«Ein intellektuelles Abenteuer»
Dr. Christian Hellbach war drei Jahre als deutscher Botschafter in Santiago tätig. Der in Mexiko geborene und in Kolumbien aufgewachsene Jurist hat sich intensiv für eine beratende Begleitung des Verfassungsprozesses in Chile eingesetzt. Eine verstärkte Kooperation beim Thema Grüner Wasserstoff, im Bereich innere Sicherheit und ein veränderter Blickwinkel Deutschlands auf den Konflikt in der Araucanía standen außerdem als Schwerpunkte auf seiner Agenda.
Es sind die Herausforderungen, die Christian Hellbach begeistern und antreiben – und diese hat er als deutscher Botschafter in Chile gefunden. «Es war ein intellektuelles Abenteuer», fasst er seine Zeit rückblickend zusammen.
Als er im August 2019 mit seiner Frau und seiner Tochter in Santiago ankam, habe er einen «normalen Dienstort» vorgefunden. Dann kam der Oktober 2019 mit den sozialen Unruhen, Massendemonstrationen und Gewaltaktionen und es wurde bald offensichtlich, dass Chile sich mitten in einem Veränderungsprozess befand.
«Es schien aus heiterem Himmel zu kommen», so erlebte der Botschafter die Reaktionen im Land. «Doch im Laufe der vergangenen 30 Jahre, seit dem Übergang zur Demokratie, und eigentlich auch schon davor, hat sich Chile dramatisch verändert.» Hellbach sieht mehrere Faktoren als Ursachen: «Im Laufe der Jahre entstand eine fragile Mittelschicht, nach einer rasanten Entwicklung in den 1980er, 1990er und den Nullerjahren stagnierten Produktivität und Wachstum, das Land schien nicht mehr in der Lage, Wohlstand für alle zu garantieren.»
Christian Hellbach ist Jurist und hat sich aus Interesse an der Politik auf Verfassungsrecht spezialisiert. Auch deshalb war es ihm ein Anliegen, den Transitionsprozess Chiles konstruktiv zu begleiten, damit «das chilenische Erfolgsmodell auf eine neue, nachhaltigere, aber eben auch funktionale Grundlage gestellt wird». Dazu gehörte die Beratung und Expertise der Verfassungsversammlung durch die Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit. «Der Verfassungsprozess, das scheint inzwischen klar, wird weitergehen, egal wie das Plebiszit am 4. September ausgeht», erwartet Hellbach. Über alle Parteien hinweg sieht er inzwischen Einigkeit, was die Notwendigkeit von Reformen betrifft. Hellbach betont: «Ziel ist es, dass eine gut funktionierende Verfassung erlaubt, an die vergangenen Erfolge anzuknüpfen, dass Chile weiterhin ein leuchtendes Beispiel für die anderen Länder der Region ist.»
Ein weiteres Thema seiner Amtszeit ist die innere Sicherheit Chiles gewesen. «Die Proteste Ende 2019 und Anfang 2020 hatten eine eigene, neue Dynamik und haben die chilenische Polizei streckenweise komplett überfordert, ein Phänomen, das wir in den letzten Jahren übrigens auch in anderen Ländern beobachtet haben», stellt der Botschafter fest und unterstreicht: «Die Carabineros de Chile standen der Beratung durch deutsche Experten sehr aufgeschlossen gegenüber. Ziel der Beratung war und ist es, eine moderne, effiziente und effektive Bürgerpolizei zu schaffen.» Hellbach bemerkt: «Das war und ist eine Zweibahnstraße. Die deutschen Experten konnten dabei auch von ihren chilenischen Kollegen und den Vorkommnissen in Chile lernen, die stellvertretend für eine neue stark vom Einsatz moderner Kommunikationsmittel geprägte Art von Massenprotesten stehen, vor denen kein Land ganz gefeit ist.»
Bedingt durch die Klimakrise und den Ukraine-Krieg sei das Thema der erneuerbaren Energien und des grünen Wasserstoffs immer mehr in den Focus gerückt. Hellbach erklärt: «Deutschland hat als Hochindustrieland einen großen Energiebedarf, den es selbst nicht decken kann. Das gilt für konventionelle Energiequellen genauso wie für erneuerbare.» Chile sei aus zwei Gründen ein strategischer Partner für Deutschland. Erstens aufgrund seines riesigen Potentials an Sonnen- und Windenergie und, zweitens, weil es eine Demokratie sei, mit der man sehr viel gemeinsam habe, unter anderem die Wertschätzung für eine auf dem Völkerrecht basierende internationale Ordnung. Daher
sieht Hellbach mit Genugtuung, dass «in den vergangenen zwei Jahren das Thema enorm vorangebracht werden konnte und viele Kooperationen zwischen beiden Ländern entstanden sind».
Hellbach hat sich auch dem Konflikt in der Araucanía gewidmet und die Region mehrfach besucht: «Dies ist der einzige bewaffnete Konflikt im Cono Sur. Ich fände es gut, wenn die Europäer sich stärker für eine friedliche Lösung einsetzten, weil auch unsere Interessen betroffen sind – denken Sie nur an die vielen Nachkommen europäischer Einwanderer und an die Investitionsprojekte in dieser Region.» Die Problematik sei aber komplex betont er. Es gehe nicht nur um Sicherheit, sondern «auch um die wirtschaftliche Entwicklung und um eine vernünftige Lösung der Landfrage, wobei vergangenes Unrecht nicht mit neuem Unrecht wettgemacht werden darf».
Unvorhersehbar waren nicht nur die Umwälzungen in Chile, sondern auch die Pandemie. «Die damit einhergehenden Beschränkungen haben meine Arbeit sehr eingeschränkt», stellt der Botschafter bedauernd fest. Das betraf auch die Reisen der Familie, «doch was wir „erschnuppern“ konnten, war atemberaubend», begeistert ihn. Insbesondere die Region Aysén empfand Hellbach als faszinierend: «Die Bergpanoramen, die großen Flüsse und Seen – eine unglaubliche Folge von faszinierenden Landschaften.»
Christian Hellbachs nächster Dienstort ist Kroatien, ein Wunschziel der Familie, auch weil seine Frau aus Südosteuropa stammt. Außerdem kennt er als ehemaliger Botschafter in Bosnien und Herzegowina und Sonderkoordinator für den Westbalkan die Region. Das tröste ihn beim Verlassen Chiles und er freut sich auf den neuen Lebensabschnitt, denn er weiß: «Auch hier erwarten mich neue Herausforderungen.».