Am vergangenen Ostersonntag und zu Pfingsten nahm der Chor der Erlöserkirche erstmalig unter der Leitung von Silvia Sandoval am Gottesdienst teil. Die Gemeinde horchte erstaunt auf, denn diese Qualität war sie nicht gewohnt. Der Unterschied zu dem bis dato Gehörten glich einem Quantensprung, hieß es.
Wie kam es trotz der kurzen Probezeit zu diesem Niveau? Silvia Sandoval hat
seit über 40 Jahren als herausragende Künstlerin und Universitätsdozentin
Erfahrung gesammelt. An der Facultad de Artes der Universidad de Chile lehrt
sie seit 1971 verschiedene Fächer, von Klavier über Kammermusik bis zu
Chorpraxis, wobei sie zum Beispiel die Lehre des Gregorianischen Gesangs
einführte.
Als Chorleiterin beziehungsweise Pianistin hat sie während ihrer langen
Laufbahn an unzähligen Konzerten teilgenommen, darunter an über 70
Uraufführungen von Werken chilenischer Komponisten. Unter ihrer Leitung
wurden zum ersten Mal in Chile vier Bach-Kantaten aufgeführt, darunter die
Kantate BWV 12 «Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen», die sie damals in der
Erlöserkirche mit Solisten, der Coro-Escuela Arsis XXI und dem Orquesta
Sinfónica Nacional de Chile darbot. Silvia Sandoval rief an der Universidad de
Santiago den Fachbereich Musik ins Leben, was die Gründung von Chören und
des sinfonischen Orchesters dieser Hochschule zur Folge hatte.
Im Jahr 2005 erhielt sie von der Academia de Bellas Artes des Instituto de Chile
aufgrund ihrer herausragenden Leistungen den Preis Domingo Santa Cruz. Sie
hat bisher über ein Dutzend
Tonträger eingespielt, darunter die Weihnachtskantate «Navidad en Chile» von
Pablo Délano, die ihr eine Nominierung zum Premio Altazor zuteil kommen ließ.
Im Gespräch mit dem Cóndor erzählt Silvia Sandoval von ihren Plänen mit dem
Kirchenchor.
Welche kurzfristigen Ziele haben Sie sich mit dem Chor der Erlöserkirche
gesetzt?
Es muss, was verschiedene Aspekte von Gesangstechnik und Einstimmung
betrifft, gründlich und genau gearbeitet werden, um einen schönen Klang zu
erlangen, der den Werken dienlich ist.
Welche Wichtigkeit messen Sie dem Mitwirken an den Gottesdiensten bei?
Das ist für mich sehr wichtig, da eines der Hauptziele des Chors die
Evangelisierung mittels der geistlichen Musik ist, was eine der Hauptaufgaben
der evangelischen Kirchen weltweit ist. Luther beharrte darauf, dass «das
gesamte Volk Gottes» sänge.
Wo setzen Sie bei ihrem Repertoire den Akzent?
Erstens im a-cappella-Chorrepertoire, in verschiedenen Sprachen, was meiner
Meinung nach den natürlichen Ursprung des Chorgesangs darstellt. Historisch
gesehen, ermöglicht uns der a-cappella-Gesang, die Entwicklung der Musik im
Abendland zu schätzen. Im a-cappella-Repertoire stützen sich die Stimmen
gegenseitig. Es ist die reinste Art, Stimmen in einem Chor zu bilden, da so die
verschiedenen Register und Klangfarben der menschlichen Stimme sowie die
unterschiedlichen Stimmenkombinationen in einem Werk bewertet werden
können.
Ich finde es für die Entwicklung eines Chors wesentlich, dass die Mitglieder die
fundamentale Lehre des a-cappella-Repertoires der Monodie, der Polyphonie
und der Harmonielehre kennenlernen. Denn diese verlangt von jedem Register
die höchste Sorgsamkeit, was Stimmung und Homogenität anbelangt, aber
genauso auch bei der Artikulation und dem stimmlichen Gleichgewicht der
verschiedenen Gruppen.
Für grundlegend halte ich es auch, stets Werke von Johann Sebastian Bach im
Repertoire zu führen. Er ist der größte deutsche Barockmeister, der zudem mit
der evangelischen Kirche eng verbunden ist. Es wäre für mich äußerst
erfreulich, wenn wir eine Bachkantate mitsamt ihren instrumentalen Teilen im
Programm haben könnten.
Zweitens finde ich die Lehre des Gregorianischen Gesangs unverzichtbar. Er
stellt das Fundament der geistlichen Musik und der gesamten abendländischen
Musik dar. Oft geht man an die Gregorianik irrtümlicherweise oberflächlich
heran, als etwas Historisches, ohne sich seiner hohen geistigen und
künstlerischen Aspekte bewusst zu sein.
Und schließlich denke ich, dass es für die Chormitglieder wichtig ist, dass sie
die Gelegenheit haben, an Uraufführungen von Werken, besonders von
chilenischen Komponisten, teilzunehmen.
Seit ich im März den Chor übernommen habe, habe ich diese Repertoires
aufgebaut. In der Osterwoche wurden Bach-Choräle auf Deutsch und auf
Spanisch, Gregorianik auf Latein und evangelische Kirchenlieder gesungen.
Werden Sie auch weltliche Werke berücksichtigen?
Selbstverständlich! Es gibt eine große Anzahl von Chorwerken aus
verschiedenen Epochen und Ländern, die nicht zum religiösen Genre gehören,
die aber von großer Schönheit sind. Es ist wichtig, dass der Chor sie
kennenlernt, singt und dann auch vorträgt: Werke von Komponisten wie Mozart,
Schubert, Mendelssohn, Brahms und Schumann sowie Werke aus der
Renaissance und aus späteren Epochen in verschiedenen Sprachen.
Werden Sie als exzellente Kennerin der Chormusik der chilenischen
Komponisten auch dieses Repertoire pflegen?
Allerdings! Es geht dabei ja darum, unsere Kultur bekanntzumachen.
In den nächsten drei Jahren möchte ich, dass einige Uraufführungen und
Wiederaufführungen von bestimmten Werken stattfinden sowie bestimmte
religiöse Werke auf Tonträger festgehalten werden. Außerdem sehe ich
verschiedene a-cappella-Stücke vor wie die der Komponisten Alfonso Letelier,
Darwin Vargas, Pedro Humberto Allende, Juan Amenábar, Pedro Núñez
Navarrete, Federico Heinlein, Pablo Délano und Jorge Rojas Zegers. Dabei möchte ich auch moderne Komponisten und junge Absolventen einer
Komponistenlaufbahn berücksichtigen.
Wer Freude am Singen hat, ist im Chor der Erlöserkirche willkommen. Noch
sind einige Plätze frei.
Interessenten können sich bei Silvia Sandoval melden:
Telefon 56 995458984 oder
arsisxxi@gmail.com