«Ich liebe den Wind, der widrig erscheint und einen dennoch stärkt»
Als ich meine Interviewanfrage an Macarena geschickt hatte, musste ich mich einige Tage gedulden, denn auf dem Landgut Estancia Laguna Diana bei Puerto Tranquilo wurden gerade Rinderherden auf neue Weidegründe getrieben. Statt der Antworten schickte sie mir zunächst ein Video davon – beeindruckende Bilder aus den Weiten Patagoniens.
Die 36-jährige Macarena Alvarez Roehrs wurde als Tochter von Mauricio Alvarez Kusanovic und Hella Roehrs Jeppesen in Punta Arenas geboren. Woher kam der Name Roehrs? 1895 war Wilhelm Roehrs Stapelfeldt von Kiel aus in Magallanes angekommen. Seit mehr als 90 Jahren leben und arbeiten seine Nachkommen bis heute in dieser Region.
Macarena verbrachte ihre Kindheit und Jugend auf dem Landgut der Eltern in Cerro Castillo, Torres del Paine. Gern erinnert sie sich an diese Zeit in freier Natur: «Pferde, Schafe und Kühe gehörten zu unserem Leben.» Ihre Schulausbildung absolvierte sie in der ländlichen Schule von Cerro Castillo und dann in Punta Arenas. Es folgte ein Studium an der Universidad Austral in Valdivia, das sie als Anthropologin abschloss. «Ich hatte mich schon immer für Geisteswissenschaften interessiert, und ich habe die Liebe meiner Eltern zum Lesen geerbt. Andererseits waren meine deutschen Onkel und mein Vater von der Archäologie der Region begeistert. Sie haben dem Museum des Instituto de la Patagonia wichtige Schenkungen gemacht, die noch heute dort zu sehen sind.»
Trotz Stellenangeboten in regionalen Einrichtungen entschied sich Macarena aufs Land zurückzukehren, um mit ihren Eltern in der Viehzucht zu arbeiten. Zu dieser Zeit war die Familie auch in die Tourismusbranche eingestiegen, da die Mutter Besitzerin des Hotels «3 Pasos» in der Gemeinde Torres del Paine zwischen Puerto Natales und Cerro Castillo ist. Hier helfen Macarena und ihre Schwester bei der Verwaltung und bei allem, was mit Reiten zu tun hat (wegen der Pandemie ist es allerdings seit 2020 geschlossen).
Die lange Geschichte des kleinen Landhotels begann mit der Einwanderung im Sektor Última Esperanza. Sein erster Besitzer war Don Rogelio Figueroa, eine für die damalige Zeit ganz besondere Persönlichkeit, denn er stand in engem Kontakt mit Schriftstellern aus anderen Teilen der Welt. In den Jahren 1918 bis 1920 lud er die Dichterin Gabriela Mistral ein, hier ihre Urlaubstage zu verbringen. Die Aufenthalte inspirierten sie zu ihrem Werk «Desolation», für das sie 1945 den Nobelpreis für Literatur erhielt.
«Ich bin seit 2014 mit Eusebio Ríos Petignani verheiratet», erzählt Macarena. «Wir haben zwei Kinder, Emilio, 5 Jahre, und Elena, 3 Jahre alt. Ein Baby ist gerade unterwegs. Wir leben in Rio Tranquilo auf dem Land, da mein Mann dort eine Farm hat. Wir halten Rinder und Schafe. Die Ländereien in Patagonien sind sehr groß, deshalb auch die Zahl der Tiere. Pferde werden eingesetzt, um die Felder zu umrunden und die Tiere einzukreisen, da das Gelände für einen Lieferwagen oder ein Motorrad nicht geeignet ist. Ein Landgut bewirtschaftet in Patagonien mindestens 3.000 bis 15.000 Schafe und 100 bis 1.500 Rinder. Die Wolle der Schafe wird größtenteils nach Europa exportiert, die Lämmer sind sowohl für den Export als auch für den nationalen Markt bestimmt. Sie haben einen großen Wert, da es sich um ein rein biologisches Produkt handelt.»
Seit einigen Jahren bewirtschaftet Macarena einen Familiengemüsegarten und ein kleines Gewächshaus. Trotz des patagonischen Windes und des wechselhaften Klimas ist es ihr gelungen, fast das ganze Jahr über eine große Menge an Gemüse für den Verzehr anzubauen. «Grüner Salat, Koriander, Petersilie, Schnittlauch, Kohl, Erbsen, Minze, Brokkoli, Karotten, Rhabarber, Johannisbeeren, Pflaumen – diese und weitere Produkte werden im Freien angebaut. Im Gewächshaus reifen unter anderem Tomaten, Basilikum, Minze, Zucchini, Chili, Paprika, Salbei und einige Blumen, wie Lavendel. Es ist beeindruckend zu sehen, was der edle Boden auf kleinem Raum hervorbringt. Und natürlich braucht man dafür eine gewisse Hingabe.»
Gibt es da noch Zeit für Hobbies? Macarena liest gern, vor allem Gedichte. Sie beschäftigt sich auch viel mit dem Wissen über Pflanzen, auch über Heilpflanzen, um sie bei Bedarf als alternative Medizin einzusetzen. Und: «Jeden Sommer reiten wir mit meiner Schwester und Freunden in sehr schwer zugängliche Gebiete, durch unberührte Landschaften mit Blick auf Gletscher, Seen und Lagunen. Meine letzte Reise führte uns zum Brush-See, der zwischen den
Nationalparks Bernardo O‘Higgins und Torres del Paine liegt. Mit Schlafsäcken und Lammbraten, um unter den Sternen zu essen und zu schlafen.»
Ihr Lieblingsessen ist gebackenes Lamm mit hausgemachtem Püree. «Ich mag auch sehr gerne Kuchen und Torten, besonders Rhabarberkuchen und regionale Erdbeeren mit Sahne. Ich koche genauso gerne wie ich esse, und ich mache das Beste aus dem, was der Garten mir gibt, wie Marmeladen aus Rhabarber, Pflaumen, Johannisbeeren…»
Könnte Macarena sich ein Leben in Santiago vorstellen? « Nein, auf keinen Fall, denn das würde mich von allem entfernen, was ich an Patagonien liebe und das mir so sehr am Herzen liegt. Ich mag die Weite und Vielfalt der Landschaften, die Pampa, die Wälder und Hügel, den kräftigen Wind, der die Bäume formt, der die Luft reinigt, der widrig erscheint und einen dennoch stärkt, den Himmel mit seinen vielen Farben in der Morgen- und Abenddämmerung, das Gefühl ständiger Freiheit und die menschliche Wärme, die im Kontrast zum wechselhaften Klima steht.»