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miércoles, 30. abril 2025
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Im Gespräch mit Paulina Oyarzún

Rodulfo Amando Oyarzún Philippi, eine facettenreiche Persönlichkeit

Paulina Oyarzún: «Er war ein Idealist, überzeugt vom modernen Denken und ein unermüdlicher Kämpfer für seine Ideale.»

Der chilenische Architekt Rodulfo Oyarzún (1895-1985) war nicht nur ein herausragender Baumeister, sondern auch ein Mann der Avantgarde. Der Urenkel des großen Naturforschers Rudolfo Amandus Philippi konnte jedoch trotz seiner indiskutablen Begabung nicht immer erfolgreich sein, da konservative Auftraggeber mit seinen bahnbrechenden Entwürfen nichts anzufangen wussten und «zeitgemäßere» Projekte bevorzugten. Wir haben seine Tochter Paulina Oyarzún, die ebenfalls Architektin ist, über den Werdegang ihres Vaters befragt.

Rodulfo Oyarzún wuchs mit seinem Urgroßvater Rodulfo Amandus Phi-
lippi und seinem Großvater Federico Philippi, beide Wissenschaftler, in einem Umfeld auf, das es begünstigte, sich beruflich einem wissenschaftlichen Bereich zu widmen. Was hat ihn jedoch dazu bewogen, Architektur zu studieren? 

Er wuchs nicht nur in einem wissenschaftlichen Umfeld auf, das von seinem Urgroßvater Rodulfo Amandus, einem Arzt, und seinem Großvater Federico Philippi, einem Botaniker von Beruf, geschaffen wurde, mit denen er die ersten 14 Jahre im Familienanwesen in Quinta Normal lebte, sondern erhielt auch den Einfluss seines Vaters Aureliano Oyarzún. Neben seiner Tätigkeit als Arzt, Pharmakologe, Entomologe (Insektenforscher) und Anthropologe widmete er sich mehr als 50 Jahre der Medizin und Forschung der Ureinwohner Nord- und Südchiles. 

Tatsächlich brachte ihn dieses wissenschaftliche Umfeld dazu, über ein Medizinstudium nachzudenken. Seine Mutter lehnte es jedoch ab, weil es ein sehr aufopferungsvoller Beruf war. Damals gab es nur wenige Krankenhäuser, keine Intensivstationen und die Ärzte mussten ihre Patienten tagelang, nachts und an langen Wochenenden begleiten. Hinzu kam, dass die Familie Oyarzún Philippi für zwei Jahre nach Deutschland reiste, wo er an allem interessiert war, was er in Europa sah, insbesondere an Fragen der Kunst und der technischen Entwicklung. Hier begann er, sein Interesse an Architektur zum Ausdruck zu bringen und bestand darauf, dass seine Eltern ihn für einen Studiengang für Bauwesen, Kunstgeschichte und Zeichnen am Charlottenburger Polytechnikum in Berlin anmeldeten. Diese Herangehensweise an das Bauwesen und die Kunstgeschichte führte dazu, dass er sich der Architektur zuwandte und sich nach seiner Rückkehr 1913 an der Architekturschule der Universidad de Chile einschrieb. Das Architekturstudium wurde Ende des 19. Jahrhunderts im Land eingeführt und widmete sich einer unkritischen neoklassizistischen und eklektischen Gebäudegestaltung.

Noch in jungen Jahren reiste er nach Wien und Deutschland, um sein Studium abzuschließen. Was bedeutete die Konfrontation mit diesem neuen kulturellen Umfeld für ihn und seine Karriere? 

Rodulfo Amando Oyarzún erhielt 1974 den Nationalpreis für Architektur.

Bevor er reiste, übte er seinen Beruf zehn Jahre lang zusammen mit seinem Entwurfslehrer Alberto Schade aus. Sie entwickelten Bauten, die von den Regeln der damals vorherrschenden neoklassizistischen und eklektischen Architektur geprägt sind, wie die Gebäude der Ingenieurschule der Universidad de Chile und das Gebäude der Compañía de Seguros La Mundial. Dieser in Morandé Ecke Bandera gelegene Bau wurde 1981 aufgrund seiner Qualität der Realisierung und des bedeutenden öffentlichen Raums, den es schafft, zum historischen Denkmal erklärt.

