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Die Rolle der Frauen während der Zeit der Einwanderung

Von  Tatiana Held 

Tatiana Held spricht über die Rolle der Frauen bei der Feier zu 170 Jahren deutsche Einwanderung am Llanquihue-See am 27. November.

Zur Person:

Tatiana Held ist in Puerto Varas geboren. Sie besuchte die Deutsche Schule Puerto Varas und die Deutsche Schule Osorno. Anschließend absolvierte sie am Insalco eine Ausbildung zur zweisprachigen Chefsekretärin. Heute lebt sie mit ihrem Mann bei Llanquihue und widmet sich der Landwirtschaft und ihrem Gemüsegarten.

Die Geschichte der Einwanderung und Besiedlung der Deutschen im Süden Chiles ist gut dokumentiert. Es fällt aber auf, dass Aspekte des Alltagslebens weniger erforscht sind. Das heißt, über die Rolle der Einwanderinnen zu dieser Zeit und in dieser Region ist sehr wenig bekannt, obwohl sie in fast genauso großer Zahl wie die Männer nach Chile gekommen sind. Vor diesem Hintergrund werde ich versuchen zu beleuchten, welche aktive Rolle die Frauen in diesem historischen Prozess gespielt haben.

Unsere Anerkennung gilt diesen 1.900 Frauen, die zwischen 1850 und 1875 zusammen mit fast 8.000 Kindern die lange Reise von Deutschland nach Chile unternommen haben. 

Gefährliche Seereise von 134 Tagen 

Wenn ich mir vor Augen führe, unter welchen Umständen sie unterwegs waren, fällt mir als Erstes das Wort «Mut» ein – Tapferkeit und Mut, sich auf ein Segelschiff zu begeben, um ein ungewisses und unbekanntes Ziel anzusteuern und dabei ihre Heimat, ihre Familie und ihre Kultur  hinter sich zu lassen.

Der Verlauf der Reise ist allgemein bekannt: Trotz schlechter sanitärer Versorgung, Stürmen und rauer See erreichte das Segelschiff Susanne am 28. November 1852 nach 134 Tagen Fahrt Melipulli.  Der Wald erstreckte sich bis zum Strand, nur zwei Hütten und ein Lagerhaus sind zu sehen. Die Einwanderer sind wie gelähmt vor Angst. Manche Frauen weinen still vor sich hin, andere schreien ihre Enttäuschung heraus und geben ihren Männern die Schuld, dass sie hierhergekommen sind. Leider gab es für einige von ihnen keine Rückfahrkarte. Bei dieser Überfahrt kamen auch Menschen ums Leben: zwei Frauen und zwei Kinder. Aber es wurden auch welche geboren…

Wasser aus dem See und Gemüse zur Selbstversorgung

Vor dem Wohnhaus mit Kind und auf dem Pferd – geritten wurde im Damensitz

Doch gehen wir einige Jahre weiter und sehen uns an, wie ein normaler Tag für eine Frau in der Provinz Llanquihue aussah: Sie stand um 6 Uhr morgens auf, um beim Melken und Füttern der Tiere und der Versorgung des Federviehs zu helfen. Dann machte sie mit dem Wenigen, was sie hatte, Frühstück für die Familie. Es begannen Reinigung, Waschen mit Wasser aus dem See oder einem nahe gelegenen Bach, da es im Haus kein Wasser gab. Schließlich die Vorbereitung des Mittagessens und am Nachmittag wieder Melken. Zweimal in der Woche wurde Butter hergestellt. All dies zusätzlich zur Betreuung und Erziehung der Kinder.

Anfänglich arbeiteten die Frauen im Haus, im Gemüsegarten und bei der Konservenherstellung. Die Männer waren in der Landwirtschaft und Viehzucht tätig.

Bei der Landarbeit halfen auch die Frauen mit.

Was den Gemüsegarten angeht, wurde er angelegt, weil es notwendig war, Lebensmittel für die gesamte Familie zu produzieren, die im Allgemeinen sehr groß war. Alle mussten sich selbst versorgen, da es in der Nähe keine Geschäfte oder ähnliches gab. Wer erinnert sich nicht an die riesigen und faszinierenden Gemüsegärten unserer Großmütter, in denen wir alle Arten von Gemüse und Obst finden konnten: Johannisbeeren, Rhabarber, Himbeeren, Erdbeeren, Bohnen, Erbsen, Rettiche…. aber es war auch nötig, das ganze Jahr über Anbau zu betreiben, um die geernteten Früchte zu verarbeiten und die Konserven, Marmeladen und den Sirup zu lagern. Man erinnert sich noch an die riesigen Vorratskammern, vollgestopft mit Gläsern, Flaschen, allen möglichen anderen Behältern, geräuchertem Fleisch und getrockneten Kräutern. Der Gemüsegarten ist ein Vermächtnis, das bis heute überlebt hat.

Ebenso widmeten sich die Frauen der Pflege der Schönheit. Noch heute sehen wir Rhododendren und Azaleen blühen, als gehörten sie zu unserer einheimischen Vegetation. In ihren Briefen nach Europa baten sie um die Zusendung von «Lavendelsamen und Blumen für den Garten».

