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Zu Bertolt Brechts 125. Jahrestag

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Der Irrtum als Produkt

Bertold Brecht, 1954

Seine Dramen und Erzählungen sind im Deutschunterricht Schullektüre, er prägte das moderne Theater. Dennoch ist Bertolt Brecht eine umstrittene Figur der deutschen Literaturgeschichte.  Am 10. Februar wäre er 125 Jahre alt geworden.

«Woran arbeiten Sie?“ wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete: „Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.»

Diese kurze Parabel trägt den Titel «Mühsal der Besten». Sie gehört zu Bertolt Brechts Kalendergeschichten um Herrn K., oder auch Herr Keuner. Die Texte sind ein beliebter Stoff im Deutschunterricht, stellen sie doch Brechts Auseinandersetzung mit für ihn existenziellen Themen in äußerst komprimierter Form dar. Außerdem liegt im Entschlüsseln der Lehren, die sich in den amüsanten Pointen verbergen, auch für wenig sprachbegeisterte Leser ein Reiz. Die Pointe der hier ausgewählten Parabel ergibt sich in der Gegenüberstellung von Titel und Inhalt: Die Bemühungen der «Besten», erweisen sich im Resultat als «Irrtum». Ist der Titel also ironisch gemeint, die Parabel eine Kritik an den Bemühungen des Menschen, die an seiner Beschränktheit scheitern müssen? Oder ist Herr K.‘s Selbsteinschätzung als Irrender affirmativ zu verstehen: Er ist klug genug, sich der Unabgeschlossenheit seines Denkens bewusst zu sein und nicht so vermessen, seine Wahrheit als die endgültige auszuweisen? Eindeutig lässt sich dies nicht bestimmen.

Ein weiteres Rätsel, das die Parabel aufgibt, ist die Figur des Herrn K. selbst. Handelt es sich bei ihm um eine Art «Mann ohne Eigenschaften»? Brecht stammt schließlich aus Augsburg, in dessen Dialekt «keiner» als «koiner» ausgesprochen wird« – gleichlautend mit «Keuner». Man könnte ihn aber auch als Alter Ego Brechts verstehen. Dann ließen sich darüber Rückschlüsse auf das Selbstverständnis des Schriftstellers und Theatermachers ziehen: Seine Bemühungen zielten nicht auf ein fertiges Produkt ab, sondern immer schon auf den nächsten Irrtum.

Von Augsburg nach Berlin

Karikatur von Bertolt Brecht von Adolf Hoffmeister, 1961

Brechts literarischer Einfluss und seine Leistungen als Theaterschaffender und -theoretiker sind unleugbar. Sein Leben war turbulent. Am 10. Februar 1898 wird er im behüteten Augsburg geboren. Er kommt aus gutbürgerlichem Hause und erhält auf Wunsch seiner Mutter eine protestantische Erziehung. Ab 1917 studiert er in München Medizin, bis er 1918 als Lazarettarzt im Ersten Weltkrieg eingesetzt wird – eine Erfahrung die den jungen literaturaffinen Mann, der schon seit seiner Schulzeit Gedichte und Erzählungen verfasste, prägt und aus seinem stabilen Umfeld reißt. 

Seine Auseinandersetzung mit dem Theater intensiviert sich nach seiner Rückkehr, er schreibt erste Stücke. Mit dem Umzug nach Berlin 1924 beginnt eine Schaffensphase, die das Fundament von Brechts Hauptwerk bildet. Er ist in intellektuellen Kreisen gut vernetzt. Als Dramatiker, Librettist und Regisseur feiert er Erfolge, darunter 1928 die legendäre, von Kurt Weill vertonte Inszenierung der «Dreigroschenoper». 