Als unabhängiger Architekt entwarf und baute er großflächige und kostspielige Einfamilienhäuser in Providencia, in den Straßen Santa Magdalena, Lyon und Suecia. Es handelt sich um Bauten, die stilistisch das europäisch Typische mit barocken Formen und spanischen Reminiszenzen oder neoklassizistischen Einflüssen verbinden. Er plante die Parks und der Landschaftsarchitekt Oscar Praguer war für den Entwurf zuständig.

Seine Leidenschaft für die Kunst veranlasste ihn, Malerei an der Fakultät für Bildende Künste der Universidad de Chile bei Juan Francisco González und Pablo Burchard zu studieren. Mit der Erfahrung aus zehn Jahren Berufspraxis reiste er 32-jährig mit seiner Familie nach Europa. Diesmal studierte er an der Akademie der bildenden Künste in Wien Architektur. Besonders wichtig war die Teilnahme am Entwurfsprojekt der modernen Architektur des Professors und Architekten Clemens Holzmeister und des Architekten Peter Behrens. Er besuchte das Städtebauseminar des Wiener Architekten und Stadtplaners Karl Brunner. Rodulfo Oyarzún schrieb sich für einen Aufbaustudiengang «Einführung in den Städtebau» bei Professor Iltz ein, vervollkommnete sein Malstudium bei Robert Christian Andersen, nahm an Fotografiekursen teil und studierte in Wien Gesang. 

Während seines Aufenthalts knüpfte er Kontakte zu Meistern ihres Fachs, wie den berühmten Architekten Adolf Loos und Joseph Hoffmann, und auch mit Musikern, Malern und Schriftstellern. Er war nun durchdrungen von den erneuernden Ideen in Europa, insbesondere der modernen rationalistischen Architektur der Bauhaus-Schule, denen des modernen Städtebaus und der Kunst im Allgemeinen. 

Nach seiner Rückkehr übte er seinen Beruf auf der Grundlage moderner Architekturkonzepte aus, die im Land kaum bekannt waren. Seine Werke zeigen eine rationalistische Architektur aus reinen Volumina mit Flachdächern und Dachterrassen, Langfenstern, externalisierten Funktionen, strukturell logisch und wohlproportioniert und offenbaren den Einfluss europäischer Meister. Diese prägten sein Denken und Schaffen so stark, dass er ab 1930 nur noch moderne Projekte entwarf und sich weigerte, Aufträge auszuführen, die neoklassizistische, eklektische Architektur oder einen anderen Stil vorsahen. Dieser radikale Wandel im Denken und Handeln sowie im Verständnis von Stadt und Kunst des Architekten kommt in verschiedenen Bauten zum Ausdruck, darunter in seiner Wohnung und Architekturatelier an der Avenida El Bosque Ecke Roger de Flor; den Häusern seines Vaters Aureliano und seines Bruders Germán in Hernando de Aguirre; dem Wohnkomplex aus sechs Doppelhäusern für Catone Nicoreau in Hernando de Aguirre Ecke Carmen Sylva; des Hauses Correa in Miguel Claro und anderen. Aus dieser Zeit stammt auch der Entwurf mit dem Vorschlag für die Evangelisch-Lutherische Erlöserkirche, der laut meinem älteren Bruder Víctor Oyarzún Körner, ebenfalls Architekt, als «zu modern» für die damalige Zeit abgelehnt wurde.

Er kehrte so überzeugt davon zurück, dass modernes Denken das sei, was im Land entwickelt werden müsse, sowohl in der beruflichen Praxis als auch in der Ausbildung zukünftiger Architekten, dass er eine Vorreiterposition in der Bewegung zur Modernisierung der Lehre und Praxis der Architektur, wie zur Stadtplanung in Chile einnahm. Er hielt Vorträge für Fachleute und die breite Öffentlichkeit und publizierte in Zeitungen die neuen, in Europa vorherrschenden Ideen.

