Von Pfarrer Andreas Hanstein
Am Samstag, den 19. November, ist Charlotte Wagner geborene Krebs, allen bekannt als Lotte, in Villa Baviera im Alter von 95 Jahren gestorben.
Hinter ihr liegt ein oft ruheloses, aber zugleich erfülltes Leben, das sich in Höhen und Tiefen bewährt hat. Lotte Wagner war in jeder Hinsicht eine außergewöhnliche Persönlichkeit, die unbeirrt ihren Weg ging.
In Temuco – und nicht nur dort – war sie eine tragende Säule der deutsch-chilenischen Gemeinschaft, wie kaum ein anderer. Das Gemeinwesen in dieser Stadt wäre ohne sie nicht denkbar gewesen. Dabei hat sie ihre ganze Kraft bis ins hohe Alter zum Wohl für die Allgemeinheit eingesetzt. Das ging von karitativer Hilfe bis zum Engagement für die Erhaltung des deutschen Kulturgutes. Zahllose Veranstaltungen hat sie dafür organisiert und verantwortet.
Charakteristisch für ihr Leben war ihre Gradlinigkeit und Zielstrebigkeit, wobei sie keine faulen Kompromisse einging; bei ihr wusste man immer, woran man war. Lotte konnte anecken und auch bei ihr konnte man anecken, aber gerade dies zeigt doch, wie sehr es ihr um die Sache ging und nicht darum, Lob und Zustimmung zu erheischen. Genau darin unterschied sie sich eben von so manchen, welche die eigene Person und nicht die Sache in den Vordergrund stellen. So konnte es nicht ausbleiben, dass sie Neider hatte, die ihr bisweilen auch das Leben schwer gemacht haben.
Ratlosen gab Lotte Rat, wo immer und wie sie konnte; jemanden abweisen, das gab es bei ihr nicht; wo Hilfe nötig war, da half sie. Hingabe an den Nächsten war ein Wesensmerkmal ihres gütigen Charakters, den nicht immer alle erkannt haben. Kurz gesagt: Ihr ganzes Engagement war auf die Allgemeinheit ausgerichtet.
Da war auch Ihr unermüdlicher Einsatz für das deutsche Altenheim in Temuco, jahrelang war sie Ortsvertreterin des DCB, im Cóndor hat sie immer wieder zu den verschiedensten Themen Stellung genommen, wobei sie oft auch unbequeme Wahrheiten ausgesprochen hat. Sie ging ihren Weg in einer kontroversen Welt, wobei es ihr eben nicht darum ging, das Eigene zu suchen, nicht persönliche Zufriedenheit und Erfüllung zu finden, sondern das weiterzugeben und zu tun, was notwendig war, und heute mehr denn je notwendig ist. Dass sie dabei oft Kritik und Widerspruch ertragen musste, das hat sie stoisch und mit der ihr eigenen Überlegenheit hingenommen.
Ganz besonders war ihr Einsatz für die Kirchengemeinde in Temuco, ganz gleich, ob es darum ging, Veranstaltungen zu organisieren oder Baumaßnahmen in Gang zu setzen. Die Küche neben der Kirche ist ein Produkt ihrer Initiative. Der sonntägliche Gottesdienst war für sie eine Herzensangelegenheit; es fiel regelrecht auf, wenn sie mal nicht da war, was allerdings selten vorkam.
Dabei war die Kirche für sie gewiss keine intellektuelle Angelegenheit und auch kein Ort, an dem es nur um die Erhaltung deutscher Kultur und Sprache ging, sondern organischer Bestandteil ihres Lebens. Gott hat ihr ein reiches und erfülltes Leben geschenkt, dafür sollen wir ihm dankbar sein. Ja, es ist eine Gnade ein solches Leben gehabt zu haben, wie Lotte Wagner es hatte. Bitten wir Gott, den Herrn des Lebens, dass er ihr die ewige Ruhe schenken möge.