Der «Hauptmann von Köpenick» – ein Hochstapler in Preußen
Als «Hauptmann Mahlzahn» brachte Friedrich Wilhelm Voigt seine Karriere als «Gauner» zu einem außergewöhnlichen Höhepunkt. Und als «Hauptmann von Köpenick» schrieb er Geschichte, die auch zum Begriff für seine besondere Art der Hochstapelei wurde: die «Köpenickiade».
«Auf Befehl Eurer Majestät ist das Rathaus besetzt»
«Seit 4 Uhr nachmittags befindet sich unsere Bürgerschaft in größter Aufregung. Mit dem Vorortzuge 2.46 Uhr traf von Berlin eine 20 Mann starke Abteilung Soldaten unter der Führung eines Hauptmanns auf dem Cöpenicker Bahnhof ein, marschierte nach der Stadt und besetzte das Rathaus. Vor dem Hauptportal nahm ein Doppelposten mit aufgepflanztem Bajonett Aufstellung, während die beiden anderen Eingänge […] mit einfachen Posten besetzt wurden. Jeder Verkehr nach innen und außen wurde sofort unterbrochen, die Beamten erhielten Anweisung, sich in ihren Bureaus aufzuhalten und auch der Ratskeller wurde für den Verkehr gesperrt; einige Gäste wurden dort sogar zurückgehalten. Selbst den Mitgliedern der städtischen Behörden verweigerten die Soldaten den Zutritt zum Rathaus mit der Erklärung: «Auf Befehl Er. Majestät ist das Rathaus besetzt».»
So berichtete das Extrablatt des Cöpenicker Dampfboot am 16. Oktober 1906 über die Ereignisse in Köpenick. Ein Überfall auf das Rathaus mitten am Tag vor aller Augen und dann der Raub der Stadtkasse und das alles mit «Unterstützung» von preußischen Gardisten und der Ortspolizei – die Nachricht von diesem außergewöhnlichen Coup stieß nicht nur in Preußen, sondern auch im Ausland auf großes Interesse. Man machte sich über die preußische Armee lustig und als dann zwei Wochen später, Friedrich Wilhelm Voigt – der «Hauptmann von Köpenick» – von seinem ehemaligen Mithäftling Kallenberg denunziert wurde, wurde er zur Berühmtheit.
Am Ende wurde er zu vier Jahren Haft verurteilt. Er kam aber bereits am 16. August 1908 wieder auf freien Fuß, da der Kaiser ihn begnadigte. Ob er es aufgrund der vielen Bittsteller, die sich für Voigts Freilassung einsetzten, tat oder weil er selbst die Situation amüsant fand, ist nicht aufzuklären. Nach dem Lesen des telegrafischen Berichts soll er gelacht und gesagt haben: «Da kann man sehen, was Disziplin heißt. Kein Volk der Erde macht uns das nach!» Dieser Ausspruch des Kaisers ist allerdings nicht verbürgt.
Wie aber konnte es überhaupt zu dieser Episode kommen? Traumatische Kindheit
Friedrich Wilhelm Voigt kam am 13. Februar 1849 in Tilsit, Ostpreußen, zur Welt. Sein Vater war Schustermeister, verspielte aber regelmäßig sein Einkommen und war zudem gewalttätig gegenüber seiner Frau. Daher war es kein Wunder, dass der Sohn bereits mit 14 Jahren beim ersten Diebstahl ertappt wurde. Und es folgten dann weitere Diebstähle, versuchter Einbruch und Urkundenfälschungen, die ihn mehrfach ins Zuchthaus führten. Für verschiedene Vergehen saß er am Ende insgesamt 29 Jahre im Gefängnis.
