Handwerker auf Wanderschaft
Bereits im Mittelalter gingen junge Handwerker nach Abschluss ihrer Lehre auf Reisen, um ihr Wissen und ihre Fähigkeiten zu erweitern, verschiedene Arbeitsweisen kennenzulernen und neue Erfahrungen zu sammeln. Während ihrer Wanderschaft arbeiteten sie bei verschiedenen Meistern in unterschiedlichen Regionen oder sogar Ländern und lernen dabei andere handwerkliche Techniken und Traditionen kennen. Handwerker auf Wanderschaft wurden oft als «Gesellen» bezeichnet, denn erst nachdem die «Walz», wie die Wanderschaft auch genannt wurde, abgeschlossen war, konnten sie eine Meisterprüfung ablegen. Diese Regelung hatte noch bis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert Bestand.
Traditionell trugen Handwerker auf Wanderschaft eine spezielle Kleidung, die oft aus einem schwarzen Anzug mit Hut bestand, dazu einen Wanderstock und einen Rucksack mit einem «Fremdenbuch», in dem sie ihre Erfahrungen, Empfehlungen und Kontakte notierten, die sie während ihrer Reisen gesammelt hatten. Während ihrer Wanderschaft wurden Handwerker in der Regel für mehrere Wochen oder Monate bei einem Meister angestellt. Die Gesellen halfen in der Werkstatt des Meisters und erhielten im Gegenzug Unterkunft, Verpflegung und manchmal auch ein kleines Gehalt. Danach zogen sie weiter und suchten sich eine neue Anstellung bei einem anderen Meister. Dies hatte nicht nur praktische Vorteile für die Handwerker, sondern auch eine soziale Bedeutung. Es förderte den Austausch von Wissen und Traditionen zwischen verschiedenen Handwerksbetrieben und trug zur Weiterentwicklung des Handwerks bei. Es ermöglichte den Handwerkern auch, neue Orte und Menschen kennenzulernen, ihre sozialen Fähigkeiten zu verbessern und ein breiteres Verständnis für ihre Arbeit zu entwickeln.
Vorläufer der dualen Berufsausbildung
Die eben beschriebenen «Wandergesellen» sind ein Beispiel für Lernen durch Praxis und damit sozusagen die Vorläufer der dualen Berufsausbildung. Dieses Modell entstand im 19. Jahrhundert in Deutschland als Reaktion auf den wachsenden Bedarf an Facharbeitern für die Industrie. Im Jahr 1869 wurde in Hamburg die erste Fachschule gegründet, die eine Ausbildung in einem breiten Spektrum von Berufen anbot und die Ausbildung im Klassenzimmer mit der praktischen Arbeit in Werkstätten und Fabriken verband. Von dort aus verbreitete sich das Modell und etablierte sich im ganzen Land. Ein Jahrhundert später, im Jahr 1969, wurde das Berufsbildungsgesetz erlassen, das sowohl einen rechtlichen Rahmen für die duale Ausbildung in Deutschland als auch Anforderungen für die Akkreditierung von Ausbildungsprogrammen festlegte. Seitdem hat sich die duale Ausbildung zu einer tragenden Säule des deutschen Bildungssystems entwickelt: Mehr als die Hälfte der Jugendlichen eines jeden Abschlussjahrgangs – rund eine halbe Million Jugendliche pro Jahr – entscheidet sich für diese Ausbildungsoption.
Erfolgsmodell «Made in Germany»
Die Kombination aus theoretischem Lernen im Klassenzimmer und praktischer Erfahrung in einem Unternehmen mit geschulten Ausbildern ist einerseits der Schlüssel zur Ankurbelung der Wirtschaft des Landes mit gut ausgebildeten Fachkräften, andererseits ermöglicht es jungen Menschen, frühzeitig spezifische Fähigkeiten für ihre berufliche Laufbahn zu erwerben, was wiederum die Jugendarbeitslosigkeit verringert.
Die duale Ausbildung, die Theorie und Praxis verbindet, ist zu einem internationalen Erfolgsmodell mit dem Gütesiegel «Made in Germany» geworden. Über die deutschen Industrie- und Handelskammern in 93 Ländern wurde das Modell in andere Teile der Welt übertragen.
Duale Berufsausbildung nach deutschem Vorbild in Chile
Das deutsche Modell der dualen Ausbildung kam in den 1990er Jahren durch die Zusammenarbeit zwischen den Regierungen der beiden Länder nach Chile, um im Rahmen der beruflichen Sekundarbildung die Vorteile zu nutzen, die höhere Schulen und Unternehmen in einer kombinierten und verknüpften Form bieten können.