Verbindung von Theaterpraxis und -theorie

Seine Arbeit ist dabei von einer intensiven Auseinandersetzung mit Politik- und Theatertheorie geprägt. Im Umkreis der Avantgarde beginnt Brecht sich mit dem Marxismus auseinanderzusetzen und auf dessen Grundlage ein neues Konzept zu entwickeln: das Lehrstück. Hier finden sich die Grundzüge von Brechts Theatermodell des epischen Theaters. Das Modell basiert auf dem Prinzip der Verfremdung, als Gegensatz zur Einfühlung: Die Handlung wird inszenatorisch unterbrochenen, zum Beispiel durch Kommentare, sodass die Zuschauer eine Distanz zum Gesehenen einnehmen und ein Reflexionsprozess angestoßen wird. Dem epischen Theater werden Brechts wohl bedeutendste Stücke zugeordnet, wie «Der gute Mensch von Sezuan» und «»Die Heilige Johanna der Schlachthöfe». Sie entstanden zu einem Großteil im Exil und entfalteten dementsprechend erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihre volle Wirkung und machten Brecht weltbekannt. 

Nach dem Reichstagsbrand 1933 flieht Brecht mit seiner Lebenspartnerin Helene Weigel aus Deutschland und gelangt über Umwege 1941 in die USA. In dem Land, das er sich als Kind als Paradies vorgestellt hatte, wird er aufgrund seiner kommunistischen Überzeugungen mit Misstrauen behandelt. 1948 kehrt er nach Deutschland zurück und lebte von der Gründung der DDR 1949 an in Ostberlin, wo er mit Weigel das Berliner Ensemble gründet, bis zu seinem Tod 1956.

Umstrittene Beziehung zu Frauen und DDR-Staat

Während Brechts Werk international gerühmt und sein Einfluss gewürdigt wird, ist er in Deutschland umstritten, sowohl in Bezug auf seine künstlerische Qualität als auch auf seine theoretischen Ausführungen. Dazu gelten seine charakterlichen Eigenschaften, wie seine Streitlust, und seine Haltung gegenüber Frauen als problematisch. Er vermengte Liebesbeziehungen und künstlerische Kooperationen und im Nachhinein wurde er von Geliebten des Plagiats bezichtigt. 

Was ihn weiter in Verruf brachte, insbesondere nach der Wende, war seine Beziehung zum DDR-Staat. Auch wenn Brecht eine kritische Haltung zu ihm einnahm, war er zeitlebens Kommunist und solidarisch mit der DDR und deren «antifaschistischem» Gründungsmythos. Auch wurden ihm im Gegensatz zu anderen Künstlern Freiheiten gewährt. Diese Kritik wurde auch auf Brechts Werk übertragen, da er Kunst ausdrücklich als politisch verstand.

Ungebrochener Einfluss auf Theater

Die Dreigroschenoper ist eines der bekanntesten Theaterstücke von Bertold Brecht (hier eine Szene des zurzeit im St. Pauli Theater in Hamburg aufgeführten Stücks).

Doch auch in Anbetracht seiner menschlichen und charakterlichen Schwächen, sollte Brechts Einfluss nicht unterschätzt werden. Wer seine Theatertheorie als plumpe Didaktik abtut, macht es sich zu leicht. Brechts Denken war dialektisch geprägt und seine Bemühungen seit dem Lehrstück zeugen von dem Versuch, Ästhetik neu und in Verbindung mit Politik zu denken und zu verbinden. 

Die Darstellungsform der Verfremdung gehört heute wie selbstverständlich zum ästhetischen Repertoire von Theater und Film. Zu Brechts Zeiten war sie revolutionär. Die Einflüsse seiner intermedialen Experimentierfreude mit Theater, Film und Hörfunk sowie sein unorthodoxer Umgang mit klassischen Theatertexten lassen sich von Peter Weiss über Frank Castorf bis in die heutige Theaterlandschaft nachvollziehen. Brechts Schaffen lässt sich dabei weniger in Etappen, denn als Prozess verstehen. Auch wenn seine Bemühungen sich als Irrtum erwiesen, waren sie doch immer produktiv.

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