Während seiner Haft las er Geschichtsbücher und lernte auch viel über das Militär. Selbst konnte er als Vorbestrafter jedoch keinen Militärdienst leisten. Er kannte sich aber über Uniformen, militärische Grade und militärische Umgangsformen aus. Beim Vater hatte er das Schusterhandwerk gelernt, was er dann auch während seiner Zuchthausstrafen und auch in verschiedenen preußischen Städten sowie in Prag und Österreich ausübte. Sein Leben blieb aber unstabil, da ihm Aufenthaltserlaubnisse oder auch ein Pass fehlten, um sich an einem Ort anmelden zu können. So blieben seine Anstellungen stets temporär und sein Leben glich dem eines Vagabunden.
Immer wieder geriet er auf die schiefe Bahn und so wechselten sich bis zu seinem Coup in Köpenick kurze Zeiten in Freiheit mit längeren Gefängnisstrafen ab. Die Besuche zum Vaterhaus nach seinen Freilassungen brachen irgendwann ganz ab. Seine Gaunereien steigerten sich und als «Hauptmann von Köpenick» nahmen sie schließlich groteske Züge an, die ihn aber zugleich in der Geschichte verewigten.
Die Freiheit und ein neues Leben
Noch am selben Tag seiner Entlassung aus dem Gefängnis gab er ein Interview, für das er 200 Mark erhielt. Darin sagte er: «Immer größer wurde die Sehnsucht in mir, als Freier unter Freien zu wandeln. Frei bin ich ja nun wohl geworden, aber ich wünsche (… ) und bitte Gott möge mich davor bewahren, noch einmal vogelfrei zu werden.»
Ins Gefängnis musste er dann tatsächlich nicht mehr. Er war nun berühmt und trat in Lokalen und Jahrmärkten auf, wo er den Hauptmann von Köpenick mimte. Er verkaufte auch Autogrammkarten mit Bildern, die ihn in Uniform oder in Zivil zeigten. 1909 erschien seine Autobiografie «Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde. Mein Lebensbild» in einem Leipziger Verlag. Darin stellt er sich als ein Opfer der Amtsgewalt dar und seine kriminellen Handlungen als Folge davon: Da man ihm weder Aufenthaltsgenehmigung noch Pass ausstellen wollte, sei ihm die Rückkehr in geordnete Lebensverhältnisse verhindert worden und habe ihn letztlich eben zu jener Aktion in Köpenick verleitet. Wahrscheinlich war es ihm aber um den Raub der Stadtkasse gegangen, deren Inhalt von 3557,45 Mark (Kaufkraft heute circa 22.000 Euro) er viel höher geschätzt hatte.
1910 erhielt er einen luxemburgischen Ausweis und siedelte sich in dem Land an, wo er nach dem Abflauen seiner öffentlichen Auftritte als Kellner und Schumacher arbeitete. Durch seine Popularität gelangte er zu einem gewissen Wohlstand und kaufte 1912 ein Haus. Während des Ersten Weltkriegs kam er während der Besetzung Luxemburgs durch deutsche Truppen kurzzeitig in Gefangenschaft, zog sich dann in seinen letzten Jahren aus der Öffentlichkeit zurück. Friedrich Wilhelm Voigt starb, durch die Inflation völlig verarmt, am 3. Januar 1922 im Alter von 72 Jahren an einer Lungenerkrankung.Seine «Köpenickiade» reizte Schriftsteller dazu, dieses Thema für Bühnenstücke zu verwenden. Es entstanden auch zahlreiche Stummfilme und das Drama «Der Hauptmann von Köpenick. Ein deutsches Märchen in drei Akten» von Carl Zuckmayer, das von 1930 bis 1933 mehrfach aufgeführt, dann aber während des Nazi-Regimes verboten und erst wieder nach dem Krieg populär wurde. Mit der Verfilmung mit Heinz Rühmann 1956 und Harald Juhnke 1997 erlebte es dann den großen Erfolg. Heute wird in Köpenick, das seit 1920 ein Stadtteil Berlins ist, jährlich im Oktober das Zuckmayer-Stück im Festsaal des Rathauses aufgeführt.