Als Schöpfer stand Rodulfo Oyarzún an der Spitze seiner Zeit, was nicht immer bedeutete, dass er beispielsweise durch die Teilnahme an Wettbewerben erfolgreich war. Wurde er in diesem Zusammenhang missverstanden? 

Gebäude der Compañía de Seguros La Mundial, von den Architekten Alberto Schade und Rodulfo Oyarzún 1923 erbaut

Die Teilnahme an Wettbewerben beinhaltet die Bewertung von Entwurfsprojekten anhand mehrerer Kriterien, wie zum Beispiel sozialer, ästhetischer, konstruktiver, wirtschaftlicher und anderer Art. Einen Wettbewerb nicht zu gewinnen, bedeutet nicht zwangsläufig, dass man missverstanden wird. Für ihn war es von größerer Bedeutung, die neuen modernen Konzepte zu verbreiten. Aus meiner Sicht war er ein Idealist, überzeugt vom modernen Denken und ein unermüdlicher Kämpfer für seine Ideale.

Während einem seiner Deutschlandaufenthalte beantragte und erhielt er eine Audienz bei Adolf Hitler. Dieses Treffen scheiterte jedoch in letzter Minute. Warum fand die Besprechung nicht statt? 

Wohnung und Architekturatelier Rodulfo Oyarzún  El Bosque (1930)

Im Jahr 1937/38 reiste er im Auftrag des Ministeriums für öffentliche Bauten nach Europa, um Planung und Städtebau zu studieren. Während seines Aufenthalts in Deutschland erhielt er eine Audienz bei Adolf Hitler, um finanzielle Unterstützung zu erbitten und das von ihm entworfene Projekt für das chilenisch-deutsche Denkmal auf dem Binder-Hügel in Puerto Varas bauen zu können. Doch am Abend zuvor strahlte der Rundfunk eine Rede Hitlers aus, in der er seinen entschiedenen Widerstand gegen moderne Kunst und Architektur zum Ausdruck brachte – Grund genug für ihn, nicht an dem Treffen teilzunehmen.

Welches sind deiner Meinung nach die wichtigsten Bauten von Rodulfo Oyarzún? 

Skizzen zu Volumetrie und Fassaden für die evangelische Erlöserkirche in Santiago (1930) – als «zu modern» abgelehnt

Sein Schaffen ist sehr umfangreich und zu den relevanten Bauten der ersten neoklassizistisch-eklektischen Epoche zählen das Gebäude der Compañía de Seguros La Mundial, die großen Privat- und Landhäuser in der Gemeinde Providencia wie das Timmermann- und das Schleyer-Haus. Aus der Ära des modernen Rationalismus stammen sein Haus und Architekturatelier an der Straße El Bosque Ecke Roger de Flor, das als Vorläuferwerk der modernen Bewegung in Chile gilt; das Haus Correa in der Miguel Claro; der Wohnkomplex für sechs Doppelhäuser in der
Villaseca-Straße, heute Hernando de Aguirre Ecke Carmen Sylva; das Huber-Landhaus in Malloco und andere.

Wie war seine Beteiligung an der chilenischen Stadtplanung, an Gewerkschafts- und Bildungsaktivitäten? 

Was die Stadtplanung betrifft, so gelang es ihm 1930, den Architekten und Stadtplaner Karl Brunner nach Chile einzuladen, der als Berater am Ministerium für Öffentliche Bauten tätig war und von der Architekturfakultät der Universidad de Chile angestellt wurde, um am Lehrstuhl für Stadtplanung zu lehren. Rodulfo Oyarzún war Brunners Assistent und gemeinsam vermittelten sie chilenischen Architekten und Behörden die neuen Konzepte des Städtebaus und der Stadtplanung und erreichten damit eine Erneuerung im Denken und im technischen Management der Stadtplanung in Chile. 

