Lithium-Abbau in Chile
«Viele Firmen haben sich in Position gebracht»

Chile hat die größten Reserven von Lithium weltweit, ist aber nicht das Land, das am meisten abbaut. Die Klimawende macht den Rohstoff weltweit begehrter denn je. Stefanie Schmitt, Leiterin des Auslandsbüros von Germany Trade & Invest (GTAI), spricht im Cóndor-Interview über den aktuellen Lithium-Markt in Chile, die Art und Weise der Förderung des Metalls am Salar de Atacama und die neue Strategie der chilenischen Regierung. Ihrer Ansicht nach bleibt Chile vielleicht weniger Zeit, um am Lithium-Markt weiter teilhaben zu können, als viele Akteure glauben.

Zur Person:
Dr. Stefanie Schmitt ist seit 2021 Leiterin des Auslandsbüros der GTAI in Santiago und für Chile und Argentinien zuständig. Die GTAI unterstützt an mehr als 50 Standorten weltweit deutsche Unternehmen beim Auslandsgeschäft oder ausländische Firmen bei der Ansiedlung in Deutschland. Die Volkswirtin ist Expertin für China. Für die GTAI war sie acht Jahre in Shanghai, knapp drei Jahre in Vietnam und acht Jahre in Beijing.
Wie sieht das Potenzial von Lithium in Chile für Investoren aus?
Chile hat nach Australien die größten Vorkommen auf der Welt: Laut chilenischem Bergbauministerium gibt es in Chile 45 Salzseen und 18 Lagunen mit Lithiumvorkommen. Näher erforscht sind bisher erst 23, abbauwürdig sollen laut
Bergbauministerium landesweit 18 Salare sein.

Foto: Stefanie Schmitt
Klar ist allerdings: Das einzige bisher aktive chilenische Abbaugebiet für Lithium bietet die besten Voraussetzungen – der Salar de Atacama, ein rund 90 Kilometer langes und 35 Kilometer breites natürliches Becken. Die Konzentration ist hoch und der Zugang zu Straßen und Elektrizität sind gut. Hinzu kommt die relative Nähe zu großen Häfen.
Wer baut in Chile Lithium ab und wie?
Zurzeit fördern zwei private Unternehmen Lithium in Chile, beide im Salar de Atacama: die chilenische Firma SQM, an der zu rund 24 Prozent Tianqi Lithium aus China beteiligt ist. Im vergangenen Jahr betrug der Anteil von SQM am Weltmarkt 20 Prozent. Das zweite Unternehmen ist die US-amerikanische Firma Albemarle, die 16 Prozent am weltweiten Markt hält.
Es werden die Methoden des Abbaus kritisiert, dass insbesondere das von der Bevölkerung vor Ort benötigte Wasser und auch die Natur beeinträchtigt werden. Sie waren selbst vor Ort und haben sich auch mit Geologen über die Art und Weise des Abbaus unterhalten. Was ist ihr Eindruck, inwiefern dieser für die Bewohner und auch die Umwelt ein Schaden bedeutet?

