos Robin Hood» ein.
Seine «Sozialreform» verlief jedoch keinesfalls immer auf legaler Grundlage: Seine Truppen zogen plündernd und mordend durch die Gegend. Zudem wurden viele der enteigneten Haciendas nicht zerschlagen und an die landlose Bevölkerung verteilt, sondern Verwaltern unterstellt und deren riesige Tierherden überwiegend in die USA verkauft, um aus dem Erlös Waffen und Ausrüstungsgegenstände für Villas Armee zu beschaffen. So kam es nicht zu der versprochenen Landreform. Fürsorge zeigte er aber vor allem gegenüber den Witwen und Waisen seiner Armee und versorgte sie mit Erträgen aus den konfiszierten Gütern.
Im Februar 1913 organisierte Victoriano Huerta einen Armeeputsch, setzte den liberalen Präsidenten Madero fest und übernahm am 19. Februar die Regierung. Francisco Madero wurde drei Tage später beim Transport vom Nationalpalast zum Staatsgefängnis «auf der Flucht» erschossen. Nun führte Huerta de facto eine diktatorische Regierung ein, dem sich sogleich alle revolutionären Kräfte entgegenstellten. Der Gouverneur von Coahuila, Venustiano Carranza, übernahm die Führung gegen das Regime Huertas.
«The Life of General Villa»
Anfang 1914 lässt Pancho Villa Kameraleute aus Hollywood kommen, um sich in maßgeschneiderter Uniform als mutigen Befreier und Kriegshelden darstellen zu lassen. Wenn nötig wurden Szenen auch noch einmal nachgestellt.
Der Film «The Life of General Villa» wird in New York uraufgeführt und hatte die für ihn angestrebte Wirkung.
Im Dezember 1914 gelang ihm der Einzug in die Hauptstadt, wo das historische Treffen mit dem charismatischen Emiliano Zapata stattfand. Aber der Bürgerkrieg war nicht beendet, da sich die erfolgreiche revolutionäre Koalition in zwei Lager aufspaltete. Eine liberale Ausrichtung stand unter der Leitung von Venustiano Carranza und Alvaro Obregón, während Pancho Villa im Norden und Emiliano Zapata im Süden Mexikos die radikalere Position vertraten. Die USA unterstützten dabei die gemäßigte Fraktion unter Carranza und erkannte diesen als neuen mexikanischen Präsidenten an.
Als Racheakt überquerte Pancho Villa daraufhin mit seiner «División del Norte» die Grenze zu den Vereinigten Staaten und überfiel die kleine Stadt Columbus. Washington ordnete eine Strafexpedition an. US-Generals John J. Pershing verfolgte Pancho Villa elf Monate lang mit 10.000 Soldaten, schwerer Artillerie und Flugzeugen. Doch diesem kamen seine exzellenten Ortskenntnisse und die Unterstützung durch die lokale Bevölkerung zugute, so dass er nie gefasst wurde und damit zugleich zur lebenden Legende wurde.
Alterssitz Hacienda Canutillo
Villa und seine Truppe setzten die Guerilla-Aktivitäten gegen die Carranza-Regierung fort, bis ihn 1920 Präsident Alvaro Obregón begnadigte – unter der Bedingung, dass er sich zur Ruhe setzten sollte. Villa akzeptierte und erhielt als Gegenleistung die Hacienda Canutillo in Chihuahua. Drei Jahre lang führte er dort ein ruhiges Leben. Er war mehrfach verheiratet gewesen, jedoch ohne sich von seinen bisherigen rund 25 «Ehefrauen» scheiden zu lassen. Auf seinem Alterssitz lebten sieben seiner Kinder, zeitweilig auch bis zu drei seiner Frauen.
Am 20. Juli 1923 wurde er Opfer eines Attentats: Sein Auto wurde von Kugeln durchsiebt, von denen mehrere Pancho Villa trafen. Der 45-Jährige war sofort tot. Es war eine sorgfältig geplante Tat, doch bleibt bis heute unklar, wer der Auftraggeber war.
Heute wird «General Francisco Villa» als Wegbereiter der demokratischen Verfassung Mexikos von 1917 betrachtet, die in ihrer reformierten Fassung heute noch in Kraft ist. Der mexikanische Präsident López Obrador hat anlässlich des 100. Todestages das Jahr 2023 zum «Año de Francisco Villa» erklärt. Alle amtlichen Dokumente tragen in den nächsten zwölf Monaten das Porträt des Revolutionärs.