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viernes, 20. septiembre 2024
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Pfingsten – ein Fest für das Zusammenleben in Vielfalt

Von Karl Michael

Der «Pfingstgeist» auf einem Fenster der Versöhnungskirche der Communauté de Taizé 

Es scheint ein Zufall zu sein, dass ich vor einem Jahr in der Communauté de Taizé im französischen Burgund mit einer Gruppe von Theologiestudenten der Universität Leipzig Pfingsten feierte und nun diesen Text über das christliche Fest des Heiligen Geistes schreibe. 

Im Mai 2022 hatte ich die Gelegenheit, eine Woche in Taizé zu verbringen. Dieses kleine französische Dorf, umgeben von Weinbergen und Feldern, ist die Heimat der gleichnamigen religiösen Gemeinschaft. So abgelegen sie auch sein mag, so zieht Taizé doch Tausende von Menschen an, vor allem junge Menschen, die dort eine Zeit der Selbstbesinnung und Spiritualität erleben. Viele von ihnen bleiben für eine Woche in der Gemeinschaft, andere entscheiden sich für einen Freiwilligendienst und bleiben für Monate oder sogar ein Jahr an diesem wunderschönen Ort. 

Zweifellos ist die Erfahrung von Taizé unglaublich. Hier ist der Tag um die Gebete herum organisiert, die dreimal am Tag stattfinden. In der übrigen Zeit muss jeder eine kleine freiwillige Arbeit verrichten, zum Beispiel das Geschirr für das Mittagessen, den Garten pflegen, die Kirche reinigen oder neue Besucher willkommen heißen. Außerdem gibt es Vorträge und Workshops, bei denen man sich mit Menschen aus aller Welt austauscht: von Holland und Portugal bis zu den Vereinigten Staaten und Hongkong. 

In Taizé kommen wir alle aus unterschiedlichen Verhältnissen, mit verschiedenen religiösen Hintergründen, verschiedenen Sprachen, verschiedenen Ethnien, verschiedenen Kulturen und Lebensanschauungen. Es ist jedoch erstaunlich zu sehen, wie wir es trotz dieser Unterschiede schaffen, gemeinsam in einem Raum zu leben, in dem wir uns spirituell verbinden. 

Pfingsten ist wahrscheinlich nicht eines der bekanntesten christlichen Feste, wie es Weihnachten oder Ostern ist. Es hat jedoch eine sehr kraftvolle und aktuelle Botschaft für unseren Kontext. Das Pfingstfest ist inspiriert von der Geschichte in der Apostelgeschichte 2, in der der Geist Gottes wie eine Feuerzunge auf eine große Menschenmenge herabkommt. In diesem Moment sind Parther, Meder, Elamiter, Römer, Juden und Araber in der Lage, einander trotz der Sprachunterschiede zu verstehen. Der Heilige Geist sorgt dafür, dass die Barrieren zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen kein Hindernis mehr für das gegenseitige Verständnis darstellen. Pfingsten zeigt uns, dass die Botschaft Gottes allen Menschen gilt und über die Unterschiede der einzelnen Gruppen hinausgeht. 

Wie in der Apostelgeschichte ist es in Taizé möglich, die Einheit zu erleben, die der Geist Gottes hervorbringt. Abgesehen davon, dass die englische Sprache die Kommunikation unter den Teilnehmern erleichtert, gibt es einen Geist der Gemeinschaft, der den Aufenthalt in Taizé von einem starken Gefühl der Einheit und Harmonie prägt.  Dennoch habe ich mich in Taizé gefragt: Ist es möglich, diesen Pfingstgeist zu leben, wenn ich nach Hause zurückkehre? Wie kann ich in der vielfältigen Gesellschaft, in der ich lebe, Einheit finden und den Dialog fördern? 

In letzter Zeit haben wir als Land und als Welt einen Mangel an Dialog zwischen den Menschen erlebt, insbesondere wenn Unterschiede als trennende Elemente benutzt werden. An Beispielen dafür mangelt es nicht. Kriege, wie der in der Ukraine, Situationen, die zu starken Spannungen führen, wie der Prozess der neuen Verfassung in Chile oder die Fremdenfeindlichkeit, die in bestimmten Teilen der Bevölkerung aufgetaucht ist, zeigen, wie sehr es an Verständnis und Offenheit gegenüber dem anderen mangelt. 

Wenn ich über diese Fragen nachdenke, muss ich immer an einen berühmten chilenischen Wissenschaftler denken, den verstorbenen Humberto Maturana. Für Maturana ist Liebe definiert als «die andere Person erscheinen lassen». Das heißt, den anderen so erscheinen zu lassen, wie er oder sie ist, und alle Vorurteile, die man über ihn oder sie hat, beiseite zu lassen. Dies bedeutet zweifellos eine große Anstrengung, denn es bedeutet, die Theorien oder Annahmen, die ich über den anderen habe, hinter mir zu lassen, vor allem, wenn er oder sie anders ist als ich, und dem anderen zu erlauben, sich in seiner Ganzheit zu zeigen. 

Ich denke, dass Pfingsten uns irgendwie dazu einlädt, diese Art von Liebe zu leben. Damit es einen Dialog und eine Gemeinschaft zwischen den Menschen geben kann, wie es vor 2000 Tausend Jahren in der Apostelgeschichte geschah oder wie es in Taizé geschieht, ist es notwendig, dass ein Teil von uns Raum für das Leben und die Erfahrung des anderen Menschen schafft. Es ist wie das Bild des Feuers in der biblischen Pfingstgeschichte. Einerseits kann es Schmerz erzeugen, so wie das Aufgeben unserer eigenen Urteile über den anderen für unser Ego etwas schmerzhaft sein kann. Andererseits ist das Feuer in der Lage, uns zu erleuchten und uns neue Wege sehen zu lassen, die wir vorher nicht wahrnehmen konnten. So glaube ich, dass Fragen wie die folgenden uns zum Nachdenken anregen und Wege aufzeigen können, die durch den
Dialog erhellt werden, wenn ich jemandem begegne, der anders ist als ich: Warum denkt dieser Mensch so? Was hat ihn oder sie dazu gebracht, so zu sein? Welche Erfahrungen hat er oder sie gemacht? Gibt es eine ähnliche Erfahrung, die ich mit ihm oder ihr machen kann? Was ist das Menschliche, das wir gemeinsam haben?

Ich wünsche uns, dass wir auf diese Weise in unserem Leben den Geist des Dialogs und des Verständnisses erfahren, den uns Pfingsten offenbart. Frohe Pfingsten für alle!.

Foto: Archiv

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