Das Hochzeitsfoto zeigt: Die Familien waren sehr groß.

Ich zitiere Vicente Pérez Rosales, 1870: «In jedem Haus, wie bescheiden das Vermögen der Bewohner auch sein mag, herrscht die größte Sauberkeit, und es gibt kein einziges, in dem nicht hinter den sauberen Glasfenstern große Töpfe mit ausgewählten Blumen stehen.»

Ich glaube, dass Frutillar den besten Teil dieses Erbes abbekommen hat. Heute ist es ein beliebtes Ziel für Touristen aus aller Welt, nicht nur wegen seiner landschaftlichen Schönheit, sondern auch wegen der Sorgfalt und Hingabe, mit der die Bewohner ihre Häuser und Gärten pflegen.

Kuchen, Küche und Weihnachten

Hinzu kommen die Gastronomie und vor allem die Bäckereien und Konditoreien. Die Frauen waren es, die in ihren Küchen eine grenzenlose Vielfalt von Speisen aus Europa kochten oder buken, deren Rezepte sie aus der Heimat mitgebracht hatten. Die Rezepte verbreiteten sich bald in der gesamten Gegend des Llanquihue-Sees, und heute ist die deutsche Gastronomie eine der Hauptattraktionen dieser Region. Es genügt ein Spaziergang an den Cafés vorbei, um die berühmten Apfelstrudel, anderen Kuchensorten und Waffeln zu probieren. Kuchen – ein Wort, das in unseren Wortschatz eingegangen ist. Unsere Kindheit war geprägt von den Gerüchen, die aus der Küche kamen: Wenn wir die Haustür öffneten und das Zimt- und Vanillearoma eines frisch gebackenen Kuchens mit Früchten der Saison rochen, die Stunden zuvor in einem großen Obstgarten geerntet worden waren, war das etwas Einzigartiges.

Unvergesslich auch die Weihnachtszeit in unserer Kindheit: die unzähligen Plätzchensorten, deutschen Lieder und Weihnachtsgottesdienste – natürlich alles auf Deutsch.

Viele dieser Rezepte wurden mündlich weitergegeben, von Großmüttern an Mütter – in der Wärme einer nach Äpfeln, Schokolade und Honig duftenden Küche. Diese deutschstämmigen Frauen sind die großen Bewahrerinnen dieses reichen immateriellen Erbes und haben es am Leben erhalten. Es ist sehr wichtig, dass diese Frauen uns beibringen können, was sie von ihren Großmüttern gelernt haben.

Sie schufen auch verschiedene Einrichtungen wie Frauenvereine bei der lutherischen Kirche, wo sie sich einmal im Monat zu einem köstlichen Elf-Uhr-Mahl trafen und überlegten, wie sie zur Deckung der Bedürfnisse der Gemeinde beitragen könnten. In Llanquihue wurde zum Beispiel das Kränzchen beziehungsweise der Club de las 18 gegründet, dessen wichtiges Verdienst es ist, sich über viele Jahre um die Pflege des Denkmals «Unsern Ahnen» am Llanquihue-See gekümmert zu haben – und das bis heute.

Stiller Einsatz in Familie und Gemeinschaft

Die ersten Häuser von Frutillar

Abschließend möchte ich eine Frau erwähnen, die in den Anfangsjahren unserer Geschichte eine wichtige Rolle gespielt hat. Dank der Nachforschungen und der Zusammenstellung von Daten für ein Buch fand die Familie Mödinger einen Brief der Gemeinde Llanquihue an den damaligen Gouverneur. In diesem bittet sie darum, die Person zu würdigen, die alle Babys der Siedler entbunden hat, Frau Johanna Idler, Ehefrau von Michael Mödinger, die auch auf dem Segelschiff Susanne reisten und  auf dieser Höllenfahrt zwei der drei Kinder, mit denen sie unterwegs waren, verloren. Vielleicht entstand aus dieser Erfahrung das Bedürfnis, anderen Frauen zu helfen, ihre Kinder zur Welt zu bringen.

Das große Vermächtnis dieser Frauen besteht darin, dass es ihnen gelang, kulinarische, kulturelle und familiäre Traditionen zu bewahren. In aller Stille, mit ihrer Hingabe an die Haus- und Hofarbeit, der Pflege ihrer Ehemänner, der Erziehung ihrer Kinder und ihrer oft anonymen Arbeit in sozialen und karitativen Einrichtungen haben sie sich einen wichtigen Platz in der Geschichte unserer Stadt verdient, deren Leistung wir würdigen wollen. Zweifellos waren die Hartnäckigkeit dieser Frauen und ihr unermüdlicher Einsatz für ihre Familien einer der Gründe für den Erfolg der Besiedlung des Llanquihues-Sees und seiner Umgebung..

Fotos: aus dem Buch von Andrea Minte, Professorin für Geschichte und Geographie an der Universidad de Concepción, «Colonización alemana a orillas del lago Llanquihue.1850-1900»

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