«Der Mensch kennt nur sich selbst, wenn er die Welt kennt»
Stefanie Schmitt studierte Volkswirtschaft, Geschichte und Politik und promovierte in Gießen über chinesische Privatunternehmen. 1987 reiste sie zum ersten Mal nach China – von da an hat das Land sie nicht mehr losgelassen. Seit 2021 leitet die Wirtschaftsexpertin nun das Auslandsbüro von Germany Trade & Invest (GTAI) für Chile, Uruguay und Paraguay.
Dieser Spruch von Goethe ist ihr Lebensmotto: «Mein ganzes Leben ist bisher fast eine einzige Reise», sagt die 1966 geborene Heidelbergerin, die sich lieber Steffi als Stefanie nennt. Indonesien, später überwiegend China, aber auch Vietnam, Pakistan, Indien, Singapur, Taiwan, Japan, Süd- und Nordkorea sowie die Philippinen und die Mongolei hat sie unter anderem besucht und «entdeckt». Eigentlich wollte sie Journalistin werden, entschied sich dann aber für Volkswirtschaft, Geschichte und Politik, da sie ein breit angelegtes Studium für eine gute Voraussetzung hielt. «Meine erste Rucksackreise nach China war reiner Zufall. Ich hatte ein Pärchen kennengelernt, das gerade von dort zurückgekommen war – und was die beiden erzählten klang so spannend, dass ich mir gedacht habe: Da willst du auch hin. Zum Schrecken meiner Oma habe ich mich allein aufgemacht – damals gab es ja noch keine Handys, keine Mails – und in China nicht einmal ein zuverlässig funktionierendes Telefonnetz. Seit damals hat mich das Land nicht mehr losgelassen – aus der ersten Reise wurde 1988 ein weiterer sechsmonatiger Aufenthalt, später die Diplomarbeit und schließlich eine Doktorarbeit zur Rolle der chinesischen Privatwirtschaft», erzählt sie.
1997 hatte die Vorgängerorganisation der GTAI, damals die Bundesagentur für Außenwirtschaft (Bfai), eine Stelle für Ostasien ausgeschrieben. Die 2009 neu gegründete GTAI unterstützt an mehr als 50 Standorten weltweit deutsche und ausländische Unternehmen beim Auslandsgeschäft oder der Ansiedlung in Deutschland. «Auf die Stelle der damaligen Bfai habe ich mich beworben. Ökonomische Ausbildung, Freude am Schreiben, Aussicht auf einen Auslandsjob – das passte genau. Ich weiß noch, wie ich damals im Bewerbungsgespräch von streng aussehenden Herren befragt wurde, ob ich denn (als Frau?) technisches Verständnis hätte, denn ich müsse ja künftig Branchenberichte auch eher zu Themen wie Maschinenbau oder KFZ-Industrie schreiben. Ich habe ihnen die hydraulisch zu schließende, pneumatisch zu öffnende Sattelkupplung mit recyceltem Compound-Belag erklärt, die das Maschinenbauunternehmen herstellte, bei dem ich gearbeitet hatte. Die Erinnerung an die Gesichter erfreut mich bis heute…»
Seitdem ist sie der GTAI treu geblieben, denn «hier bewegt man sich immer am Puls der Zeit. Stets gilt es, sich in die verschiedensten Branchen einzuarbeiten und ein Auge für die neuesten Trends zu haben, die für die deutsche Wirtschaft interessant sein könnten. Und man hat die Möglichkeit, in den verschiedensten Weltregionen zu leben – ich selbst war acht Jahre in Shanghai, knapp drei Jahre in Vietnam, acht Jahre in Beijing und bin nun in Santiago. Allerdings sind damit natürlich für die Familie auch Herausforderungen verbunden. Während meiner Shanghai-Zeit haben mein Mann, der in Deutschland tätig war, und ich eine ‚globalisierte‘ Beziehung geführt. Während meiner Vietnam-Zeit war er bei mir und unserer damals geborenen Tochter Laetitia. Die ersten Jahre in Beijing musste ich quasi als alleinerziehende Mutter verbringen, weil Günter noch bis zur Rente zu arbeiten hatte, bis er endgültig nachkommen konnte. Er war Parlamentsstenograph am Landtag von Nordrhein-Westfalen. Für eine Familie, bei der beide Teile ihrem Beruf nachgehen wollen, ist so ein GTAI-Auslandsjob schon herausfordernd. Dafür muss man sich sehr bewusst entscheiden und das auch wirklich wollen.» Laetitia besucht seit Ende Februar die Deutsche Schule in Santiago. «Für sie bedeutet das einen Wechsel vom internationalen Schulsystem mit Englisch und Chinesisch auf das deutsche und das Erlernen einer neuen Fremdsprache, Spanisch. Wir sehen das als große Chance für sie.»
In der Schule lernte Steffi Englisch und Französisch und legte das Große Latinum ab. Das Erste, was sie auf Chinesisch konnte, war «mei you», was soviel heiβt wie «haben wir nicht, gibt es nicht, wollen wir nicht». Richtig Unterricht nahm sie dann nach ihrer Übersiedlung nach Shanghai. Neben zahlreichen Veröffentlichungen zur chinesischen Wirtschaftsentwicklung und über die deutsch-chinesische Wirtschaftskooperation schrieb sie «Shanghai-Promenade», ein umfassendes Handbuch von 600 Seiten zu Vergangenheit und Gegenwart der aufregenden Metropole und organisierte Fotoausstellungen in Deutschland, Österreich und Frankreich.
Seit November ist die Familie nun in Chile, lebt aber aus den Koffern, denn der Container ist immer noch nicht da. «Wir sind gewissermaßen Opfer der globalen Lieferkettenproblematik» – Steffi nimmt die Situation mit Humor. Die Hobbies Tanzen (Standard und Latein) und Reiten müssen also noch warten, bis das Zubehör eingetroffen ist. Inzwischen konnte sie aber wenigstens schon die Unesco-Welterbe-Stätten Chiloé und Valparaíso besuchen und fotografieren.
Fahrradfahren, Wandern und Neues entdecken – das hält nicht nur jung, sondern auch schlank. Denn sonst wäre die sportliche Frau wohl um einige Kilo reicher: «Mein Lieblingsessen? Schlagsahne in jeglicher Form, Gänsekeule mit Rotkraut und Klößen, frische Brötchen dick mit Butter und richtig fettem Käse, am besten noch eine heiße Schokolade dazu, mit Schlagsahne versteht sich…»