Es ist wichtig zu wissen, dass die Sole von den Firmen mit einer natürlichen Konzentration von circa 0,2 Prozent Lithium aus der Tiefe gepumpt wird. Diese Sole wird dann mithilfe der Sonne beziehungsweise mittels Verdunstung aufkonzentriert, bis der Lithiumgehalt etwa 6 Prozent erreicht. Schon wenn die Sole aus dem Boden kommt, ist sie um fast die Hälfte salzhaltiger als das Wasser im Toten Meer – wobei in ihr natürlich nicht nur Lithium gelöst ist. Trinken kann man das nicht – und auch zur Aufbereitung für die Trinkwassernutzung ist sie völlig ungeeignet.
Außerdem befinden sich die Dörfer am Rand oder oberhalb der Atacama in den Bergen. Das Wasser, das sie zum Leben benötigen, beziehen sie aus den Niederschlägen oder den Schmelzwassern, die von den höher gelegenen Regionen zu ihnen herabfließen. Die von den Unternehmen zur Lithiumgewinnung geförderte Sole befindet sich dagegen tief in der Mitte des Beckens. Niemand wohnt hier.
Es klingt trivial, aber für die Argumentation ist es entscheidend: Wasser fließt von oben nach unten. Also erst durch die Dörfer und dann in den Salar. Deshalb ist es physisch unmöglich, dass der Lithiumabbau in der Atacama den oberhalb gelegenen Dörfern «das Wasser abgräbt», wie es immer wieder heißt.
Etwas schwieriger ist die Situation am und im Salar. Da kann ich auch nur den Aussagen von Fachleuten oder geologischen Studien vertrauen. Danach fließt das Wasser von den Bergen – oft unterirdisch – zum Salar. Dort tritt es zutage, wenn es auf undurchlässige Erdschichten trifft. So entstehen am Rand des Salars die berühmten Lagunen, die beispielsweise Lebensraum für Flamingos bieten. Mit der lithiumhaltigen Sole kommt dieses Wasser gar nicht in Kontakt. Wo dies doch geschieht, mischt es sich nicht «freiwillig» mit der Sole, weil es einen viel geringeren Dichtegehalt aufweist.
Grundsätzlich, und das sollte man nicht unterschätzen, schneidet das Verfahren zur Lithium-Produktion aus Sole deutlich besser in der Wasser- und Kohlendioxidbilanz ab als die Förderung aus Erz. Diese Methode wird in Australien, dem weltweit größten Lithium-Produzenten, verwendet. Für die Produktion von einer Tonne Lithiumkarbonat aus Erz brauchen Sie 77 Kubikmeter Wasser und für eine Tonne Lithiumkarbonat aus Sole nur zwischen 15 und 33 Kubikmeter. Bei der Gewinnung von einer Tonne Lithiumkarbonat aus Erz werden 20,4 Tonnen des klimaschädlichen Kohlendioxids freigesetzt; für eine Tonne Lithium aus Sole nur zwischen 2,7 bis 3,1 Tonnen. Die schlechtere Kohlendioxidbilanz rührt daher, dass das Erz bei etwa 1.000 Grad «geröstet» und mit Schwefelsäure behandelt werden muss.
Die Gemeinden in der Umgebung der Betriebe im Salar de Atacama gehören zu den Ureinwohnern der Ethnie der Atacameña. Wie wirkt sich aus Ihrer Sicht die Tätigkeit der beiden Unternehmen vor Ort auf die Bevölkerung, die Umwelt und grundsätzlich für Chile aus?

SQM und Albemarle unterstützen die Dorfbewohner durch zahlreiche infrastrukturelle und soziale Projekte. Ich habe zum Beispiel eine Photovoltaik-Anlage gesehen, die für die Dorfbewohner jetzt Strom erzeugt. Auch das aus den Bergen kommende, natürlich stark belastete Wasser wird jetzt für den menschlichen Konsum aufbereitet. Es ist ganz offensichtlich, dass die Bewohner der Region von den Unternehmen profitieren – und das sagen sie auch.
Was die Umwelt angeht, wird der Einfluss darauf in verschiedener Hinsicht kon-trolliert: Sowohl Corfo als auch SQM und Albemarle halten eigene hydrogeologische Modelle vor, um den Einfluss auf das Gesamtsystem zu überwachen.
Auch erwähnenswert: Beide Unternehmen führten zusammen im Jahr 2022 knapp 5,7 Milliarden US-Dollar Steuern an den chilenischen Staat ab. Zum Vergleich: Das gesamte Staatsbudget Chiles betrug rund 82 Milliarden. Das heißt, mit dem Modell, wie es jetzt ist, fährt Chile bisher eigentlich nicht schlecht.
Wie wird es künftig mit den beiden Firmen weitergehen?

