«Werkzeug gegen den Analphabetismus»
Lesen lernen mit Fingerzeichen – das ist das Herzstück der Hasenschule. Katrin Rabanus entwickelte die Leselernmethode vor mehr als 40 Jahren. In Chile ist geplant, die Methode in den Lehrplan der öffentlichen Schulen in der Region von Magellan und der chilenischen Antarktis zu integrieren.
Zur Person
Dr. David Rabanus studierte Physik an der Universität Wuppertal und an der Technischen Hochschule Berlin. Nach dem Studium war er beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin und der Universität zu Köln tätig.
Im Jahr 2007 kam der Wuppertaler nach Chile und arbeitete beim European Southern Observatory (Eso) als Stationsleiter beim Atacama Pathfinder Experiment (Apex) und danach beim Alma-Observatorium. 2017 ist er nach Deutschland zurückgekehrt und unterstützt ehrenamtlich das Projekt seiner Mutter.
Die Rabanus-Methode
Die Methode der Hasenschule vermittele sofort Erfolgserlebnisse – und das sei entscheidend, um die Mädchen und Jungen zu motivieren, erklärt David Rabanus. Jedem Laut eines Buchstabens ist eine Lautgebärde zugeordnet, die Fingerzeichen genannt wird. «Die Bewegung führen sie mit den Fingern und dem Arm durch – das vermittelt den Kindern ein Gefühl von Kontrolle. Buchstaben auf dem Papier sind für viele zu abstrakt.»
Außerdem blieben die Gebärden leichter im Gedächtnis haften: «Durch die Bewegungen werden mehrere Sinne angesprochen und so landen sie schneller über eine breitere Datenautobahn ins Gehirn.» Auch das Zusammenziehen von Lauten gelinge mithilfe der Gesten besser. Das habe schon der Lehrer Franz Josef Koch aus dem Sauerland bemerkt: Er erfand in 1920er Jahren die Fingerzeichen. Diese wurden in der Hasenschule zu einem Gesamtkonzept weiterentwickelt.
Im Durchschnitt sind 80 Zeitstunden notwendig, um mit der Rabanus-Methode lesen zu lernen. Wichtig sei auch, dass jeder in seinem Tempo lernen kann. Das ist möglich durch Gruppen von höchstens fünf Kindern. «Eine Klasse von mehr als 30 Schülern erzeugt Wettbewerb, weil alle Lernenden „dranbleiben“ müssen. Dann schalten manche Kinder ab», zeige die Erfahrung der Pädagogen, so Rabanus.
Der Vorteil des Programms sei: «Das Konzept ist lizensiert. Es wird regelmäßig eine Qualitätskontrolle anhand von Karteikarten für jedes Kind durchgeführt. Das ganze Programm-Paket ist sofort umsetzbar!»
Lesenlernen in Lateinamerika
Einige Jahre nach der Gründung wurden die Erfolge der Rabanus-Methode bekannter. Die Kindernothilfe, die größte Organisation für Entwicklungshilfe in Deutschland, kontaktierte Katrin Rabanus. Das christliche Hilfswerk, das sich seit 1959 für Not leidende Kinder in Asien, Afrika, Europa und Lateinamerika einsetzt, suchte einen effizienten Weg, der schnellen Erfolg bei der Alphabetisierung garantierte. Seit dem Jahr 1994 unterstützt Katrin Rabanus Schulen in Bolivien, die Leselernmethode an Kinder zu vermitteln. David Rabanus stellt fest: «Bis heute wurden dort tausende von Lehrern ausgebildet.»
In Chile lernen seit 2014 lern- und körperlich behinderte Schülerinnen und Schüler in der Schule El Loa in Calama mit der Methode zu lesen, ebenso seit 2016 in einer Schule in Punta Arenas. Wichtig sei die Kontinuität, meint der Physiker: «Schulen haben damit erstmalig die Werkzeuge zur Hand, Analphabetismus auszurotten, wenn sie denn regelmäßig und dauerhaft angewendet werden.» Daher setzt er sich dafür ein, dass in der Region von Magellan und der chilenischen Antarktis ab der ersten Klasse die Leselernmethode praktiziert wird. Es bestehen bereits Kontakte zur Regionalregierung.
Weltweit sind immer noch über zehn Prozent der Menschen Analphabeten. David Rabanus‘ Hoffnung ist: «Wenn die Rabanus-Methode in Chile erfolgreich ist, könnte das Konzept auch in anderen Ländern angewandt werden und noch mehr Menschen lesen lernen – die Grundlage für praktisch alles im Leben.»