Trotz Linientreue bespitzelt und beschattet
Sergei Eisenstein gilt als einer der begabtesten Filmregisseure aller Zeiten. Obwohl er dem stalinis-tischen Regime linientreu diente, wurde er ständig überwacht. Während der «Säuberungen» im Jahr 1937 wäre es fast zu einem Schauprozess gegen ihn gekommen.
Sein erster großer Erfolg war «Panzerkreuzer Potemkin», ein Propagandawerk, das als offizieller Jubiläumsfilm der Revolution des Jahres 1905 zwanzig Jahre später im Moskauer Bolschoi-Theater uraufgeführt wurde. Inhalt ist die Meuterei der Besatzung des russischen Kriegsschiffs gegen die zaristischen Offiziere. Die sowjetische Führung war von Eisensteins Begabung, durch den Szenenaufbau und den Filmschnitt die Emotionen der Zuschauer zu manipulieren, stark beeindruckt, was im Wesentlichen zum Erfolg des Films beitrug.
Berühmt wurde die Szenenfolge auf der Treppe zum Hafen von Odessa, wo eine zaristische Truppe auf die Menschenmenge feuert und ein Kinderwagen – mit Baby aber führerlos – die Treppe hinunterkollert. Diese beeindruckenden Bilder ahmte Brian de Palma als Huldigung Eisensteins in seinem Film «Die Unbestechlichen» nach, als Eliot Ness‘ Leute sich mit Gangstern im Bahnhof von Chicago eine Schießerei liefern, bei der ein Baby in seinem Wagen mitten im Gefecht ebenfalls eine große Treppe hinabtrudelt.
Der Film hatte nicht nur innerhalb der Partei Erfolg, sondern wurde auch vom Publikum begeistert aufgenommen. Er hatte ebenfalls im Ausland großen Zuspruch, wodurch Eisenstein international berühmt wurde. In den 1950er Jahren wählte die britische Zeitschrift «Sight & Sound» und die Weltausstellung in Brüssel «Panzerkreuzer Potemkin» zum besten Film aller Zeiten.
Nach diesem Durchbruch spezialisierte sich Eisenstein weiterhin auf politische Filme.
«Oktober – Zehn Tage, die die Welt erschütterten» (1928) schildert die Revolution von 1917 aus der Sicht der Bolschewisten und «Iwan der Schreckliche» (1945-46) ist der Versuch einer anspruchsvollen Biographie dieses umstrittenen Zaren.
Trotz seiner Treue zum sowjetischen Regime zweifelten einige Funktionäre – wie es wiederholt bei schöpferischen Künstlern vorkam – an seiner Loyalität. Als Stalin 1936 die «große Säuberung» angeordnet hatte, bereitete die Geheimpolizei NKWD einen Schaupro-
zess vor, in dem der Regisseur angeklagt werden sollte. Dieser fand jedoch nicht statt und die Akten zu dem geplanten Gerichtsverfahren kamen erst in den 1990er Jahren zum Vorschein.
Sergei Eisenstein wurde am 22. Januar 1898 geboren. Sein Vater, Michail Eisenstein, war ein Architekt deutsch-schwedischer Abstammung, der vom Judentum zur russischorthodoxen Kirche konvertiert war. Sergei studierte in Petrograd am Institut für Zivilingenieure, wo er bald seine Leidenschaft für das Theater entdeckte. Er besuchte Kurse von Wsewolod Meyerhold, der eine radikal antirealistische Bühnenkunst entwickelt hatte und als einer der bedeutendsten Theaterregisseure gilt. Eisenstein wandte sich der Bühnenarbeit zu und verwendete hier zum ersten Mal filmische Szenenfolgen. Die Ausdrucksmöglichkeiten dieses modernen Mediums veranlassten ihn schließlich, sich vollends dem Film zuzuwenden.
Eisenstein, der ideologisch dem Ideal des sowjetischen Regimes entsprach, sollte bis zu seinem Lebensende von den Sicherheitsbehörden beobachtet werden. 1946 erhielt er für den ersten Teil von «Iwan der Schreckliche» den Stalinpreis. Im Jahr darauf bemängelte Josef Stalin jedoch höchstpersönlich die Fortsetzung des Films und ordnete eine «Nachbearbeitung» an. Der Diktator und sein Premierminister Wjatscheslaw Molotow gaben dem Regisseur genaue Richtlinien, was er zu ändern hätte. Der Haupteinwand war, dass Eisenstein den Zaren als unentschlossenen Herrscher, ähnlich wie Shakespeares Hamlet, dargestellt habe.
Die Einwände waren politischer, niemals künstlerischer Art. Niemand, nicht einmal Stalin, hätte es gewagt, jemals Eisensteins innovative Schnitttechnik oder die Kraft seiner Bilder zu beanstanden.
Sergei Eisenstein starb unerwartet am 11. Februar 1948, kaum 50-jährig, an den Folgen eines Herzinfarkts.