Blu-Ray-Report
Das Beethovenjahr 2020 sollte in Wien auf besondere Weise begangen werden. Zum 250. Geburtstag des Komponisten war geplant, die drei Fassungen seiner einzigen Oper «Fidelio» über die großen Bühnen der österreichischen Hauptstadt gehen zu lassen. Das historische Theater an der Wien, in dem die erste und die zweite Version 1805 beziehungsweise 1806 uraufgeführt worden waren, erstellte eine Inszenierung der zweiten Fassung. (Beethoven hatte sie nach dem nur mäßigen Erfolg der «Leonore» titulierten Urfassung überarbeitet.) Der Andrang war erwartungsgemäß groß, die Premiere Monate vorher ausverkauft. Doch dann kam Corona und aus den Vorstellungen wurde nichts.
Um einen Totalverlust zu vermeiden, entschlossen sich die Verantwortlichen nun, die Produktion ohne Publikum vom Fernsehen aufzeichnen zu lassen. Die TV-Leute hatten somit die Freiheit, sich im Parkett nach Gusto breit zu machen, wie es im Vorspann der Blu-Ray-Platte zu sehen ist. Was danach kommt, enthält für den Liebhaber der endgültigen Fassung viel unbekanntes Terrain. Schon die ersten Takte kündigen an, dass man in einer anderen Oper sitzt: Statt der gewohnten «Fidelio»-Ouvertüre erklingt ihre Vorgängerin «Leonore Nr. 3». Die Handlung beginnt überraschenderweise mit Marzellines Arie «O wär ich schon mit dir vereint» und erst danach kommt das Duett «Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein», das in der Endfassung den Anfang macht. Etliches klingt neu, anderes bekannt, aber rustikal oder unausgegoren, wie etwa die grandiose Schlussszene «Wer ein holdes Weib errungen», deren musikalisches Gefüge gewöhnungsbedürftig ist.
Das Bühnenbild ist eine riesige, gewundene Treppe, auf der die Solisten, die Statisten und das Chorpersonal unentwegt und meist unmotiviert hinauf- und hinabsteigen. Nach zehn Minuten fragt man sich, was das ewige ‘rauf und ‘runter eigentlich soll – vergebens, Regisseur Christoph Waltz hält sein Kletterkonzept eisern bis zum Schluss durch. Szene und Kostüme sind während der ganzen Vorstellung mausgrau gehalten, was in der bedrückenden Kerkeratmosphäre zwar nicht unrichtig ist, sich aber nach einem gewissen Zeitraum monoton auswirkt.
Das vorwiegend junge Sängerensemble schafft Beachtliches, ohne Weltklasse zu sein. Der Arnold Schoenberg Chor und die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Manfred Honeck sind allererste Musiker, die wiederholt mit glänzenden Effekten aufwarten. Schon die kraftvoll gespielte Ouvertüre mit dem funkelnden Finale kündigt einen außergewöhnlichen Abend an. Bei Pizarros Arie «Ha, welch ein Augenblick» erzeugt Honeck gemeinsam mit den Symphonikern eine elektrisierende Dramatik. Ebenso der Arnold Schoenberg Chor in «O welche Lust, in freier Luft» und das Finale des ersten Aktes.
Leider liegt kein Bonusmaterial bei, nicht einmal ein Interview mit dem Dirigenten Manfred Honeck, ein herausragender Künstler, der zur Produktion dieser Rarität bestimmt viel Interessantes hätte erzählen können!
Ludwig van Beethoven: «Fidelio», Österreich, 2020. Musikalische Leitung: Manfred Honeck. Regie: Christoph Waltz. Fernsehregie: Felix Breisach. Ton: Jakob Palfrader, Philipp Treiber. Mit Nicole Chevalier (Leonore), Eric Cutler (Florestan), Gábor Bretz (Pizarro), Christof Fischesser (Rocco), Mélissa Petit (Marzelline), Benjamin Hulett (Jaquino) u. a. Spieldauer: 131 Min.
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Ton ****
Darbietung ***
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