Kämpfer für Freiheit und Gleichberechtigung
John Stuart Mill war einer der brillantesten Köpfe des 19. Jahrhunderts: Der englische Philosoph und Ökonom gilt als einer der bedeutendsten Vordenker des Liberalismus und des Utilitarismus. Durch seine Frau Harriet beeinflusst wurde er zu einem der ersten Verfechter der Gleichberechtigung der Frauen.
Eine strenge philosophische Erziehung
John Stuart Mill wurde am 20. Mai 1806 als erstes von insgesamt neun Kindern von James Mill und Harriet Murrow in Pentonville, Großbritannien, geboren. Sein Vater war zunächst presbyterianischer Prediger, dann Lehrer für Philosophie und Geschichte. Gemeinsam mit dem britischen Juristen, Philosophen und Sozialreformer Jeremy Bentham war er einer der Verfechter des klassischen Utilitarismus, d.h. einer gedanklichen Richtung, die den Nutzen für den Einzelnen und für die Gesellschaft in den Mittelpunkt ihrer philosophischen, politischen und wirtschaftlichen Überlegungen stellt. Der Vater vermittelte seinem hochbegabten ältesten Sohn diese Denkrichtung. Bereits mit drei Jahren erhielt der Junge seine erste Griechischlektion, und mit zehn Jahren beherrschte er Latein auf einem universitären Niveau. Zu den klassischen Sprachen kamen später noch Französisch und Deutsch hinzu.
In seiner frühen Kindheit las er zudem die Fabeln des griechischen Dichters Äsop im Original, später dann auch Werke von Xenophon, Herodot, Diogenes, Lukian von Samosata und Isokrates. Streng beaufsichtigte der Vater dann auch das Studium der Arithmetik. Der junge Mill fand seine «Erholung» in der Lektüre von Plutarch und der «Geschichte Großbritanniens» von David Hume. Mit acht Jahren lehrte er selbst seinen jüngeren Geschwistern Latein, mit 13 Jahren beschäftigte er sich mir der politischen Ökonomie, hier besonders mit den Theorien von Adam Smith und David Ricardo.
Frankreich und der Liberalismus
Der talentierte 14-Jährige begann in Montpellier das Studium der Chemie, Zoologie, Mathematik, Logik und Metaphysik. Die Unterkunft bei einem Bruder von Jeremy Bentham in der Nähe von Toulouse bot ihm erstmals in seinem Leben die Gelegenheit zu sozialen Kontakten mit Gleichaltrigen.
In Frankreich lernte er Vertreter des französischen Liberalismus kennen und begeisterte sich für die Ideale der Französischen Revolution von 1789, vor allem für das Aufbrechen der Ständeherrschaft, die für ihn die Grundlage zur Entwicklung eines liberalen Staates darstellte. Als er 1821 nach England zurückkehrte, kam er erstmals in Kontakt mit den Werken Benthams und wurde dadurch ein Anhänger des Utilitarismus. Er besuchte zusätzlich die Vorlesungen von Benthams Schüler John Austin am University College London. Im darauffolgenden Jahr gründete er mit Freunden die Utilitaristische Gesellschaft, wo gesellschaftspolitische und ethische Fragen diskutiert wurden. Ab 1825 machte sich Mill in der «London Debating Society» für eine «reine Demokratie» stark und wandte sich gegen die «schädlichen Einflüsse der Aristokratie». Mill war ab seinem 17. Lebensjahr fast 35 Jahre bei der Ostindischen Handelsgesellschaft tätig, wo er im Laufe seines Arbeitslebens verantwortungsvolle Positionen übernahm.
Individualismus und Liberalismus
Mit 20 Jahren machte John Stuart Mill eine geistige Krise durch, ein «Zustand der Niedergeschlagenheit» befiel ihn, wie er in seiner Autobiographie vermerkt. Diese Depression im Jahre 1826 führte zur kritischen Bewertung der Erziehung seines Vaters, der Überforderung in seiner Kindheit und des Fehlens der Gefühlsebene.
Eine zweite heftige Krise löste 1836 der Tod seines Vaters aus. In dieser Zeit entwickelte sich seine Überzeugung, dass die freie Entwicklung und Entfaltung der Persönlichkeit, die «innere Kultur des Individuums» – wie er es ausdrückt – von überragender Bedeutung ist.
In seiner politischen Philosophie lehnt er staatliche Strukturen mit autoritären Elementen nicht ganz ab: Er betrachtet sie als notwendig, soweit sie die Individuen von Fehlern abhalten und sie in ihren Rechten stärken. Mill lehnte somit einen radikalen wirtschaftlichen Liberalismus genauso ab wie einen antiindividualistischen Sozialismus. Für ihn war wichtig, dass es eine soziale Mindestabsicherung und ein politisches Mitwirkungsrecht der Bürger gibt. Gleichzeitig betonte er aber die Selbstverantwortung des Individuums und entwarf ein Mehrklassenwahlrecht auf Basis des Bildungsstands, da er eine Herrschaft des «ungebildeten Pöbels» – man könnte hier auch von der Gefahr des Populismus sprechen – vermeiden wollte. Es wäre demnach eine Art «Bildungsdemokratie» in einem liberalen Sozialstaat.