Fotos: Stefanie Schmitt/GTAI
Die Verträge von SQM laufen 2030 und die von Albemarle 2043 aus. Seit der Bekanntgabe der neuen Nationalen Lithium-Strategie Chiles im April laufen unter Hochdruck Neuverhandlungen über eine Verlängerung der Konzession zwischen SQM und Codelco.
Wie ist die Reaktion der Unternehmen, die am Lithium-Markt interessiert sind, auf die im April von Präsident Boric verkündete Lithium-Strategie?
Es war klar, dass die neue nationale Lithium-Strategie mehr Einfluss oder Kontrolle durch den Staat bedeuten würde. Die heutige Regierung hatte schon im Wahlkampf angekündigt, dass sie stärker am Lithium-Geschäft verdienen wolle – auch um Geld für ihre geplanten sozialen Projekte zu haben -, dass sie die Interessen der Bevölkerung vor Ort und nicht zuletzt den Schutz der Umwelt stärker gewährleistet sehen wollte. Entsprechend bewegte sich seit Amtsantritt erst einmal nichts mehr im Lithium-Abbau. Alle warteten ab – und die Unternehmen erhofften sich von Präsident Boric zumindest mehr Sicherheit darüber, wie es letztlich weitergeht.
Positiv ist: Verstaatlichungen sind nicht geplant. Der Staat setzt weiterhin auf Partnerschaften zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor. Allerdings gilt auch: Bei Schlüsselprojekten sollen Privatfirmen keine Mehrheit halten können, also maximal einen Anteil von 49,9 Prozent. Aber niemand weiß bisher: Was definiert ein Schlüsselprojekt?
Genauso unklar ist, welche Rolle die zu gründende nationale Lithiumgesellschaft spielen soll. Ihr ist ein Herzstück in der nationalen Lithium-Strategie zugedacht. Im Endeffekt gibt es also in Kernfragen noch sehr viel Unsicherheit – und die Erwartungen der Firmen sind zumindest in dieser Hinsicht enttäuscht worden.
Was bedeutet das nun für das künftige Lithium-Geschäft in Chile?
Viele Firmen haben sich bereits in Position gebracht: Einen Fuß in der Tür hat bereits Lithium Power International aus Australien, der in Chile die Minera Salar Blanco gehört. In den Startlöchern stehen Simco, ein Joint Venture der chilenischen Cominor-Gruppe und dem Simbalik-Fond aus Singapur, sowie der SQM-Anteilseigner Tianqi Lithium. Die bereits in Argentinien im Lithiumabbau aktive Eramet aus Frankreich sowie Wealth Minerals und Lithium Chile, beides kanadische Firmen. Auch die australische Talison Lithium, die von Tianqi und Albemarle kontrolliert werden, Clean Tech Lithium aus London, Sorcia Minerals und Tesla aus den USA sowie der Elektroautohersteller BYD und der größte Lithiumbatterieproduzent der Welt CATL, beide aus China, stehen bereit.
Generell heißt es, dass der Salar von Maricunga wohl das nächste aktive Lithiumabbaugebiet in Chile werden wird.
Auffällig ist, dass deutsche Firmen bislang nur bedingt in Erscheinung getreten sind. Als Gründe werden genannt, dass den Unternehmern das Risiko zu hoch ist oder dass die Kompetenzen im Bergbau fehlen.
Angesichts dessen, dass in Argentinien beispielsweise der Lithium-Markt praktisch schon verteilt ist, besteht aber gerade jetzt nur noch ein kleines Zeitfenster, um sich einen Anteil an diesem kritischen Rohstoff wenigstens in Chile zu sichern.
Das gilt umgekehrt aber auch für Chile. Chile muss sich anstrengen, um den Anschluss nicht zu verpassen, wenn andernorts mit dem Abbau von Lithium schon bald viel Geld verdient wird.
Die Fragen stellte Silvia Kählert.
Nachgefragt: Deutsch-chilenische Linergia SpA gegründet Beim Besuch von Bodo Ramelow, des damaligen Präsidenten des Deutschen Bundestags, vom 9. bis 16. Oktober 2022 in Chile waren Vertreter der deutschen Firma Liverde Teilnehmer der Wirtschaftsdelegation. Das chilenische Unternehmen RJR Salar SpA und die Liverde AG, die ihren Sitz im thüringischen Sondershausen hat, unterzeichneten am 13. Oktober 2022 ein Kooperationsabkommen. Auf Anfrage des Cóndor zu ihrer Tätigkeit in Chile hieß es am 19. Juni von Seiten des Unternehmens Liverde: «LiVerde ist nach wie vor im Bereich Lithium in Chile tätig und plant, das auch weiterhin zu sein. Inzwischen wurde mit der RJR Salar SpA das Gemeinschaftsunternehmen Linergia SpA gegründet, das derzeit weitere Investoren für das Projekt akquiriert. Dies stellt allerdings aufgrund fehlender, klarer Vorgaben und «Spielregeln» durch den chilenischen Staat eine gewisse Herausforderung dar. Die deutsche Bundesregierung ist momentan ebenfalls zurückhaltend, wenn es um die Förderung von Lithiumprojekten geht.»