Die «Wiege» der deutsch-chilenischen Institutionen Valparaísos
Der Deutsche Verein zu Valparaíso wurde am 9. Mai 1838 gegründet und ist nicht nur in Chile, sondern in ganz Südamerika eine der ältesten deutschen Institutionen. In seiner knapp zwei Jahrhunderte alten Geschichte erlebte der Deutsche Verein die Blütezeit Valparaísos genauso mit wie mehrere Erdbeben und schwierige Zeiten während der beiden Weltkriege.
Die Gründungsgeschichte begann an einem sommerlichen Dezembertag im Jahr 1837: Da trafen sich die drei Deutschen Friedrich Muchall, Alfred Poppe und Franz C. Kindermann im Wirtshaus Polanco in der Calle Simpson nahe der heutigen Avenida Argentina. Bei einem Half-and-Half-Bier, einer Mischung aus Pale Ale und Schwarzbier, sprachen sie über die Gründung eines Deutschen Vereins. Sie wollten einen Ort der Zusammenkunft für die vielen Deutschen aufbauen, an dem kulturelle Veranstaltungen von und für die Gemeinschaft abgehalten werden sollten.
«Ein Mittel erheiternden geselligen Umgangs»
Die Idee fand großen Anklang und wenige Monate später wurde am 9. Mai 1938 das Gründungsprotokoll von 27 Mitgliedern unterzeichnet. Darin hieß es wörtlich: «Die Vorgezeichneten haben sich vereinigt, zur Bildung einer Deutschen Gesellschaft zu Valparaíso, in der Absicht, den sich hier aufhaltenden Deutschen und Deutschsprechenden ein Mittel erheiternden geselligen Umgangs zu verschaffen.» Das bedeutete, dass von Beginn an auch Angehörige anderer Nationen Mitglied werden konnten. Daher waren von Anfang an auch viele Skandinavier und Engländer Vereinsmitglieder.
Da ein relativ hoher Mitgliedsbeitrag erhoben wurde, gehörten vor allem Unternehmer, Großhändler oder Akademiker zu den ersten Mitgliedern.
Bemerkenswert ist, dass die Gründer den Namen Deutscher Verein wählten: 1838 bestand Deutschland noch aus verschiedenen Königreichen, Fürsten- und Herzogtümern sowie den freien Hansestädten. Die nach Chile eingewanderten Deutschen kannten noch kein vereintes Deutschland, wie es erst durch Bismarck mit dem Deutschen Reich im Jahr 1871, also über 30 Jahre später, gegründet wurde.
Das erste Vereinslokal war in einem kleinen, bescheidenen Haus an der Plaza Matriz untergebracht. Als aber die Einwohnerzahl Valparaísos schnell anstieg, nahm auch die Zahl der Deutschen in der Hafenstadt
und damit auch die Mitgliederzahl des Deutschen Vereins zu. Als die Mitgliederzahl auf 100 angewachsen war, zog der Verein 1853 zum zweiten Mal um. Das Lokal in der Calle Cabo, der heutigen Calle Esmeralda, bot seinen Besuchern einen Musiksaal und mehrere Spielzimmer, in denen man unter anderem Billard spielen konnte. Bald wechselte der Verein ein drittes Mal den Standort: Das größere Haus war an der Plaza Mayor, an der heutigen Plaza Echaurren. Im neuen Vereinsheim war erstmals eine umfangreiche Bibliothek untergebracht.
Unter der Leitung des musikalischen Vereinsvorsitzenden Friederich Muchall wurde der Mitgliederchor in der Stadt sehr bekannt und beliebt, besonders nach der erfolgreichen von Dr. Aquinas Ried komponierten Festmesse in der neuen Kirche La Matriz.
In den folgenden Jahrzehnten stand die Gründung der vielen deutsch-chilenischen Institutionen in enger Verbindung mit dem Deutschen Verein: der Turnverein, die Evangelische Kirche, der Ausflugsverein, der Ruderverein, das Krankenhaus, der Frauenverein, die Handelskammer, die Burschenschaft Ripuaria und auch die Deutsche Schule.
Neuanfang nach Erdbeben und Weltkriegen
Doch nachdem die Vereinsräume erst im Jahr 1858 und dann noch einmal im Jahr 1886 durch einen großen Brand zerstört wurden, zog der Verein zunächst in die Calle Blanco und dann von hier aus, 1926, endlich in ein eigenes Haus, in den Palacio Ross in der Calle Salvador Donoso, Ecke Bellavista. Das ehrwürdige, schöne Gebäude konnte mit der Unterstützung aller Mitglieder gekauft werden. Bis heute ist
das Monumento Histórico mit seinen drei Stockwerken und über 30 Räumen Mittelpunkt des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens der deutsch-chilenischen Gemeinschaft in der 5. Region.
Im Jahr 1930 wurde das zur Calle Bellavista angrenzende Grundstück erworben und das Vereinshaus mit einem Neubau erweitert.
Anfang des 20. Jahrhunderts
sank der Stern Valparaísos. Zunächst erschütterte 1906 ein heftiges Erdbeben die Stadt und brachte viele wichtige Gebäude zum Einsturz. Acht Jahre später wurde der Panamakanal für den Schiffsverkehr geöffnet, und die Küstenstadt verlor schnell an wirtschaftlicher Bedeutung.
Auch der Erste und dann der Zweite Weltkrieg waren für die deutsch-chilenische Gemeinschaft eine sehr schwierige Zeit: Die sogenannten schwarzen Listen wurden erstellt. Es war für die Alliierten verboten, mit den Kaufleuten, deren Namen sich
auf den Listen befanden, Geschäfte zu betreiben. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der Abbruch der diplomatischen
Beziehungen zwischen Deutschland und Chile 1943 betraf fast alle in Valparaíso ansässigen Geschäftsleute mit deutscher Nationalität oder Abstammung. Viele Banken und Geschäftshäuser mussten schließen und dieses Mal waren Mitglieder des Deutschen Vereins direkt betroffen. Einige mussten sogar die Stadt vorübergehend verlassen, manche entschlossen sich in der Zeit, dem Land ganz Lebewohl zu sagen.
Der Deutsche Verein überstand aber auch diese Krisen. Ab den 1960er Jahren fanden wieder die Winterbälle, Kerzenfeste, Silvesterfeiern, Empfänge und Abschiedscocktails für deutsche und chilenische Würdenträger sowie auch Ordensverleihungen, Festkommerse der Burschenschaften, Hochzeiten, Weihnachtstees
und Modeschauen statt. Im Mai 1963 wurde das 125-jährige Jubiläum mit einer großen glanzvollen Feier begangen.
Großen Schaden fügten dem Vereinsgebäude dann die Erdbeben von 1965, 1971 und 1985 zu.
Dank Spenden der Mitglieder konnte das Gebäude wieder aufgebaut werden. (Siehe auch Seite 5 und das Interview auf den nächsten Seiten 8 und 9.).
Fotos und Quelle: Deutscher Verein Valparaíso