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Rodeo Chileno und die Cueca – Chile zum Bestaunen

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Von Manfred Sandner

Manfred und Ingrid Sandner beim Üben der Cueca

Fußball ist zahlenmäßig der größte Volkssport der Chilenen. Wenn das nicht so wäre, hätte es 1962 keine Fußballweltmeisterschaft in diesem Land gegeben. Wir hätten damals nichts über Chile erfahren und es auch nicht bei unserer Bewerbung für den Auslandsschuldienst in die engere Wahl einbezogen.

Doch bei den ausführlichen Berichten über die Austragungsorte der Vorrundenspiele haben wir damals nichts erfahren über den zweiten Volkssport, der bei der Landbevölkerung sogar den ersten Platz einnimmt. 

Elegante huasos und señoritas

Seitdem wir in diesem Land wohnen, ist unsere Begeisterung dafür umso größer, denn der chilenische Rodeo ist nicht nur ein pferdesportliches Ereignis, sondern mehr ein Fest der chilenischen Landbevölkerung, dazu noch mit einer Tradition, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Damals ging es darum, die schnell und unkontrolliert wachsenden Rinderherden der spanischen Eroberer in den Griff zu bekommen. Per Gesetz mussten sie an einem bestimmten Tag markiert, doch schwache Tiere vorher ausgesondert werden.

Diese Tiere fand man, indem die Herden über große Strecken getrieben wurden, um danach ihren Zustand festzustellen. Dieses Treiben von Rindern ist auch heute noch das Prinzip des Rodeos, nun nicht mehr über riesige Strecken und um Tiere auszusondern, sondern mit dem sportlichen Ziel, dass die aktiven Reiter, die huasos, Punkte beim möglichst schnellen Treiben der Tiere und ihrem Stopp an einer vorher festgelegten Stelle sammeln, wobei die Art und Weise des Treibens und Stoppens in die Punktwertung eingeht.

Die huasos beim Rodeo

Das Treiben wird stets von einem Reiterpaar durchgeführt, wobei der eine, hinter dem Tier reitend, zwischen den Stoppstellen für die Geschwindigkeit des Tieres zu sorgen hat und der andere mit einem Seitgalopp dafür sorgt, dass das Tier möglichst an der Bande des Areals bleibt, um es an der vorgesehenen Stelle mit der Brust seines Pferdes zu stoppen. An dieser Stelle ist die hölzerne Innenwand der media luna gepolstert. Nach jedem Stopp geht es die gleiche Strecke zurück und die huasos wechseln in ihrer Aufgabe.

Dies findet im Areal der media luna statt, weil dieser Bereich tatsächlich die Form eines Halbmonds hat, und dauert zwei Tage. Die Punkte aller Wettkämpfe werden addiert und das Siegerpaar am Ende der beiden Tage gebührend gefeiert. Die beiden dürfen auch Monate danach an den chilenischen Rodeo-Meisterschaften teilnehmen, am ersten Aprilwochenende des folgenden Jahres in Rancagua.

Rund um diese media luna befindet sich das Festgelände: Nicht nur die attraktiven señoritas bieten ihre Stimmzettel zum Kauf an, um zur reina del rodeo, der Rodeokönigin, gewählt zu werden. Auch die herausgeputzten huasos, die Wettkampfreiter und ihre Unterstützer, präsentieren sich stolz mit ihren mantas, den farbenfrohen Schulterüberhängen, den glänzenden Stiefeln und den anspruchsvollen Sporen, obwohl diese beim Wettkampf nicht eingesetzt werden dürfen.    

Doch es gibt auch noch andere Zonen. Dazu gehören die ramadas, die Laubhütten. An diesen Tischen wird es gegen Abend schnell eng, denn nach den sportlichen Ereignissen des Nachmittags und nach der Wahl der Rodeokönigin zieht es die Teilnehmer zum lukullischen Teil des Rodeofestes.

Die Tische sind alsbald gefüllt mit knusprigen empanadas, mit Käse oder Schinken gefüllte Teigtaschen, und mit dem köstlichen vino tinto, dem chilenischen Rotwein.

