Die «Märzrevolution» erschütterte vor 175 Jahren die alte Welt – und ihr Scheitern hatte auch Auswirkungen auf die neue Welt. Die Aufständischen forderten demokratische Bürgerrechte, aber die deutschen Fürsten waren nicht bereit, ihre Macht abzugeben. Zwischen 1850 und 1870 verließen rund zwei Millionen enttäuschte Deutsche ihre Heimat, viele gingen in die USA – ein Teil auch nach Südamerika.
Die «Märzrevolution» ereignete sich zwischen März 1848 und Juli 1849 im Deutschen Bund, erfasste aber ausgehend von Frankreich nach und nach den größten Teil Europas: die italienischen Staaten, den gesamten österreichischen Vielvölkerstaat und Grenzzonen des Osmanischen Reiches auf dem Balkan. In Belgien, den Niederlanden, der Schweiz und auch in Skandinavien verstärkten sich Reformbewegungen.
Unterdrückung und Hungersnöte
Ziel der Revolutionäre war es, gegen die Restaurationspolitik vorzugehen, die die Zeit nach dem Wiener Kongress 1815 geprägt hatte. Die Politik der Restauration sollte die politischen Machtverhältnisse des Ancien Régime in Europa wiederherstellen, wie sie vor der Französischen Revolution von 1789 geherrscht hatten. Dies bedeutete die Vorherrschaft des Adels und die Wiederherstellung seiner Privilegien. Forderungen nach liberalen Reformen und nach nationaler Einigung wurden unterdrückt, Zensurmaßnahmen für junge Autoren wie Heinrich Heine oder Georg Büchner verschärft.
Vor allem die studentischen Burschenschaften forderten demokratische Bürgerrechte. Bereits im Oktober 1817 hatten sie sich bei dem sogenannten Wartburgfest aus Anlass des vierten Jahrestags der Völkerschlacht bei Leipzig und des 300. Jahrestags der lutherischen Reformation für die Deutsche Einheit eingesetzt.
Vorbote der Märzrevolution war das Krisenjahr 1847, dem eine schlimme Missernte 1846 vorausging. Hungersnöte in fast allen deutschen Staaten führten zu Hungerrevolten wie die «Kartoffelrevolution» vom April 1847 in Berlin.
Reformen und verfassunggebende Versammlung gefordert
Ihren Anfang nahm die Revolution von 1848 in Frankreich: Der Volksaufstand am 24. Februar in Paris fegte die Herrschaft von König Louis-Philippe von Orléans hinweg. Hatte der «Bürgerkönig» am Anfang seiner Regierung ab 1830 die Industrialisierung vorangetrieben, übersah er am Ende die sozialen Probleme im eigenen Land.
Die südwestlichen Staaten des Deutschen Bundes wurden zum Zentrum der Entwicklung: Nur einige Tage später, am 27. Februar, verlangte die selbsternannte Mannheimer Volksversammlung Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, eine unabhängige Rechtsprechung, Gleichberechtigung und politisches Mitspracherecht für alle Bürger. Zwei Tage später setzte der Bundestag in Frankfurt am Main einen Ausschuss ein, der Vorschläge formulieren sollte, um die Aufständischen zu beruhigen. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 wurden aufgehoben, Pressefreiheit gewährt und die bis dahin verbotenen Farben Schwarz-Rot-Gold wurden die offiziellen Bundesfarben und eine gesamtdeutsche verfassunggebende Versammlung wurde einberufen.
Doch die Fürsten im Deutschen Bund konnten die Revolution nicht aufhalten. Es erhoben sich nach und nach die Bürger der deutschen Lande und forderten Reformen und die Vereinigung aller Deutschen: Aufständische besetzten am 1. März das Ständehaus des badischen Landtags. Die demokratisch Gesinnten in Heidelberg verfassten eine programmatische Erklärung, die Impulse für die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung gab.
Barrikadenkämpfe in Berlin
Frustriert von ihrer sozialen Situation beteiligten sich Handwerksmeister und Gesellen an den blutigen Barrikadenkämpfen am 18. März 1848 in Berlin, bei denen mehr als 250 Menschen ums Leben kamen. Nun ging der preußische König Friedrich Wilhelm IV. auf die Forderungen ein und berief ein liberales «Märzministerium».
In seiner Proklamation «An mein Volk und an die Deutsche Nation» sagte er: «Preußen geht fortan in Deutschland auf.» Die Worte verhießen die deutsche Einheit und eine konstitutionelle Monarchie in Preußen. Ab dem 18. Mai 1848 tagte die erste frei gewählte deutsche Volksvertretung in der Frankfurter Paulskirche, um ein geeintes Staatswesen zu formen.
Aufstände in Österreich
In Österreich, der führenden Macht des Deutschen Bundes, stürmten die Revolutionäre am 13. März das Ständehaus. Den größten Wendepunkt für die Monarchie bedeutete der Rücktritt von Staatskanzler Klemens von Metternich. Der reaktionäre Diplomat war einer der bedeutendsten Verfechter der politischen Restauration und hatte 40 Jahre die Geschicke des Habsburgerreichs geprägt.
Doch erst als Kaiser Ferdinand I., der als führungsschwach galt, im Dezember seinem Neffen Franz Joseph die Regierungsgeschäfte übergab, trat zunächst die erhoffte Ruhe ein. Im Vielvölkerstaat an der Donau war die Situation kompliziert, da mit den Erhebungen wie in Ungarn auch Aufstände der Minderheiten, der Serben, Rumänen und Kroaten, einhergingen, auf deren Seite sich Habsburg stellte.
Am 3. Oktober kam es zum Krieg zwischen Österreich und Ungarn. Ministerpräsident Lajos Kossuth, der die ungarische Unabhängigkeitsbewegung anführte, hatte Kaiser Franz Joseph die ungarische Krone verweigert. Er musste im Dezember 1848 fliehen und Ungarn war wieder Kronland der Habsburger.
Sowohl den Ersten Italienischen Unabhängigkeitskrieg, der von Venedig ausgegangen war, als auch den Aufstand von tschechischen Nationalisten schlugen österreichische Truppen nieder.
Ende der Revolution
Auch in anderen Teilen des Bundes fanden die Erhebungen bald ihr Ende und die Revolution verlor ihren Schwung. Die individuelle und staatsbürgerliche Freiheit garantierenden Grundrechte wurden Bestandteil der «Verfassung des Deutschen Reiches», den die Nationalversammlung am 27. März 1849 verabschiedet. Doch letztlich fehlten ihr die Machtmittel, um sich durchsetzen. Friedrich Wilhelm IV: lehnte schließlich im April die von Nationalversammlung angetragene deutsche Kaiserwürde ab. Sie wurde aufgelöst und der Deutsche Bund mit dem Bundestag der Fürsten wieder eingesetzt.
Es gelang den Fürsten aber nicht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen: Die «Märzrevolutionäre» gaben Impulse, die langfristig zu Reformen, Demokratie und zu Nationalstaaten führten.
Quelle: Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49, Verlag: Suhrkamp.