In Deutschland können 324 Berufe im Rahmen des dualen Ausbildungssystems erlernt werden; jeder hat seinen eigenen Lehrplan und spezifische Anforderungen, die auf die Bedürfnisse und Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes abgestimmt sind.
In Chile gibt es 931 Berufsschulen, von denen 170 eine duale Ausbildung anbieten. Landesweit werden 35 Fachrichtungen in der technischen Berufsausbildung angeboten, wie zum Beispiel Verwaltung, Metallmechanik, Elektronik, Elektrizität, Gesundheit und Erziehung, die teilweise auch im dualen Modus angeboten werden.
Im Fall von Chile hat die Deutsch-Chilenische Handelskammer (AHK Chile) Methoden und Instrumente entwickelt, um die Qualitätselemente des deutschen dualen Ausbildungsmodells an die Bedürfnisse des lokalen Kontextes anzupassen und umzusetzen. Die binationale Organisation führt verschiedene Aktionen in Ausbildungsunternehmen als auch in Sekundar- und Hochschuleinrichtungen durch. Zu den durchgeführten Maßnahmen gehören die Entwicklung, Formulierung und Umsetzung von Arbeitsplänen mit Instrumenten, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Einrichtungen ausgerichtet sind, die Ausbildung von Lehrkräften und Ausbildern, die Entwicklung von Handbüchern und die Zertifizierung von dualen Ausbildungsmodellen nach deutschen Standards.
Deutsche Zertifizierung für Insalco und Lichan
Von den Projekten, die die AHK Chile berät, haben bereits zwei Bildungseinrichtungen eine deutsche Zertifizierung ihrer dualen Ausbildung erhalten. Das Kaufmännische Berufsbildungszentrum Insalco bietet seit mehr als 40 Jahren eine duale deutsche Ausbildung an, die eng mit der Transport-, Außenhandels- und Schifffahrtsbranche verbunden ist.
Das Lichan, Liceo Industrial Bicentenario Chileno-Alemán, das von der Corporación Educacional Asimet verwaltet wird, wurde in diesem Jahr zertifiziert. Die erste Generation junger Absolventen erhielt im April ihre deutschen Zertifikate, die die Qualität ihrer technischen Ausbildung belegen. In beiden Fällen werden ebenfalls die Ausbildungsbetriebe und die Mentoren, die die Auszubildenden bei der praktischen Ausbildung an den Lehrstellen begleiten, zertifiziert.
Wussten Sie schon, dass…
… Deutschland ein Vorreiter in der Nutzung von grünen Dächern ist? Etwa 10 Prozent der Dächer sind begrünt, was dazu beiträgt, die Umweltbelastung zu reduzieren, die Luftqualität zu verbessern, Regenwasser zurückzuhalten, den Energieverbrauch zu senken und die Lebensräume für Pflanzen und Tiere zu erweitern. Die Stadt Stuttgart hat zum Beispiel das größte zusammenhängende Gründachgebiet Europas.
Wussten Sie schon, dass…
… es in Deutschland mehr als 94.000 Buchhandlungen und Antiquariate gibt? Damit ist es weltweit das Land mit den meisten Buchhandlungen pro Einwohner.
Gordan Nikolic Rektor Insalco
«Das Kaufmännischen Berufsbildungszentrums Insalco hat in Chile Pionierarbeit für das deutsche Modell der dualen Ausbildung geleistet. Es wurde 1982 von der Deutschen Schule Santiago mit dem Ziel gegründet, Schülern eine technische Berufslaufbahn zu ermöglichen. Seitdem bildet es mit Unterstützung der AHK Chile im Rahmen des dualen Ausbildungsmodells (Studium im Institut und praktische Arbeit im Unternehmen) Jugendliche nach genormten Lehrplänen aus und wird von der deutschen Bundesregierung unterstützt. In vier Ausbildungsrichtungen, von denen drei auf Deutsch unterrichtet werden, können unsere Studenten dank einer Vereinbarung mit deutschen und chilenischen Unternehmen gleichzeitig arbeiten und studieren. Sie erhalten einen in Chile vom Bildungsministerium anerkannten Abschluss und einen deutschen Abschluss, der von der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) verliehen wird. Mehr als 900 Absolventen des Insalco haben dieses Ausbildungsmodell, das auch eine Sprachzertifizierung (Deutsch und Englisch) beinhaltet, belegt – ein echter Exportschlager ‚Made in Germany‘.»