«Die deutsch-chilenische Zeitung war das „Leitmotiv“ seines Lebens»
Claus von Plate schreibt anlässlich des 84. Geburtstags des Cóndor über seinen gleichnamigen Vater. Dieser war seit der Gründung des Cóndor 1938 der Chefredakteur der Zeitung und hat den Cóndor 1949 vom Deutsch-Chilenischen Bund erworben. So wie Fernando Fonck sich entschieden für die Gründung eingesetzt hat, mit so viel Leidenschaft hat Claus von Plate die Zeitung bis zu seinem Todesjahr 1984 geleitet. Der Cóndor ist auch heute noch «in der Familie»: Die Druckerei von Carolina und Claus von Plate, die Enkel vom Zeitungsgründer Claus von Plate, sorgt für die Druckausgabe der deutsch-chilenischen Zeitung.

Mein Vater wurde am 30. Juni 1915 geboren. Seine Eltern waren Franz von Plate, der Ende 1895nach Chile eingewandert war, und die in Chile geborene Berta Timmermann, Tochter von Bernhard Timmermann, einem der Gründer der Deutschen Schule in Santiago. Sie hatten fünf Kinder: Franz, Erika, Gerd, Hillus und Claus, der Jüngste. Meine Großmutter war viele Jahre Sekretärin des Deutsch-Chilenischen Bundes und starb mit 97 Jahren.
Schwierige Kriegsjahre
Mein Vater besuchte die Deutsche Schule in Santiago und die letzten zwei Jahre war er Schüler am Instituto Nacional. Er studierte Jura an der Universidad de Chile und trat in dieser Zeit in die Burschenschaft Araucania ein. Mit anderen Universitätsstudenten aus den Regionen lebte er in dem Haus der Burschenschaft. Es war mehr als ein Internat: Die Erhaltung der deutschen Kultur und Sprache galt hier als eines der wichtigsten Ziele. Mein Vater war sehr engagiert in der Araucania und wurde schließlich zum Vorsitzenden des Vorstands ernannt. Zu diesem Zeitpunkt wurde er von Fernando Fonck kontaktiert, der ihn bat, im Deutsch Chilenischen Bund (DCB) zu arbeiten und die Zeitung Cóndor zu übernehmen. Schließlich gab er sein Jurastudium im vierten Studienjahr auf und widmete sich ganz der Zeitung. Im Jahr 1940 heiratete er meine Mutter Nori Vogt Reccius, mit der er zwei Kinder hatte: Claus – das bin ich, und Andrea. Meine Mutter war für meinen Vater während seines ganzen Lebens eine sehr wichtige Stütze. Der Zweite Weltkrieg bedeutete eine besonders schwierige Zeit für den Cóndor, da alle deutschen Institutionen unter Beobachtung standen und die Arbeit unter diesen Bedingungen nicht einfach war. Nach dem Krieg und mit der Einwanderung von Deutschen nach Chile begann der Cóndor, seine Auflage zu erhöhen und zweimal wöchentlich im Magazinformat zu erscheinen. Ich erinnere mich, dass mein Vater fast alles bei der Zeitung gemacht hat. In den Anfangsjahren fuhr er morgens um 7 Uhr mit dem Taxi zur Druckerei, um den Cóndor selbst zur Post zu bringen, denn nach 8 Uhr morgens wurden sie nicht mehr bedient.
