Jorge Villacura Fernández ist nach kurzer, schwerer Krankheit am 31. Juli mit 86 Jahren gestorben. Besonders für seine Frau María Leonor Avendaño Kunstmann, seine beiden Kinder und fünf Enkel ist Jorges Tod ein großer Verlust. Seine Frau Leonor ist Kinderärztin, sein Sohn Jorge Gastón Neurologe und seine Tochter Leonor Andrea forscht und lehrt an der Universidad de Chile als Psychologin. Für seine Familie war Jorge «der Ankerstein, fest und unbeweglich, sicher, worauf wir unser Zuhause gebaut haben». Er habe «die Seele vieler» angesprochen und «sie haben ihn gerngehabt», da er ein Mensch voller «Güte, Großzügigkeit, Intelligenz und ethischen Bewusstseins war».
Ebenso wie seine Familie trauert auch die deutschsprachige Gemeinde Sankt Michael. Als junger Mann nahm Jorge Kontakt zu Sankt Michael auf und ist seit Jahrzehnten ihr Gemeindemitglied. Er fand in der Gemeinde gute Freunde, sang beim früheren Kirchenchor mit und besuchte mit seiner Frau Leonor, solange er konnte, regelmäßig die Sonntagsmesse auf Deutsch. Der Katholik war ein großer Bewunderer von Papst Benedikt XVI., den er als Kardinal Ratzinger bei seinem Besuch in Chile kennengelernt hatte. Er kannte die meisten der Bücher und Veröffentlichungen, die er als Kardinal und Papst geschrieben hatte.
Jorge wurde am 4. April 1936 geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre in Playa Ancha, Valparaíso. Seine Eltern stammten aus Ocoa, auch in der V. Region. Sein Großvater väterlicherseits war Gutsverwalter. Dort pflegte die Gutsherrin die Kultur und lud Künstler und Intellektuelle ein, die Chile besuchten, um einige Tage auf dem Land zu verbringen. Seine Mutter Carmen Fernández und sein Vater Manuel Villacura hatten mit ihren fünf Kindern einen engen Familienzusammenhalt und gaben ihnen ihren christlichen Glauben weiter.
Später zog die Familie nach Santiago, aber die Liebe Jorges zu seiner Geburtsstadt blieb bestehen. Aus diesem Grund kam er oft zurück, spazierte durch die Straßen und Gassen der Stadt und kaufte eine Wohnung beim Cerro Alegre. Von dort ging er seiner großen Leidenschaft, dem Fotografieren nach, und machte Bilder von der Stadt, dem Hafen und den charakteristischen Bergen der Umgebung. Beruflich war Jorge zuerst an der Banco Londres tätig, später arbeitete er bei der Banco de Chile im Bereich Export und Import, da er verschiedene Sprachen beherrschte.
Auch auf anderen Gebieten zeichnete er sich durch seine große Bildung, sein Wissen und ein gutes Gedächtnis aus. Er sei «ein wandelndes Lexikon und unsere Google-Suchmaschine gewesen», erzählt Leonor über ihren Mann. Zu seinen Interessen haben die Literatur, Poesie, Geschichte Chiles und die Weltgeschichte, Philosophie und Psychologie gehört. Jorge war ein Liebhaber der klassischen Musik und hatte selbst eine sehr schöne Bariton-Stimme. Er war Mitglied im Chor des Goethe Institut, wo er auch Deutsch lernte. Im Jahr 1967 sind er und seine Frau Leonor sich dort zum ersten Mal begegnet, als sie sich für ein Stipendium des DAAD bemühte, um in Deutschland Neurologie und Psychiatrie für Kinder und Jugendliche zu studieren. Nicht nur seine Kenntnisse über die Pflanzen- und Tierwelt waren groß, er war auch ein passionierter Bergsteiger und Wanderer. Auch seine Familie konnte
er für die Natur begeistern. «Viele unserer Erinnerungen, die wir in unserem Herzen tragen, haben ihren Ursprung in den Bergen», wie seine Frau Leonor berichtet. «Mineralwasser direkt aus der Erde trinken, Schlangen und Insekten anfassen, die Struktur verschiedener Blätter und den Duft der Blumen erkennen, bis zur Hüfte im Schnee versinken, unter einem Wasserfall baden, sich zwischen den Wolken verlieren, auf gefährlichen und schmalen Wegen sicher laufen, klettern und wieder hinabsteigen, das Wasser aus der Wasserflasche teilen und Kaffee direkt aus der Thermoskanne trinken.»
Seine Mitmenschen verblüffte er immer mal wieder mit seinem Sprachwitz, der manchmal als so trockener Humor daherkam, dass sie erst, als er selbst laut loslachte, mit einstimmten.
Jorge wird allen, die ihn kannten, als ein bescheidener und dankbarer Mann in Erinnerung bleiben, der immer über das Zeitgeschehen informiert war, dabei seinen christlichen Grundsätzen treu geblieben ist und hilfsbereit gegenüber denjenigen war, die Unterstützung brauchten.