Ein sensibler Tastenlöwe, kraftvoll und virtuos
Wenn von Sergei Rachmaninow die Rede ist, dann geht es mit Sicherheit um seine Beiträge als Pianist und seine Kompositionen für Klavier. Niemand käme auf die Idee, dass sein erster großer Erfolg eine Oper war.
Am Moskauer Konservatorium musste der junge Musiker als Abschlussarbeit im Fach Komposition eine einaktige Oper schreiben. Rachmaninow komponierte «Aleko», ein Eifersuchtsdrama mit Mord und Totschlag, das sich im Zigeunermilieu abspielt. Die Prüfungskommission war von dem Werk so beeindruckt, dass sie dem Autor die «Große Goldmedaille» verlieh. Am 27. April 1893 wurde «Aleko» im Moskauer Bolschoi-Theater uraufgeführt. Die triumphale Premiere hatte in der Presse ein derartig positives Echo, dass der junge Komponist augenblicklich bekannt wurde.
Sergei Rachmaninov wurde am 1. April 1873 – vor 150 Jahren – auf dem Gut Semjonowo geboren. Die Mutter besaß fünf Ländereien, die der Vater verwaltete. Wassili Rachmaninow, der ebenso gutmütig wie inkompetent in wirtschaftlichen Dingen war, führte die Betriebe innerhalb von zehn Jahren in den finanziellen Ruin. Nachdem er das letzte Gut aufgeben musste, zog die Familie nach Sankt Petersburg, worauf sich das Ehepaar trennte.
Sergei bekam seit dem vierten Lebensjahr von seiner Mutter Klavierunterricht. Er war begabt und zeigte Interesse. Es war früh offensichtlich, dass er den Musikerberuf ergreifen würde. Allerdings war es für ihn zeitweise äußerst schwierig, dass die aufgrund des Versagens seines Vaters sehr verarmte Familie seine Ausbildung finanzieren konnte.
Bereits vor der erfolgreichen Premiere von «Aleko» hatte Rachmaninow sein Klavierkonzert Nr. 1 fertiggestellt. Im März 1892 spielte er den ersten Satz im Rahmen eines Konzerts im Konservatorium und erreichte dabei einen außerordentlichen Erfolg.
In den folgenden Jahren entstanden verschiedene Klavier-, Kammer- und Orchesterwerke, die von Rachmaninows Verleger Karl Gutheil allesamt angenommen wurden. Der junge Schöpfer fühlte sich von diesem Rückhalt gestärkt und begann, einen verschwenderischen Lebensstil zu führen. Bald stellten sich finanzielle Schwierigkeiten ein. 1897 fiel seine erste Sinfonie bei Kritik und Publikum durch, obwohl die Aufführung von keinem geringeren als Alexander Glasunow dirigiert wurde. Glasunov verriet später in einem Kreis von Vertrauten, dass er das Werk betrunken dirigiert hatte. Zu dem Misserfolg und den erbarmungslosen Rezensionen kam noch die negative Meinung des Schriftstellers Lew Tolstoi hinzu, der bei einem Privatkonzert gewesen war, in dem Stücke Rachmaninows gespielt worden waren. Der Komponist verfiel in eine Depression und verfasste vorerst keine Musikstücke mehr.
Dirigent am Bolschoi-Theater
Der herausragende Psychiater Nikolai Dahl konnte ihn erfolgreich behandeln, Rachmaninow begann wieder zu komponieren. So entstand sein zweites Klavierkonzert, das heute zu seinen beliebtesten Werken gehört. Außerdem engagierte das Bolschoi-Theater ihn als Dirigenten. Er setzte bei den trägen Musikern strenge Disziplinregeln durch, womit er kurzfristig die Qualität des Orchesters merklich verbesserte.
Rachmaninow war nun international bekannt. Ab 1906 reiste er regelmäßig nach Dresden, wo er die 2. Sinfonie komponierte. 1909 unternahm er eine Gastspielreise in die USA, für die er das dritte Klavierkonzert schrieb, ein technisch überaus schweres Werk.
Um 1910 begann Alexander Skrjabin sich für neue Tendenzen in der Tonalität einzusetzen. Rachmaninow war mit dieser Richtung überhaupt nicht einverstanden. Sein Harmonieverständnis war eher konservativ, eine Leitlinie, die er bis zuletzt beibehielt. Skrjabins Anhänger verziehen ihm dies nicht. Einer von ihnen, der Komponist und Kritiker Wjatscheslaw Karatygin schrieb etwa: «Das Publikum vergöttert Rachmaninow, weil er den durchschnittlichen Spießergeschmack trifft.»
Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs war an Auslandstourneen nicht mehr zu denken, das Musikleben in Russland wurde stark reduziert. Als 1917 die Oktoberrevolution ausbrach, erhielt der Komponist eine rettende Einladung zu einem Konzertauftritt in Schweden. Er sagte sofort zu und reiste mit seiner Familie ab – für immer.
Als Dirigent und Pianist international erfolgreich
Zunächst trat er als ausführender Künstler auf. Als Dirigent und Pianist war er international gefragt. Sein Spiel war sensibel und dabei ungemein kraftvoll und virtuos, er wurde als wahrer Tastenlöwe gefeiert.
1930 baute er sich eine Villa am Vierwaldstätter See, wo er wieder zum Komponieren kam. 1942 kaufte er auf Anraten seines Arztes, der ihm ein warmes Klima empfahl, ein Haus in Beverly Hills. Hier empfing er Wladimir Horowitz, mit dem er vierhändig Klavier spielte, ohne Publikum, zur reinen Unterhaltung. Auch Igor Strawinsky kam einmal zum Abendessen. Beide Landsmänner teilten bei der Gelegenheit ihre Sorge um das im Krieg zerstörte Russland.
Im Februar 1943 trat er, obwohl seine Gesundheit alles andere als gut war, seine letzte Konzerttournee an. In Florida fühlte er sich dermaßen schlecht, dass er die Reise abbrechen musste. Die ärztliche Untersuchung ergab, dass er an einer aggressiven Hautkrebsart erkrankt war. Sein Zustand verschlechterte sich rapide, bis er am 28. März starb.
Sergei Rachmaninow war einer der größten Pianisten seiner Zeit. Er spielte sauber, präzise, mit einem untrüglichen Sinn für Rhythmus. Sein Staccato war legendär. Er ging bei jedem Werk davon aus, das dieses einen Höhepunkt hat, den der Interpret entdecken und sich ihm mit absoluter Präzision und Berechnung nähern muss, da sonst die gesamte Konstruktion auseinanderfallen könnte. Als Komponist gilt er heute zwar als letzter Spätromantiker des 19. Jahrhunderts, die Qualität seiner Werke ist jedoch indiskutabel, weshalb er zu den Großen des 20. Jahrhunderts gezählt wird.