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viernes, 29. marzo 2024
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Spätes Erwachen

«Es flogen wirklich Bomben und Raketen. Wir konnten es nicht glauben.» Das habe sie morgens am 24. Februar geweckt, erzählt die mit ihren drei Kindern geflüchtete Ukrainerin weinend und verzweifelt bei ihrer Ankunft am Berliner Hauptbahnhof am 1. März den Journalisten. 

Kommentar von Silvia Kählert

Ungläubige Fassungslosigkeit herrscht auch in Deutschland: Am 24. Februar hängen die Fahnen an vielen deutschen Gebäuden auf halbmast. Viele meinen, einen Alptraum zu erleben, der plötzlich zur Wirklichkeit wurde. «Wir alle sind in einer anderen Welt aufgewacht», erklärte Annalena Baerbock. Die deutsche Außenministerin hatte bis zum letzten Augenblick auf Verhandlungen mit Russland gesetzt. 

Vergessen scheint, dass Wladimir Putin bereits vor acht Jahren einen Krieg in der Ukraine begonnen hatte: den Einmarsch in die Krim und in den Donbass. Am 22. August 2014 war es russischen Truppen gelungen, ukrainische Einheiten bei der Stadt Ilowajsk im Donbass einzukesseln. Putin verdrehte damals bereits die Tatsachen, sprach von einem «faschistischen» Kiew, das die russische Minderheit unterdrücke. Und er log damals schon und sicherte den eingekesselten ukrainischen Soldaten freies Geleit zu: Über 100 von ihnen wurden bei ihrem Abzug erschossen. 

Wieder brach Putin sein Wort im Jahr darauf: Während die Ukrainer verzweifelt Debalzwe mit einem wichtigen Eisenbahnknoten verteidigten, führten am 11. Februar 2015 Merkel und der damalige französische Präsident Hollande in Minsk Verhandlungen mit Putin. Schließlich wurde ein Waffenstillstand für den folgenden Tag erreicht: Putin stoppte aber die Angriffe erst, als die Russen die ukrainische Stadt am 18. Februar erobert hatten. Bis heute sind allein im Krim-Krieg 14.000 Menschen umgekommen. 

Was für Putin im «Kleinen», ohne für ihn spürbare Sanktionen vom Westen funktioniert hat, das setzt er nun im «Großen» fort, um seine Machtfantasien zu verwirklichen. Jetzt erst werden die bereits seit vielen Jahren fälligen Maßnahmen zur Verteidigung in Deutschland vorgenommen. Es wird sogar die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert. Für die in den vergangenen Tagen tausenden Getöteten im Ukraine-Krieg kommt dies allerdings zu spät.

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