Die alemanes auf der Tanzfläche

Als wir uns in unserem ersten Chilejahr aufmachen, dieses Fest im Monat September rund um den 18ten, dem Nationalfeiertag, zu besuchen, erfahren wir von unseren Freunden, dass auch getanzt wird. Die Cueca bestimmt das Geschehen.

Diese Cueca ist der chilenische Nationaltanz, den es in dieser Form nirgends auf der Welt gibt. Er ist ein Paartanz, bei dem sich die beiden Tanzpartner aufeinander zu und im Halbkreis umeinander herumbewegen. Wie das geschieht, rückt den Tanz eindeutig in Richtung einer Balz, dem Werben eines Hahnes um ein Huhn abgeschaut. Der Tänzer und die Tänzerin tragen dabei jeweils ein weißes Taschentuch in der rechten Hand und unterstreichen mit ihren Bewegungen damit den Balzcharakter des Tanzes, er, indem er das Tuch auch manchmal unterhalb der Gürtellinie entlangzieht, sie, indem sie es kokett vor Nase und Mund hält und dabei ihre Augen blitzen lässt oder es lockend auf ihre Schulter legt. Der Rhythmus und die melodische Komponente dazu sind immer gleich, nur der dazu gesungene Text nicht. Dieser beschäftigt sich zumeist mit alltäglichen Problemen, kann aber auch politische Inhalte aufweisen.  

Unsere Freunde führen uns kurz vor dem Besuch des Rodeo-Festes in diese Geheimnisse der Cueca ein, und wir ziehen mit ihnen zusammen frohgemut auf das Ramada-Gelände.

An einem der Holztische entdecken wir eine Lücke und nehmen Platz. Um uns herum gibt es nur noch Einheimische, und wir fühlen uns reichlich fremd zwischen all den Chilenen. Das liegt an der fehlenden Sprachkompetenz, die passiv zwar schon einiges bewältigt, aber bei Gesprächen schnell an ihre Grenzen stößt. Dieses Gefühl ändert sich im Laufe des Abends, und es sind die Einheimischen selbst, die uns dieses Fremdsein nehmen. Das hat zur Folge, dass wir uns nach ein paar Gläschen chicha, eine Art Federweißer aus gegorenen Äpfeln oder Weintrauben, sogar auf die Tanzfläche wagen.

Die uns an unserem Tisch umgebenden Chilenen sind begeistert, dass los alemanes, die Deutschen, ihren Nationaltanz mitmachen, es zumindest versuchen.

Wir sitzen gerade wieder schwitzend an unserem Tisch, als ein Chilene aufsteht, auf uns zukommt und Manfred seine manta übergibt. Dazu überreicht er ihm seinen sombrero, die breitkrempige Kopfbedeckung, mit der Aufforderung, mit diesem echten Kostüm noch einmal Cueca zu tanzen.

huasos und huasa

Nach einem Blickkontakt mit Ingrid sind wir bereit, dieser Aufforderung Folge zu leisten, und machen uns bei nächster Gelegenheit auf, dem Cueca-Rhythmus zu folgen. Wir sind uns beim Tanzen unserer Amateurhaftigkeit bewusst, schaffen aber alle Anforderungen, einschließlich des zapateo, bei dem beide Tanzpartner ihre rhythmischen Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen, indem sie mit ihren Schuhabsätzen den Cueca-Rhythmus auf den Boden stampfen.

Schweiß wischend kehren wir an unseren Tisch zurück, und dort erwartet uns eine Überraschung. Unsere Chilenen erwarten uns nicht nur mit Komplimenten, sondern auch mit zwei Flaschen vino tinto, die auf unserem Tischplatz stehen. Dazu heben sie uns ihre mit Rotwein gefüllten Gläser entgegen und fordern uns mit einem freundlichen «salud!» zum Mitfeiern auf.

Wir spüren hautnah die Deutschfreundlichkeit der Chilenen.

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