Chiles topmotivierte Rekordschwimmerin
Kristel Köbrich ist nicht nur die erfolgreichste Schwimmerin Chiles. Kein Sportler vor ihr hat jemals an zehn Schwimmweltmeisterschaften teilgenommen – ein Rekord, der ihr einen Platz im Guinness-Buch beschert hat. Woher die 37-Jährige ihre Motivation und Kraft für ihre lange, erfolgreiche Laufbahn hernimmt? Im Interview mit dem Cóndor sagt sie: «Es gibt nichts Größeres für mich, als Chile als Sportlerin zu vertreten.»
Kristel Köbrich ist in einer sportbegeisterten Familie aufgewachsen: Beide Eltern, Michael und Silvia Köbrich, waren Sportlehrer. «Da sind meine beiden Schwestern und ich natürlich ganz früh an den Sport herangeführt worden», erklärt Kristel.
Michaels Liebe galt der Leichtathletik. Ihre argentinische Mutter schwamm für ihr Land in der Nationalmannschaft. Viele Jahre übte Kristel beide Sportarten aus. Als sie dann immer besser und das Training immer anspruchsvoller wurde, musste sie sich entscheiden. Die Wahl fiel auf das Schwimmen.
«Meine zwei älteren Schwestern haben dabei eine ganz wichtige Rolle gespielt. Sie haben nicht nur als Sportlerinnen, sondern auch mit ihrer Persönlichkeit großen Einfluss auf mich gehabt», sagt Kristel. Katherinne und Stephanie waren schon vor ihr Leistungsschwimmerinnen und nahmen an internationalen Wettbewerben teil. Kristel hat beide beim Training begleitet und bemerkt, «wie viel Freude es ihnen machte, ihr Land zu vertreten». Es habe ihr auch deutlich gemacht, dass dazu ein klarer Rahmen, ein Trainingsplan und Disziplin gehörte, um die entsprechende Leistung erbringen zu können.
«An meine Kindheit habe ich die schönsten Erinnerungen», sagt sie rückblickend. Besonders an den Club Manquehue, über den sie feststellt: «Das ist mein Club!» Jeden Sonntag sei sie dort mit ihrem Großvater zum Schwimmen hingegangen und «die ganze Familie hat dort viele schöne Stunden verbracht».
Auch in ihrer Schule, der Deutschen Schule Santiago, habe sie sich unterstützt gefühlt. «Doch natürlich gibt es bestimmte Regeln und irgendwann wurde klar, dass ich nicht beides gleichzeitig gut machen kann: die Schule und den Sport.» Das wurde ihr vor allem deutlich vor Augen geführt, als die Schwimmerin begann, an internationalen Wettbewerben teilzunehmen: «Ich bin immer jemand gewesen, der gut beobachtet hat. Und ich merkte während der Wettkämpfe, an denen die Spitzensportler ermittelt werden, dass ich etwas anders machen musste, wenn ich mit ihnen konkurrieren wollte. Es ging nicht um die Infrastruktur, sondern die Art und Weise des Trainings.» In dieser Zeit lernte sie ihren argentinischen Trainer Daniel kennen – «ein wahres Geschenk», wie sie sagt. Sie entschied, ihr Training in Córdoba fortzusetzen und nach Argentinien zu ziehen, wo sie bis heute lebt und trainiert. Einfach sei die Entscheidung nicht gewesen: «Meine Familie war nicht einverstanden, aber ich war überzeugt, das für mich richtige zu tun. Und ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mich meinen Weg haben gehen lassen, auch wenn ich erst 18 Jahre alt war.»
Weitere Erfolge und Auszeichnungen folgten: Nachdem sie 2003 eine für Chile historische Bronzemedaille bei den Panamerikanischen Spielen gewonnen hatte, wurde sie als Fahnenträgerin für ihr Land bei den Olympischen Spielen 2004 ausersehen – für Kristel ein besonderer Höhepunkt ihrer Sportlerlaufbahn. In den Jahren 2008, 2012 und 2016 nahm sie ebenfalls an den Olympischen Spielen teil.
2021 und 2022 erhielt die Athletin den Preis als beste Sportlerin Lateinamerikas in ihrer Disziplin. Diese Auszeichnung wurde ihr letztes Jahr von der Fach-Internetseite Swim Channel nach ihren Erfolgen bei den Südamerikanischen Spielen in Asunción, Paraguay, verliehen: die Goldmedaille über 1.500 Meter Freistil sowie die Silbermedaillen über 400 und 800 Meter. Bei der Fina-Weltmeisterschaft 2022 in Budapest kam sie in 1.500 Meter Freistil auf den achten Platz.
Ihr hohes Leistungsniveau hält Kristel durch regelmäßiges und diszipliniertes Training von montags bis samstags. Das sind neben zwei Mal am Tag Schwimmen, insgesamt rund acht bis zehn Stunden, außerdem an einigen Tagen Fitness- und mentales Training und immer wieder zwischendurch Ruhephasen.
Es ist trotz ihrer Erfolge auch vorgekommen, dass sie gezweifelt und sich gefragt habe, «warum ich das eigentlich mache». Die stärkste Motivation erfahre sie durch ihr großes Ziel: «Es gibt nichts Schöneres für mich, als Chile in den Wettbewerben zu vertreten – das möchte ich gegen nichts eintauschen. Darauf konzentriere ich mich und versuche mich als Sportlerin, aber auch als Persönlichkeit weiterzuentwickeln.» Von klein auf habe sie zudem gelernt, in schwierigen Momenten, die Hilfe von anderen einzufordern, wie von ihrer Familie oder von ihrem Trainer. Auch ihre Mannschaft gibt ihr Rückhalt.
Nicht alle Menschen in ihrem Umfeld haben sie während ihrer Laufbahn unterstützt; sie habe – gerade auch als Frau – sehr unangenehme Situationen erlebt, die vielleicht eine schwächere Persönlichkeit aus dem Gleichgewicht gebracht hätten: «Doch im Endeffekt bin ich dadurch gewachsen und es hat mich innerlich gestärkt.»
Wenn sie darüber nachdenkt, was sie in ihrer langen Laufbahn besonders stolz macht, sagt sie: «Dass ich mir immer selbst treu geblieben bin. Ich habe selbst meine Entscheidungen getroffen und meine Konsequenzen gezogen.»
Es freut die Ausnahmesportlerin, dass viele ihre Anstrengungen miterleben und ihre Erfolge bejubeln: «Es ist toll, den Applaus, zum Beispiel in den sozialen Netzwerken, zu erleben.» Kristel Köbrich will auch Kinder und Jugendliche durch ihre eigenen Erfahrungen motivieren: «Sport ist einfach etwas Tolles! Wenn du das liebst, was du tust, dann widme dich dem mit deiner ganzen Leidenschaft!»
Foto: privat