Was Warten wirklich bedeutet – so wurde in den letzten Jahren gern behauptet – das wüssten wir heute gar nicht mehr. Alles sei doch sofort verfügbar: Rappi und Pedidos Ya bringen Essen und Lebensmittel, MercadoLibre liefert am nächsten oder noch am selben Tag, zumindest in Santiago. Netflix zeigt uns jede erdenkliche Serie und jeden Film auf Knopfdruck, Google jede nötige Information. Das Warten sei verlernt worden. Es ist etwas Wahres an diesem Satz, und doch auch viel Überhebliches.
Wahr ist: Wir haben uns tatsächlich daran gewöhnt, vieles schnell zu bekommen. Die Welt um uns herum ist hektischer geworden als sie noch für unsere Eltern und Großeltern war. Damit sind die Anforderungen an uns gestiegen, aber auch unsere eigenen Erwartungen an unser Umfeld. Wir müssen unser Leben schließlich irgendwie organisieren.
Auf der anderen Seite finde ich es doch etwas verwunderlich, vorgehalten zu bekommen, wir hätten das Warten verlernt. Wir alle warten.
Manchmal passiv, auf Umstände die wir nicht beeinflussen können. Wenn ein lang ersehnter Besuch sich endlich wieder ankündigt, die Monate aber nicht vergehen wollen. Wenn Gewalt und Bedrohung für unsere Mitmenschen auch in unserem Land einfach nicht aufhören wollen. Dieses passive Warten kann frustrierend sein. Die Wartezeit kommt uns dann ewig vor.
Dann gibt es das aktive Warten. Wenn ich mich auf die Geburt meines Kindes vorbereite, Kurse besuche, mir Rat hole und notwendige Dinge beschaffe. Wenn ich eine Krankheit oder Verletzung überwinde und mich um neue Kräfte bemühe, um wieder auf die Beine, aus dem Bett oder in Gesellschaft zu kommen.
Das ultimative globale Warten findet aber erst seit letztem Jahr statt: Wann ist die Coronapandemie vorbei? Sie führt uns jeden Tag vor Augen: Warten ist frustrierend. Vor allem wenn man sich bewusst macht, dass auch nach dem Ende von Corona nicht mehr alles so sein wird wie davor. Gleichzeitig sind wir nun aber seit knapp zwei Jahren auch gezwungen, die Wartezeit zu gestalten, ja wir müssen sie irgendwie gestalten, um nicht zu verzweifeln.
Und dann sind da noch die Er-Wartungen. Der ersehnte Ausgang: Eltern, die ihre Kinder (egal ob gerade geboren oder schon erwachsen) endlich in die Arme schließen können; Frieden, der auch erst einmal einfach das Ende von Angst bedeuten kann; Gesundheit, die so viel mehr ist als nur körperlich genesen zu sein.
Bei all diesen Erwartungen kann es vorkommen, dass wir über das Ziel hinausschießen. Ausgemalt in den schönsten Farben, sind Erwartungen manchmal etwas übersättigt, ein bisschen schöner gezeichnet, als die Realität sie abbilden kann. Die Kunst ist dann, diese Erwartungen nicht zur obersten Maxime werden zu lassen. Die Enttäuschung ist die böse große Cousine der zu hohen Erwartung.
Die Jahreszeit, die gerade anbricht, ist auf jeden Fall eine Zeit voller Erwartungen. Jeder von uns hat andere Vorstellungen vom Advent. Sie unterscheiden sich je nach Kultur, Land und Familie. Für die einen ruhig und besinnlich, für die anderen Urlaubszeit, für wieder andere Hektik und Stress. Wie diese Zeit gelebt und erlebt wird, hat sich in unserem Glauben und unserer Kultur niedergeschlagen. Im Advent haben sich über die Jahrhunderte immer wieder andere Rituale und Gepflogenheiten entwickelt, die das Warten gestalten und uns die Vorfreude zelebrieren lassen.
Es wurde gefastet und gebetet, es wurden Feiertage, wie der Nikolaustag ausgebaut und mit Ritualen versehen. Vor etwa 150 Jahren erfand beispielsweise ein Hamburger Pastor den Adventskranz, um Kindern die Zeit bis Weihnachten anschaulicher und das Warten leichter zu machen. Der Adventskalender versucht uns das Warten im wahrsten Sinne des Wortes zu versüßen.
Die Adventszeit kann uns einen Hinweis darauf geben, wie Warten auszuhalten ist. Und sie kann uns einen Hinweis geben, wie wir mit unseren Erwartungen umgehen können.
Im Kern des Advents steht das Kommen Jesu auf diese Welt. Darauf bereiten wir uns vor. Er, der Sohn Gottes, der Retter, der Messias – an ihn könnten die Erwartungen gar nicht größer sein!
Schon damals in Israel wurde er erwartet, ohne dass die Menschen genau wussten, wann genau oder wer genau da kommen würde. Alte Prophezeiungen gab es viele. Man ersehnte sich viel. Und es kam erst einmal anders, als es sich viele erträumten. Ein Säugling, geboren in einem Stall, schlafend in einer Krippe. Schwach, klein, arm. Selbst als Wanderprediger in Israel vermittelte er den meisten nicht das Bild des erwarteten starken Erlösers, der die Juden am besten noch von der Besetzung der Römer befreit. Und dann die Verurtelilung und der Tod am Kreuz! Erst seine Auferstehung öffnete vielen die Augen. Erwartet wurde ein mächtiger Herrscher – gekommen ist ein Retter, der heilt und Sünden vergibt. Und damit den Weg zu Gott ebnet. Auch wenn um uns herum noch Besetzung, Krieg, Trauer und Ungerechtigkeit herrschen.
Eine unerwartete Lösung auf ein jahrhundertelanges Warten. Jesu‘ Kommen schließt die Advents(warte)zeit ab. Er ist da. Anders als erwartet, doch was aus ihm erwächst, ist größer als alle Erwartungen. Egal, ob wir jeden Sonntag den Gottesdienst besuchen, nur zum Weihnachtskrippenspiel auftauchen oder die Kirche lieber aus der Ferne betrachten – eines können wir aus der Adventszeit mitnehmen: Hoffnungsvolles Warten lohnt sich.
Es ist kein ängstliches Bangen um die Zukunft oder ein ungewisses Ausharren, bis irgendwann einmal eine Veränderung eintritt. Die Botschaft des Advents ist: Wartet mit Vertrauen. Auch wenn das Erhoffte zunächst ganz anders aussieht, als in unserer Vorstellung – Gutes wird sich entwickeln.
Der Advent lehrt uns auch: Warten muss nicht heißen, dass wir in eine aushaltende Starre verfallen. Wir können das Warten gestalten, können kreativ werden. Mit eigenen Bräuchen, mit einem fröhlichen Austausch über das, was da kommen mag. Wir können uns vorbereiten und auf diesem Weg Neues schaffen. Aktiv gelebte Vorfreude. Gerade auch in Coronazeiten.