«Kunst ist essenziell für die Entwicklung des Menschen»
Schon mit sieben Jahren wusste Karin Friedli, wo sie hinwollte: in die Welt der Musik. Ihre musikalische Ausbildung erhielt sie in Buenos Aires und Santiago. Heute führt sie nicht nur in Chile Chorkonzerte auf, sondern bringt das, wofür sie brennt, auch in Ländern wie Deutschland oder der Schweiz, der Heimat ihrer Vorfahren, zu Gehör.
Vier Chöre leitet die Musikerin zurzeit: Den Singkreis Arturo Junge des Deutsch-Chilenischen Bundes, den Chor der Fakultät für Chemie der Universidad de Chile, den Alumni-Chor der Universidad Católica und einen Schulchor der Sociedad de Instrucción Primaria. Karin Friedli kommentiert: «In meiner Arbeit komme ich mit den unterschiedlichsten Leuten zusammen. Diese Vielfalt an Menschen bereichert mich täglich. Neben der Musik an sich, ist es das, was ich an meiner Arbeit am meisten genieße.» Sie ist eine der wenigen unter den Kollegen, die ausschließlich von dieser Tätigkeit lebt. Ihrer Meinung nach sollte «die Gesellschaft endlich den Gedanken fallen lassen sollte, dass es unmöglich sei, von der Kunst zu leben». Dafür ist Karin Friedli der lebende Beweis. Auch wenn es nicht immer leicht sei.
Bereits mit sieben Jahren beschloss sie, Musikerin zu werden. Sie habe damals den Zeichentrickfilm «Fantasia» im Kino gesehen, erzählt die Musikerin. «In der Anfangsszene öffnet sich ein Vorhang und im Halbdunkel sieht man die Silhouetten der Musiker, die sich niederlassen, um ihre Instrumente zu stimmen. Dann beginnt die Musik und Farben tanzen auf der Leinwand. Ich war fasziniert.» Damals sei ihr sofort klar gewesen, dass sie mit Musik arbeiten wolle. Ihre Eltern unterstützten sie darin und sie erhielt Klavierunterricht. Außerdem sang sie in einem Chor und in der Schule wirkte sie in allen Theateraufführungen mit. Da sie mit sechs Jahren direkt in die zweite Klasse eingeschult wurde, sei sie immer die jüngste gewesen und habe es deswegen in der Schule nicht leicht gehabt. «Der Altersunterschied zu meinen Klassenkameradinnen betrug immer ein oder sogar zwei Jahre. Meine Mitschülerinnen haben mich oft ausgegrenzt oder geärgert», erzählt sie.
Geboren wurde die heute 48-Jährige im südlichen Porvenir, mitten in Feuerland. Als sie vier Jahre alt war, zog die Familie nach Punta Arenas. Nach der Schule begann sie ihre musikalische Grundausbildung am Conservatorio Manuel de Falla in Buenos Aires in den Bereichen Gesang, Klavier und Chorleitung. «Es war eine schwere und gleichzeitig wunderbare Zeit, in der ich nur einmal im Monat für kurze Zeit mit meiner Familie am Telefon reden konnte. Ich lebte in einer pompösen Pension mit Marmortreppen, die einst Evita Perón für Frauen vom Land erbauen ließ», berichtet die Musikerin. Mit den Jahren seien die Räumlichkeiten sehr heruntergekommen. Zudem diente das Haus auch als Alterspflegeheim für Seniorinnen, die nach und nach verstarben. «Das ist für einen jungen Menschen natürlich hart, mitanzusehen. Doch in dieser Pension lernte ich auch meine bis heute besten Freundinnen kennen. Nach einem Jahr zogen wir gemeinsam in eine eigene Wohnung und hatten viel Spaß. Ich habe insgesamt drei Jahre lang in Buenos Aires gelebt.»
Bei einem Besuch daheim in Punta Arenas erkrankte Karin Friedli plötzlich und bekam krampfartige Anfälle – Epilepsie. Eine Rückkehr nach Argentinien war nicht möglich. Sie erinnert sich: «Das war ein grausames, abruptes Ende meiner Zeit in Buenos Aires. Ich setzte mein Studium mit einem Bachelor of Arts mit Hauptfach Musiktheorie an der Universidad de Chile in Santiago fort und spezialisierte mich Schritt für Schritt auf Chor- und Orchesterleitung.»
Die Arbeit des Dirigierens sei noch heute eine Männerdomäne, doch immer mehr Frauen würden sich ihren Raum in diesem Arbeitsfeld erobern. Ihren ersten Chor leitete die Musikerin für die Corporación Cultural de Nuñoa. Außerdem dirigierte sie zehn Jahre lang den Seniorenchor der Municipalidad de Santiago. Bei der Leitung eines Chors sei ihr auch wichtig, neue und auch weniger bekannte Musik in die Ohren der Menschen zu bringen, stellt Karin Friedli fest.
In ihrer Freizeit praktiziert sie Yoga, liest und schaut gerne Filme oder Serien an. Zudem genießt sie es, Zeit mit ihren Freunden zu verbringen. Ein tiefer Wunsch sei schon seit langer Zeit gewesen, die deutsche Sprache zu lernen. Doch die Zeit ist knapp. Denn Karin Friedli ist auch Mutter eines sechsjährigen Kindes. Und alles unter einen Hut zu bringen, sei oft schwierig.
Ihre Begeisterung für Musik trägt sie auch als Sängerin hinaus in die Welt, unter anderem mit dem Ensemble Chordae Vocalis, das Hochzeiten und andere Events professionell musikalisch begleitet. Auch in den deutschsprachigen Ländern ist sie unterwegs. «Als Solistin oder im Chor habe ich viele Konzerte in der Schweiz, Deutschland und Österreich gegeben. Seit sieben Jahren habe ich die Schweizer Staatsbürgerschaft. Mein Urgroßvater war Schweizer», sagt sie. Am häufigsten sei sie beruflich in Genf unterwegs gewesen, dadurch habe sie zu dieser Stadt eine intensivere Beziehung entwickelt.
Abschließend fügt sie hinzu: «Die Kunst wird heutzutage immer noch zu häufig als schönes Extra betrachtet, dabei sollte sie so etwas wie ein Menschenrecht sein. Alle Menschen sollten die Möglichkeit haben, aktiv oder passiv an Kunst teilzunehmen – als Betrachter oder als Mitgestalter. Kunst ist essenziell für die Entwicklung des Menschen.»