«Aurum Album – Auf den Spuren des weißen Goldes der Wüste Tarapacá»
«Johanngeorg Christian schlägt sich durch.» Dieser Satz steht gleich zu Beginn des Romans. Und er soll im Verlauf zum Programm werden. Denn tatsächlich sind die Startbedingungen des Protagonisten nicht gerade günstig. Er wird am
4. Oktober 1825 im norddeutschen Ratzeburg geboren, «unehelich» vermerkt das Register, der «angebliche» Vater wird dazu eingetragen. Der Tod des Onkels leitete den Konkurs des Familienbetriebs ein, der junge Mann macht eine Lehre im Salzhandel, wechselt Orte und Handelsunternehmen. Doch soll er auf ewig in den muffigen Kontorhäusern sitzen und die große weite Welt nur auf dem Papier kennen lernen?
«Ja, da findest du einen ewig blauen Himmel, einen so kalten Winter wie hier gibt es dort nicht», schwelgt ein weitgereister Vetter ihm von Chile vor. «Weite grüne Felder, dunkle Wälder, tiefe geheimnisvolle Seen, freundliche, hilfsbereite Menschen und geschäftige Contors, in denen es vor Arbeit nur so wimmelt, wo sogar ein nur halbwegs fleißiger junger Mann die Möglichkeit findet, gutes Geld zu verdienen.» Diese rosigen Schilderungen reichen, der emporstrebende junge Kaufmann hanseatischer Prägung packt schließlich seine Koffer und folgt dem Ruf des fernen Landes.
Die Überfahrt auf der Dreimast-Fregatte «Hindostan», einmal über den Atlantik und dann um das gefürchtete Kap Horn, ist erwartungsgemäß beschwerlich. Doch dem Auswanderer kann das nichts anhaben. Er sucht förmlich das Abenteuer. Von den in Aussicht gestellten Wäldern, Seen und Feldern will er nichts wissen. Nach seiner Ankunft in Valparaíso stellt er sich dem Bremer Konsul vor, der ihm eine gute Stellung in irgendeinem Handelsbüro verheißt. Hilliger entgegnet: «Ich hatte allerdings an etwas Aufregenderes gedacht, als am Pult eines Contors zu stehen, so etwas wie in der Wüste am Salpeter.»
Johanngeorg Christian Hilliger ist keine Erfindung Angersteins. Den Pionier des Salpeterabbaus in der damals peruanischen, heute chilenischen Provinz Tarapacá hat es wirklich gegeben. Und auch seine «Lehrlinge» Hermann Conrad Fölsch, Friedrich Martin und Henry B. Sloman gründeten Salpeterimperien und setzten der Quelle ihres Reichtums Denkmäler – zu den bekanntesten zählt das beeindruckende Chilehaus in Hamburg.
Dietrich Angerstein schildert den Lebenslauf eines Mannes vor dem Hintergrund einer staubigen Wüstenkulisse, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Während der Goldgräberstimmung des Salpeterbooms erreichte es Hilliger mit Geschick und Kaufmannsgeist, das begehrte «weiße Gold» im großen Stil aus dem Boden herauszuholen und nach Europa zu verschiffen. Natriumnitrat wird heute noch als Dünger verwendet, damals diente es aber vor allem zur Herstellung von Schießpulver.
Hilliger findet auch privat sein Glück, heiratet eine vermögende Witwe Rosa Vernal Carpio und gründet eine Familie. Das Leben in der Quebrada de Tarapacá, der grünen Oase, in den «ansprechenden und gepflegten Häusern der Besitzer dieses schönen Stückes Land inmitten einer erbarmungslosen Wüste», steht im Kontrast zur erbarmungslosen Maloche auf den Lagerstätten. Der Autor geht in seinem Roman auch auf die harten Arbeitsbedingungen in der hitzigen Einöde des Salpeterabbaus ein. Und er verschweigt keineswegs, dass sich der deutsche Emporkömmling bei einem Bordellbesuch in Valparaíso eine Geschlechtskrankheit einfängt – mit bitteren Folgen viele Jahre später.
«Aurum Album» spannt einen historischen Bogen, angefangen von den Befreiungskriegen gegen Napoleon in Europa, über den Salpeterkrieg in Südamerika bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Es sind neben dem Schicksal des Salpeterbarons vor allem auch die Schilderungen des damaligen Lebens und der Entwicklung Chiles, die das Buch zu einer aufschlussreichen, bewegenden Lektüre machen.