«Die Hoffnung darf man nie verlieren»
«Ihr müsst dafür sorgen, dass das Licht der Hoffnung nie erlischt» – das war ein Satz, der mehr als 250 Schülerinnen und Schüler der 11. und 12. Klassen der Deutschen Schule Santiago (DS Santiago) tief bewegte. Gespannt und beeindruckt verfolgten die Jugendlichen am 18. Mai in der Turnhalle der Schule den Vortrag «Zeitzeugin der Shoah», gehalten von Ana María Wahrenberg.
Der Cóndor berichtete bereits über das bewegte Leben der in Berlin geborenen Jüdin, die im Alter von acht Jahren mit ihren Eltern vor dem Nationalsozialismus nach Chile flüchtete und schon seit vielen Jahren mit Unterstützung des Museo Interactivo Judío de Chile (MIJ) Erinnerungsarbeit betreibt. Dank der Organisation der Fachschaft Geschichte unter der Leitung von Sebastian Rapske, konnte die Holocaust-Überlebende nun ihre Lebensgeschichte, ihre Gedanken und Emotionen im Rahmen eines Zeitzeugenberichts mitteilen.
1939, vor 83 Jahren, mussten sich die beiden achtjährigen jüdischen Freundinnen Annemarie Wahrenberg und Ilse Kohn in Berlin verabschieden – für immer, so schien es. Die beste Freundin von damals heißt heute Betty Grebenschikoff und wohnt in St. Petersburg in Florida. Vor mehr als zehn Jahren begann sie, Vorträge über ihre Vergangenheit als jüdische Schülerin im «Dritten Reich» zu halten. Dabei betonte sie immer wieder, dass sie hoffe, irgendwann ihre Freundin Annemarie wiederzusehen. Vor einigen Jahren hatte auch diese in Santiago mit der Erinnerungsarbeit begonnen. Sie hieß inzwischen Ana María und hielt im November 2020 pandemiebedingt einen vom Museo Interactivo Judío organisierten Zoom-Vortrag über den Novemberpogrom 1938 und nannte dabei den Namen ihrer Freundin Ilse. Eine Zuhörerin war Ita Gordon, Mitarbeiterin der USC Shoah Foundation, eine gemeinnützige Organisation, die 1994 von Filmemacher Steven Spielberg gegründet wurde, um die Zeugnisse von Holocaust-Überlebenden zu bewahren. Sie forschte nach, ob sich Ana Marías Bericht auch schon unter den 55.000 Zeitzeugenaussagen der Stiftung befinden würde. Dabei stellte sie fest, dass ihr Name bei der Aussage von Betty Grebenschikoff vorkam. Und dann geschah das Unglaubliche, das dann auch durch die Weltpresse ging: Die beiden inzwischen 93-jährigen Frauen fanden sich wieder.
So stand das Thema «Hoffnung» im Zentrum des Vortrags in der Deutschen Schule Santiago. «Weder Betty noch ich hatten je die Hoffnung aufgegeben, uns irgendwann einmal wiederzusehen. Und nach 82 Jahren wurde dieser Wunsch wahr. Das ist doch unglaublich: Das ganze Leben hat sie auf mich gewartet! Das haben mir bei unserem Treffen in St. Petersburg ihre Töchter bestätigt. Trotz aller Widrigkeiten und Probleme darf man die Hoffnung nie verlieren. Ich hoffe heute auf eine bessere Zukunft für alle Menschen!», betont sie.
Ana María Wahrenberg hat in Chile vor langen Jahren ihre Heimat gefunden. Sie hat ihre jüdische Gemeinde in Vitacura und pflegt ebenfalls Freundschaften in Deutschland, wo sie von 1970 bis 1983 mit ihrem Mann lebte. Fast alle ihre Verwandten, die während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland blieben, sind von den Nazis umgebracht worden – alle vier Großeltern, Tanten, Onkel und Cousins und Cousinen. «Ich habe aber keine Ressentiments. Die Liebe ist das Größte im Leben. Lasst immer genug Platz dafür in eurem Herzen und passt auf, dass nicht zu viel Hass und böse Gefühle den Platz wegnehmen», sagte sie kürzlich bei einem ihrer Zeitzeugen-Vorträge in einer Schule in Puente Alto. Diese Einstellung möchte sie besonders jungen Leuten weitergeben.
Shoah und Holocaust
Shoah ist ein hebräisches Wort und bedeutet Massaker oder Katastrophe; es bezeichnet die Vernichtung von sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten im Dritten Reich und wurde zunächst in Israel verwendet. Der Begriff Holocaust stammt aus dem Altgriechischen und heißt übersetzt «Brandopfer». Seit 1945 ist er international praktisch ein Synonym für die Ermordung der europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg.
«Mir hat der Vortrag sehr gut gefallen. Ich fand es sehr bewundernswert, wie realitätsnah Frau Wahrenberg ihre Geschichte erzählt hat. Es ist gut, dass wir heutzutage offen über solche Themen sprechen können. Auch wenn wir wahrscheinlich eine der letzten Generationen sind, die die Möglichkeit hat, Zeitzeugen anzuhören, finde ich es absolut notwendig und wichtig, dass solche Veranstaltungen in der Schule stattfinden und hoffentlich auch noch in der Zukunft stattfinden werden.»
Diogo Helms, Klasse III-F