Filmregisseur
In München, Hollywood und Santiago zu Hause
Am 8. Juni lief in verschiedenen Santiaguiner Kinos sein Liebesdrama «El vacío»
(«Die Leere») an. Gustavo Graef Marino führte nicht nur die Regie, sondern schrieb auch das Drehbuch und übernahm die Produktion. Der Deutsch-Chilene drehte bisher in Chile, Deutschland und den USA. Nicht nur Filmexperten erinnern sich an seinen Krimi «Johnny 100 Pesos», der ihm 1993 internationale Anerkennung einbrachte.
«Johnny 100 Pesos» war sein zweites abendfüllendes Werk. Das erste drehte er, nachdem er die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film absolviert hatte. «Dieser Film hat mein Leben verändert, keine Frage», bekennt Graef Marino, «er hat dazu meine Kollegen angespornt, etwas anderes zu schaffen als das damals Übliche, wobei dabei unbedingt das Publikum berücksichtigt wird.» Es ging ihm darum, «nicht mehr einen Film zu machen, der einem Genre zuzuordnen ist, der nicht unbedingt ein persönlicher oder intimer Film ist, sondern mit dem man sich einem großen Publikum öffnet. Das hat er, glaube ich, erreicht.»
Der Streifen lief nicht nur in Chile, sondern wurde von zahlreichen Verleihern aus dem Ausland angekauft, worauf er in Nordamerika, Japan und Europa sowohl in den Kinos als auch auf diversen Plattformen angeboten wurde. Graef Marinos Triumph hatte zur Folge, dass er in die USA eingeladen wurde, um dort weitere Filmproduktionen zu übernehmen. So kam es, dass der Regisseur die zehn nächsten Jahre in Nordamerika lebte. «Johnny 100 Pesos» ist für Gustavo Graef Marino «ein sehr geliebtes Kind, das übrigens heute noch Erfolg hat, wenn es gezeigt wird». Vor der Premiere vor 30 Jahren hoffte er natürlich auf Anerkennung. Als der Titel sich jedoch als internationaler Volltreffer entpuppte, war sein Schöpfer bass erstaunt. Heute glaubt er, dass dieser Erfolg dem Umstand zu verdanken sei, «dass er die Seele von dem berührte, was in Chile damals geschah. Dem Film glückte es, einen Dialog zwischen dem, was auf der Leinwand geschah und den Zuschauern aufzubauen, in dem das Publikum sich mit der Tragödie, die der junge Student erlitt, identifizierte».
Gustavo Graef Marino beendete im Jahr
1981 in München erfolgreich sein Studium als
Film- und Fernsehregisseur an der Hochschule für Film und Fernsehen. Daraufhin blieb er 15 Jahre in Deutschland. Dort entstanden seine ersten Filme, darunter der Langspielfilm «Die Stimme». Nach dieser langen Zeit «empfand ich, dass ich dabei war, die Fähigkeit, mich überraschen zu lassen, zu verlieren – etwas, was für einen Filmregisseur wesentlich ist!»
Während seines Chile-Besuches im Oktober 1990 fand ein Überfall mit Geiselnahmen im Stadtzentrum von Santiago statt. Die Gewalttat zog sich über Stunden hin und wurde vom Fernsehen live übertragen. Graef Marino begriff sofort: «Das ist eine Filmhandlung!», und seine Neugierde lebte wieder auf.
Nach dem Erfolg von «Johnny 100 Pesos» arbeitete der Regisseur einige Jahre in Chile, bis es ihn wieder in die Ferne trieb. Diesmal ging er in die USA, wo er zehn Jahre lebte und zwei Filme drehte, darunter «Diplomatic Siege», mit Peter Weller, Daryl Hannah und Tom Berenger. «Ich habe das System beschnuppert, habe in Hollywood gearbeitet, es hat alles gut geklappt, man wird dort gut bezahlt und nach einiger Zeit bin ich nach Chile zurückgekehrt», fasst er diese Erfahrung zusammen. In der Heimat angelangt, «habe ich wieder diese Neugierde entdeckt, dieses Aufbrechenwollen der Gefühle und der Welt, in der man ist». Diese Empfindungen motivierten ihn, seinen letzten Film in Angriff zu nehmen.
«El vacío» hatte am 8. Juni in Santiago Premiere. Gustavo Graef Marino schrieb dazu das Drehbuch, übernahm die Produktion und führte natürlich die Regie. Ein gewaltiges Arbeitspensum, wie er erklärt: «Als Regisseur merkt man mit der Zeit, dass man nicht darauf warten kann, dass jemand kommt und einem sagt, hier haben Sie ein Drehbuch, ich möchte, dass Sie es verfilmen. So ist das nicht und daher wurde in mir das Interesse wach, meine eigenen Geschichten aufzuschreiben.» Er machte während der Pandemie gerade einen Lebensabschnitt durch, in dem er das Bedürfnis verspürte, seine Erfahrungen zu Papier zu bringen. Beim täglichen Spaziergang durch den Parque Forestal nahm er ein Notizbuch mit, in dem er seine Gedanken festhielt: «Nach zwei Wochen war das Heftchen voll, ich schrieb die Texte mit dem Computer ab und alsbald war das Drehbuch fertig.»
Zweieinhalb Monate später begann er den Stoff zu verfilmen: «Diese Erzählung, die als das Nachdenken über die Welt und die Stimmung, während der Covid-Zeit anfing, verwandelte sich letztendlich in ein Drama und spiegelte eine Schaffensperiode eines Künstlers wider.» Der Streifen handelt von einem alternden Filmregisseur, der sich auf ein Verhältnis mit einer 25 Jahre jüngeren Frau einlässt. Durch die Geldschwierigkeiten des Mannes, der von seinen vergangenen Erfolgen träumt, zerbricht die zunächst leidenschaftliche Beziehung. Der stolze Künstler lässt sich nicht von der wohlhabenden Frau unterstützen, was einer Wiederannäherung nicht gerade förderlich ist.
Gustavo Graef Marino nahm das komplexe, risikoreiche Projekt unerschrocken in Angriff, was nicht zuletzt, wie es auch mit seinen vorherigen Projekten der Fall war, auf seine familiäre Herkunft und Ausbildung zurückzuführen ist. Er besuchte vom Präkindergarten bis zum IV Medio die Deutsche Schule Santiago. «Es war eine der schönsten Zeiten in meinem Leben», sagt er spontan, «und danach waren wir zehn Klassenkameraden, die in München und Umgebung studierten. Wir trafen uns, sooft wir konnten!» Gegenwärtig organisiert seine Klasse eine Zusammenkunft zum 50. Jahrestag ihres Schulabschlusses. «Wir sind 31 Klassenkameraden», erzählt er, «und 28 haben bereits zugesagt!»
Foto: Raúl Podestá