Leben mit einem fremden Organ
Marlenne Zeller ist eine fröhliche und warmherzige Frau. Wer ihr begegnet, ahnt nicht, dass sie in ihrem Leben mehrere schwere Schicksalsschläge erlitten hat. Als Vorsitzende des Vereins «Grupo de apoyo al trasplante» der Clínica Las Condes hilft sie nun anderen, mit ihrem Schicksal besser zurechtzukommen.
Pan de Pascua, saftig mit Apfelmus verfeinert, oder zarte Carne Plateada mit Puré Rústico – Marlenne Zellers Speisen sind ein Gaumenschmaus. Aber auch ein Augenschmaus: Der von der Amateur-Köchin gedeckte Tisch, die Teller und Platten – alles ist mit Farben und Blumen so aufeinander abgestimmt, dass der Appetit schon beim Hinschauen kommt. In ihrer kleinen Küche in ihrem Haus in Vitacura liebt es die 62-Jährige, ihre Familie, Freunde oder auch diejenigen, bis zu denen sich ihre Kochkünste herumgesprochen haben, zu bekochen! Es scheint, dass das, was die lebenslustige Frau anpackt, immer mit Elan, Engagement und Leidenschaft tut. Vielleicht hat diese Fähigkeit ihr geholfen, mit mehreren schweren Schicksalsschlägen in ihrem Leben fertig zu werden.
In Los Angeles ist sie als die Jüngste von drei Geschwistern zur Welt gekommen. Mit
39 Jahren starb ihr deutsch-chilenischer Vater bei einem schweren Autounfall, als Marlenne gerade 13 Jahre alt war. Ein Jahr habe es gedauert, dann habe ihre Mutter sich von dem Unglück erholt. «Meine Mutter war eine starke Frau», erzählt Marlenne. Sie habe das Transportunternehmen ihres Vaters selbst weitergeführt und Aufträge von der Firma Nestlé erhalten. «Außerdem war sie bei allen beliebt und viele haben ihr geholfen.» Ihre Kindheit hat sie trotzdem als eine wunderbare Zeit in Erinnerung: «Wir lebten auf dem Land und in der Natur war ich sehr glücklich!»
Marlenne besuchte das Colegio Teresiano in Los Angeles. «Mein Großvater war Deutscher und mein Vater sprach auch Deutsch, aber leider nicht mit uns Kindern.» Erst ihre Tochter Paula hat an die Familienherkunft angeknüpft, die Deutsche Schule Santiago besucht und spricht die Sprache ihrer Vorfahren.
Bereits mit 15 Jahren hat Marlenne ihren späteren Mann Ariel kennen und lieben gelernt. «Nach der Hochzeit mit 17 Jahren sind wir dann nach Concepción gezogen, wo Ariel herkommt. Das waren sehr schöne Jahre.» Vor allem war sie eine leidenschaftliche Tennisspielerin, gewann viele Pokale und Medaillen für den Club Estadio Español, wenn es auch nur beim Amateursport blieb. Als Marlenne bereits ihre Tochter Paula und ihren Sohn Ariel hatte, bekam sie mit knapp 30 Jahren ihr drittes Kind Pablo. Gleich nach der Geburt erklärten ihr die Ärzte, dass mit Pablo etwas nicht in Ordnung wäre. Es wurde bei ihm das Rubinstein-Taybi-Syndrom festgestellt. Die geistigen und körperlichen Behinderungen beruhen auf einer Genmutation. Mit großer Liebe geht Marlenne mit dem heute 33-jährigen Sohn um. «Nach der Geburt habe ich sehr viel geweint», erzählt sie, «aber es musste weitergehen und dann habe ich mich mit der Situation abgefunden». Ihrem Mann sei dies schwerer gefallen und die Geburt ihres jüngsten Sohnes habe ihre Ehe auf eine harte Probe gestellt.
In dieser Zeit begann sie für die Bekleidungsfirma Tantiene zu arbeiten, zunächst nur für den Transport der Kleidungsstücke zu den Läden. «Es war viel Arbeit, aber es machte auch viel Spaß.» Wieder engagierte sie sich voll und ganz: «Am Ende war ich die Chefin von sechs Geschäften.»
Einige Jahre später erwartete sie wieder ein Schicksalsschlag. Sie hatte starke Rückenschmerzen. Nach einer Ultraschalluntersuchung stellten die Ärzte fest, dass die Leber entzündet war. Es wurde eine chronische Hepatitis diagnostiziert und ihr angekündigt, dass irgendwann eine Lebertransplantation nötig werden würde. «Ich kam damit nicht klar. Obwohl es sich um eine schwere Krankheit handelte, glaubte ich, dass ich mich mit der Zeit selbst heilen könnte, so dass eine Transplantation nicht nötig sei.» Zehn Jahre später wurde sie dann im letzten Moment operiert und erhielt eine neue Leber. «Nach der Operation blieb ich 45 Tage im Krankenhaus. Ich war viele Tage in einer Art Koma. Als ich wieder richtig aufwachte, konnte ich mich zunächst nicht damit abfinden, ein fremdes Organ zu haben.» Sie sei danach ein Jahr lang in eine tiefe Depression gefallen. Ob es eventuell auch an den Medikamenten lag, kann sie nicht mehr sagen.
Marlenne ist seit neun Jahren die Vorsitzende des Vereins «Grupo de apoyo al trasplante»
der Clínica Las Condes, der 1999 gegründet worden war. Man habe festgestellt, dass der Erfolg der Operation und die Lebensqualität der Patienten davon abhängen, wie gut die Familien emotional unterstützt und informiert werden. Die Mitglieder helfen daher Kranken, denen eine Transplantation bevorsteht, beziehungsweise denen, die eine Operation hinter sich haben. Einmal im Monat organisiert Marlenne ein Treffen, zu dem ein Arzt einen Vortrag über ein medizinisches Thema hält. Ein besonderer Tag ist jedes Jahr der 27. September, der «Día Nacional del Donante de Órganos». Dann lädt die Clínica Las Condes alle ein, die ein neues Organ erhalten haben sowie ihre Familienangehörigen und die Familien von den Organspendern. Ärzte, Angehörige und auch Marlenne berichten von ihren Erfahrungen, ermutigen sich gegenseitig und freuen sich über die erfolgreichen Operationen.
Anscheinend hält ihr Engagement Marlenne Zeller fit. Denn wie ihr Mann Ariel vor kurzem zu ihr sagte: «Ich wünschte, ich hätte nur halb so viel Energie wie du!»