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«Aus der Wildnis des Huemuls» von Otto Bürger

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Deutsche, Mapuche und die Natur im Süden Chiles

Von 1900 bis 1908 wirkte der Naturwissenschaftler Otto Bürger in Chile. Das Land beeindruckte ihn so sehr, dass er seine Erfahrungen in einen Roman goss.

Diese Geschichte handelt von Südchile. Doch sie beginnt in Deutschland, genauer gesagt in Erfurt. Vor Kurzem besuchten wir die Hauptstadt des Bundeslandes Thüringen und schlenderten dort über den Domplatz, wo ich plötzlich vor dem Schaufenster des Antiquariats «Am Waidspeicher» stehen blieb: In der Auslage erblickte ich voller Erstaunen den Buchtitel «Aus der Wildnis des Huemuls».

Hoppla! Der Huemul ist doch der Südandenhirsch und ziert neben dem Kondor das Wappen Chiles. Sollte das Werk tatsächlich von Chile handeln? Ein Blick in die vergilbten, leicht fleckigen Seiten bestätigte die Hoffnung. «Erlebnisse und Abenteuer unter den Kolonisten und Indianern Chiles» steht dort in alter Frakturschrift geschrieben; Verlag Deutsche Buchwerkstätten, Dresden, 1924.

Und auch die Handlung im Buch beginnt in Deutschland. Justizrat Dr. Karl Grau wird von der Wanderlust seines Neffen Franz überwältigt, der gerade das Gymnasium beendet hat und den es ins ferne Chile zieht. Und so brechen die beiden auf: Über Paris, La Coruña, Vigo und Lissabon geht es über die Kanarischen Inseln. Der Dampfer erreicht Recife, Salvador de Bahía und Río de Janeiro. Schließlich gelangen sie in die Magellanstraße, wo sie in Punta Arenas den deutschen Konsul Rudolf Stubenrauch treffen – der dort zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch tatsächlich tätig war.

Weitere Stationen der mehrmonatigen Reise sind die deutschen Einwanderungsgebiete. Das Duo besucht Puerto Montt, Puerto Varas, Frutillar, Valdivia, Osorno, den Lago Todos los Santos, La Unión, Villarrica und schließlich Chiloé. Die Handlung des Romans ist eher trivial – zwei Europäer auf Entdeckungstour, gespickt mit Anekdoten. Die Story dient ohnehin mehr als Gerüst für die ausführlichen Naturbeschreibungen.

Denn der Autor Professor Dr. Otto Bürger, geboren 1865 in Hannover, hatte in Göttingen, Leipzig und Freiburg im Breisgau Biologie, Botanik und Zoologie studiert, bevor er im Jahr 1900 in Santiago de Chile die Leitung der Abteilung Botanik, Zoologie und Mineralogie im Chilenischen Nationalmuseum für Naturgeschichte übernahm. Und so schildert der Wissenschaftler eindrücklich die Baum- und Straucharten im Süden Chiles und gibt einen tiefen Einblick in die Welt der Seesterne, Seeigel und Muschelarten auf Chiloé.

Und nicht nur das. Die Protagonisten im Buch wohnen einem Chueca-Wettkampf der Mapuche bei, zudem heilt eine Machi in einer Machitún-Zeremonie den Onkel, der sich bei einem Reiterausflug schwer verletzt hat. Auch wird ein Ngillatun-Fest beschrieben, auf dem die Ureinwohner um Regen für das trockene Land bitten. Otto Bürgers Schilderungen über Land und Leute sind erstaunlich detailreich und zeugen von profunden Kenntnissen chilenischer Geschichte und Kultur.

Ein zusätzlicher Reiz ergibt sich bei der heutigen Lektüre aufgrund des zeitlichen Abstands von mehr als 100 Jahren zu den Begebenheiten von damals. So schrieb der Verfasser einst: «Pucón, mit einer unendlich großen und öden Plaza, ist Zollstation, der Resguardo und das entlegenste und einsamste Nest, welches man sich denken kann. Zweihundert Seelen wohnen hier in ziemlich zerstreuten Häusern.»

Acht Jahre lang blieb Otto Bürger in Chile und kehrte dann nach Europa zurück. «Acht Lehr- und Wanderjahre in Chile» lautet der Titel eines Buches, das 1923 erschien. Ein Jahr später veröffentlichte er «Aus der Wildnis des Huemuls». Der Deutsche verfasste zudem Wirtschaftsmonographien über Chile (1920), Kolumbien (1921,1922), Peru (1923) und Argentinien (1924). Seine erste Forschungsreise hatte ihn bereits 1896/97 nach Kolumbien und Venezuela geführt. Der Wissenschaftler verstarb 1945 im bayerischen Törwang.

Otto Bürger reiht sich ein in eine ganze Gruppe deutscher Forscher, Wissenschaftler und Gelehrter, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Chile kamen und dort jeweils in ihrem Fachgebiet wirkten. Genannt seien beispielsweise der Sprachwissenschaftler Rodolfo Lenz oder der Geograph Hans Steffen. Otto Bürgers Wirkungsstätte in Chile, das Naturhistorische Museum, wurde damals von Rudolph Amandus Philippi geleitet, der ebenfalls zahlreiche Erkundungsreisen durch das Landesinnere unternahm und dabei Sammlungen zu Fauna und Flora des Landes erstellte.

Im Gegensatz zu seinem Verfasser gefällt es dem jungen Franz nicht nur im «landschaftlich so außerordentlich bevorzugten Süden Chiles». Er entscheidet sich auch, Landwirt zu werden und für immer dort zu bleiben.

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