Nach Brunners Rückkehr nach Europa behielt Rodulfo Oyarzún den Lehrstuhl für Städtebau bis 1946. Die neuen Ideen fanden Eingang in den von ihm entwickelten Flächennutzungsplänen für Algarrobo im Jahr 1932 und Constitución im Jahr 1959 sowie für zwei Stadtviertel in Los Ángeles im Jahr 1940 und Constitución im Jahr 1959. 

Anlässlich des Erdbebens von 1939 und als Vorsitzender des Instituto Nacional de Urbanismo arbeitete er an den Flächennutzungsplänen für Concepción und Chillán. Von 1930 bis Mitte der 1950er Jahre führte er eine intensive Verbreitung der Anwendung des wissenschaftlichen und interdisziplinären Ansatzes in der Stadtplanung durch. Diese förderte die Festlegung nationaler Raumplanungsrichtlinien, beispielsweise in der Wohnungspolitik (der Ausarbeitung von Wohnungspolitiken) entsprechend dieser Pläne. 

Im Jahr 1955 entwickelte er zusammen mit seiner Frau Elsa Fuentes, die ebenfalls Architektin war, einen Abschnittsplan für den Campus der Universidad de Chile, in dem sie die Integration der verschiedenen Fakultäten vorschlugen. Der Abschnitt bezieht sich auf das Gebiet des Cerro Blanco von Santiago ab der Plaza de Armas zwischen den Straßen Independencia und Recoleta. Dieses Projekt, das den Mapocho-Fluss kanalisiert, umfasst Gebäude für die Fakultäten sowie Wohngebäude für Beamte und Studenten. 

In der Gewerkschaft war er ab dem Jahr 1930 sehr aktiv und leitete mehrere Male den Architektenverband Chiles, den Vorläufer der heutigen Architektenkammer. Als Mitbegründer, Präsident seiner «Alma Mater» und des Instituto Nacional de Urbanismo organisierte und leitete er 1934 den ersten Nationalkongress für Architektur und Stadtplanung. 

Gleichzeitig gab er ab 1930 Seminare an der Universidad de Chile, an den Fakultäten für Architektur und Städtebau, im Ingenieurwesen sowie an der Fakultät für Bildende Künste. Hier gründete er den Lehrstuhl «Grundlegende korrelative Konzepte der bildenden Künste» und entwickelte seine These über die Künste, die von den Konzepten des Bauhauses deutlich beeinflusst war. Ab 1971 lehrte er den Studiengang Architekturgeschichte an der Fakultät für Architektur und Bauwesen der Universidad del Biobío. Zeit seines Lebens widmete er sich mit großer Begeisterung der Malerei und der Musik.

Du hast dich entschieden, den gleichen Beruf wie dein Vater zu erlernen. Inwieweit war sein Beispiel für dich ausschlaggebend, auch Architektin zu werden? 

Meine Mutter hatte ebenfalls Architektur an der Universität de Chile studiert und zusammen übten sie ihren Beruf in dem Architekturbüro aus, das sie zu Hause hatten. Seit unserer Kindheit konnte ich mit meinen Brüdern die Entwicklung verschiedener Projekte, ihre Teilnahme an Wettbewerben, geselligen Zusammenkünfte mit Architekten, Musikern, Malern und anderen miterleben. Als ich darüber nachdachte, welchen Beruf ich studieren sollte, schien mir Architektur interessant und attraktiv zu sein. Mir war die Verantwortung bewusst und ich wusste auch, dass es sich um einen Beruf handelte, der gut mit einer Familie zu vereinbaren war. Es besteht kein Zweifel, dass das, was ich in meiner Kindheit und Jugend erlebt habe, meine Entscheidung beeinflusst hat.

Die Fragen stellte Walter Krumbach.

Fotos: Privatarchiv Familie Oyarzún, Pablo Altikes, Walter Krumbach

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