Harriet Taylor – von der «Seelenfreundin» zur Ehefrau
1830 lernte er die wortgewandte, kluge und schöne Harriet Taylor kennen. Sie war nach seinem Vater die ihn am stärksten prägende Persönlichkeit. Harriet war 20 Jahre alt und verheiratet, verliebte sich aber in den zwei Jahre älteren Mill und wurde zunächst seine «Seelenfreundin». Erst zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes wurde sie dann 1851 Mills Ehefrau.
Harriet war eine der radikalsten feministisch-politischen Denkerinnen des 19. Jahrhunderts und setzte sich für die Frauenrechte ein. Sie beeinflusste Mills Werke maßgeblich – wie er selbst betonte, so etwa in «Über die Freiheit» (1859), «Betrachtungen über die Repräsentativregierung» (1861) und «Der Utilitarismus» (1863).
Mill wurde 1856 in die American Academy of Art and Sciences gewählt und 1864 Ehrenmitglied der Royal Society of Edinburgh. In der Ostindischen Gesellschaft erreichte er schließlich zum Zeitpunkt ihrer Verstaatlichung 1858 den Posten des Präsidenten des Prüfungsbüros. Er konnte sich dann kurze Zeit später mit einer großzügigen Rente von 1.500 Pfund aus dem Berufsleben verabschieden und sich ganz auf seine Studien konzentrieren. Im Winter 1858/1859 starb seine geliebte Frau Harriet in Frankreich an Tuberkulose.
Der Politiker und «Frauenrechtler»
Sieben Jahren nach dem Tod seiner Frau nötigte man Mills, sich zur Wahl für die Whigs, die liberale Partei, aufzustellen, und so zog er ins Parlament ein. Er erlangte großen Respekt, doch seine Haltung zum Scheidungsrecht stieß dann auf massiven Widerstand seiner Parteigenossen.
Er setzte sich für ein erweitertes Wahlrecht und Sozialreformen ein, zudem engagierte er sich für die Verwirklichung von Frauenrechten durch die Einführung eines Wahlrechts für Frauen im Juli 1866. Nahezu ein Drittel der anwesenden Parlamentarier stimmten für seinen Antrag. Er war nach Henry Hunt erst der zweite Abgeordnete, der im Parlament das Frauenwahlrecht forderte.
In «The Subjection of Women» (1869) verurteilt er die Unterdrückung der Frauen, die seiner Ansicht nach dem Fortschritt entgegensteht. «Die Welt», so schrieb er, «macht einen äußerst schweren Verlust, indem sie sich weigert, die Hälfte aller Talente, die sie besitzt, zu nutzen».
Da Mill einen erneuten Wahlkampf zu seiner Wiederwahl nicht selbst finanzieren wollte und zudem keine positive Bewertung in seinem Wahlkreis verbuchen konnte, zog er sich 1868 mit seiner Abwahl aus der Politik zurück. Sein kurzer Kommentar dazu war: «Ich wurde hinausgeworfen.»
Seine letzten Jahre verbrachte er in Avignon, wo er seine Autobiographie verfasste. Am 8. Mai 1873 starb er an einer Wundrose und fand seine letzte Ruhestätte im Marmorgrab an der Seite seiner Frau in Avignon.
Das John Stuart Mill Institut (sik) Aktueller denn je: Das 2009 in Heidelberg gegründete John Stuart Mill Institut lässt sich von seinem Namensgeber leiten. Im viktorianischen England hatte sich der einflussreichste liberale Denker des 19. Jahrhundert für die umfassende Einführung der Meinungsfreiheit eingesetzt. Es ist das einzige Institut in Deutschland, das Lehr- und Forschungsaufgaben wahrnimmt, die sich mit der Durchsetzung und Gefährdung der Freiheit in Geschichte und Gegenwart und ihrer kulturellen Bedingungen beschäftigt. Dabei steht die Definition der Freiheit des Individuums und sein Verhältnis zur Gesellschaft im Mittelpunkt, wie sie der englische Philosoph und Ökonom in seiner 1859 erschienenen Abhandlung «On Liberty» formulierte: «Die einzige Freiheit, die diesen Namen verdient, besteht darin, unser eigenes Wohl auf unsere eigene Art zu suchen, solange wir dabei nicht die Absicht hegen, andere ihrer Freiheit zu berauben oder ihre dahin zielenden Anstrengungen zu durchkreuzen.» Direktorin und Gründerin des John Stuart Mill Instituts ist die Frankfurter Professorin und Sozial- und Politikwissenschaftlerin Ulrike Ackermann..