Streng, ruhig und hilfsbereit
In den 1950er Jahren bat mein Vater den DCB, ihm das Cóndor-Gewerbepatent zu verkaufen,und so wurde er Eigentümer der Deutsch-Chilenischen Zeitung. Damit begannen die auflagenmäßig und wirtschaftlich besten Jahre des Cóndor. Dies dauerte bis Mitte der 1960er Jahre. Ich erinnere mich an meinen Vater als einen ruhigen, introvertierten Mann, der wenig Worte machte, anders als meine Mutter. Er sprach gerade so viel, wie notwendig war, und gab nur Ratschläge, wenn er darum gebeten wurde. In der Burschenschaft, so heißt es, habe er eine ganz andere Persönlichkeit gezeigt und sei sehr gesprächig und mitteilsam gewesen. Dort fühlte er sich am wohlsten. Meine Mutter sagte, dass er bei gesellschaftlichen Anlässen immer schnell wieder nach Hause wollte. Zu uns, seinen Kindern, war er streng und brachte uns bei, dass Verantwortungsbewusstsein, Pünktlichkeit und Ethik in allen Lebensbereichen sehr wichtig sind. Er war auch sehr großzügig und setzte sich für andere ein. Das bezeugen die Arbeiter der Druckerei, die, wenn sie in Not waren, zu ihm kamen und er ihnen, so gut es ihm möglich war, geholfen hat. Ich erinnere mich auch daran, dass er sonntags nach dem Mittagessen mit seiner Schreibmaschine, seinen Zigaretten und manchmal mit einem Glas Rotwein im Esszimmer saß und bis zum Einbruch der Dunkelheit Artikel für die Zeitung schrieb. Ich erinnere mich auch daran, dass ich, wenn ich ihn in seinem Büro in Agustinas besuchte, vor Zigarettenrauch kaum etwas sehen konnte. Alle haben dort geraucht. Mein Vater war in fast allen Aufsichtsräten deutscher Institutionen in Santiago vertreten. Er war sehr daran interessiert, die Institutionen zu stärken, da dies der einzige Weg war, die deutsche Kultur und Sprache zu erhalten. Besonders engagiert hat er sich für die Sociedad Alemana de Beneficencia, früher in Barrancas, heute in Los Rododendros. Es war ihm ein großes Anliegen, älteren und benachteiligten Menschen zu helfen.
Redaktionelle Unabhängigkeit bewahrt
Um auf den Cóndor zurückzukommen: Nach 1965 sank die Auflage der Zeitung und die Zahl der Anzeigen. Das ging so weit, dass die deutsche Regierung anbot, finanziell zu helfen, aber mein Vater lehnte ab, weil er seine redaktionelle Unabhängigkeit nicht verlieren wollte. Mit Hilfe seiner Druckerei konnte die Zeitung überleben, geriet aber während der Regierung der UP in den Jahren von 1970 bis 1973 in eine Krise. Die Druckerei hatte keine Arbeit, so dass er gezwungen war, seine Mitarbeiter zu entlassen und den Cóndor selbst zu schreiben. Dies setzte ihn unter großen Druck und beeinträchtigte seine Gesundheit. Nach dem Militärputsch habe ich die Druckerei übernommen, und insbesondere mit Hilfe der Clínica Alemana, die ihre gesamten Aufträge an unsere Druckerei schickte, konnten wir uns langsam erholen, was dem Cóndor zu einer gewissen Entlastung verhalf. Als wir 1983 die Druckerei modernisierten und den Offsetdruck einführten, war mein Vater bereits krank und konnte sich nicht mehr so recht darüber freuen, denn er starb 1984. In seinen letzten Lebensjahren hatte er aufgrund seiner Krankheit seinen Enthusiasmus und seine Energie verloren. Es war für ihn sehr anstrengend, den Cóndor fortzuführen. Die deutsch-chilenische Zeitung war das «Leitmotiv» seines Lebens. Schließlich übernahm den Cóndor im Jahr 1988, fünfzig Jahre nach seiner Gründung, wieder der DCB. Die Familie von Plate ist bis heute für den Druck des Cóndor verantwortlich. Mein Vater hat sein ganzes Leben lang dafür gekämpft, dass die deutsche Gemeinschaft durch den Cóndor lebendig und vereint bleibt. Wenn mein Vater uns heute sehen würde, wäre er sicher überrascht, dass der Cóndor noch «am Leben ist».