Von Leidenschaft zu Leidenschaft
Mehr als 25 Jahre schon arbeitet Harriet Nahrwold in Chile und im Ausland freiberuflich im Kommunikationbereich als Spezialistin für die Weinindustrie. Ihr Familienbetrieb stellt Apfelwein her, der vor kurzem eine internationale Auszeichnung erhielt.
Ihre Eltern Lore Saelzer und Gottfried Nahrwold sind deutschstämmig, und seitens ihrer Groβmutter Alvine Anwandter ist sie direkter Nachkomme von Carlos Anwandter, der als einer der ersten deutschen Einwanderer im Jahr 1848 nach Chile kam. «Die Familie Saelzer landete um 1852 aus Kassel kommend in Valdivia. Mein Urgroßvater Jorge Saelzer war einer der Inhaber von Saelzer & Schwarzenberg, einem der größten Eisenwarengeschäfte in Valdivia. Zusammen mit seinen Partnern kaufte er zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Huiscapi-Farm, auf der ich aufgewachsen bin. Ich wurde zwar in Valdivia geboren, aber mein Leben war immer eng mit diesem Landgrundstück in einem Dorf in der Region Araucanía zwischen Villarrica und Loncoche verbunden», erinnert sie sich. «Der Betrieb wurde schließlich verkauft, aber vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit, erneut ein Stück dieses Landes zu erwerben, auf dem sich jetzt die Kellerei befindet, in der wir unseren Apfelperlwein herstellen.»
In seiner Ausgabe vom 6. August berichtete der «Cóndor», dass der chilenische Apfelschaumwein Quebrada del Chucao, dem Familienbetrieb in Huiscapi, bei einem renommierten internationalen Weinwettbewerb ausgezeichnet wurde. Seit 2010 hat sich das Unternehmen auf die Herstellung von Cidre aus Äpfeln spezialisiert, die in alten Obstgärten und landwirtschaftlichen Betrieben im Süden Chiles angebaut werden.
«Mein Vater stammte aus Minden in Westfalen. Er kam 1951 nach Chile, um mit meinem Großvater in der Landwirtschaft zu arbeiten. Dort lernte er meine Mutter kennen und sie heirateten. Mein Vater war schon einmal in Deutschland verheiratet, aber seine aus Dresden stammende Frau wurde von den Russen gefangen genommen und verschwand neun Jahre lang in Straflagern in Sibirien. Wie durch ein Wunder gelang es ihr, zu überleben und nach Deutschland zurückzukehren. So erfuhr ich, dass ich eine Halbschwester habe, die dort wohnt. Wir sind uns in den letzten Jahren sehr nahegekommen.»
Nachdem Harriet die Deutsche Schule Carlos Anwandter in Valdivia und das Santiago College besucht hatte, machte sie an der Universität Adolfo Ibáñez einen Master in Geisteswissenschaften und absolvierte eine Ausbildung als Erzieherin an der Universidad de Chile. In den 1970er Jahren lebte sie fast sechs Jahre lang in Deutschland, um an der Hochschule in Detmold Musik zu studieren. «Zu dieser Zeit war die Entwicklung der gehobenen Gastronomie dort viel weiter fortgeschritten als in Chile. In Zeitschriften erschienen Rezepte und schöne Fotos von Gerichten, die ich gerne nachkochte. Und so begann ich, mich mit der theoretischen Seite des Kochens zu befassen und die Kreativität von herzhaften Gerichten und Desserts zu verstehen. In Chile hatte ich dann Gelegenheit, für Zeitschriften zu arbeiten, die in dieser Thematik, aber auch bezüglich des Weins Pionierarbeit geleistet haben. Im Laufe der Zeit wurde der Wein für mich immer attraktiver, da er die Eigenschaften des Klimas und der Böden auf denen die Reben wachsen, in hohem Maße widerspiegelt.»
Überzeugt von den Vorteilen der Verbandsarbeit hatte sie Führungspositionen in verschiedenen Verbänden inne, die mit ihrer beruflichen Tätigkeit in Verbindung stehen, wie der Círculo de Cronistas Gastronómicos y del Vino de Chile, AG. und die Cofradía del Mérito Vitivinícola AG. Außerdem ist sie Herausgeberin des Buches Vinos de Chile (Verlag Editorial Contrapunto) und der Webseite www.desobremesa.cl.
Seit 1976 ist die rührige Frau mit Enrique Rivera verheiratet. Bevor sie die Leidenschaft für die Gastronomie teilten, war es die Leidenschaft für die Musik. «Enrique war Komponist, und ich studierte Querflöte. Leider haben uns die kulturellen Umstände in Chile in den frühen 1980er Jahren dazu veranlasst, andere Karrierewege einzuschlagen, und so sind wir beide im Verlagswesen gelandet, das mit der Gastronomie zu tun hat – eine groβe Veränderung! Trotzdem ist die Musik nach wie vor ein grundlegendes Element in unserem Leben», erzählt sie. Das Paar hat drei Kinder: Die Älteste, Ana, befasst sich als Beraterin mit Fragen der Nachhaltigkeit, insbesondere im Lebensmittelbereich. Diego ist Winzer beim Weingut Viña Garcés Silva, daneben Gründungsgesellschafter und Harriets Partner im Sidrageschäft. Luisa ist Illustratorin und lebt in London. Von ihr stammen die wunderschönen Etiketten auf den Apfelperlweinflaschen.
Reisen ist eine weitere Leidenschaft der 68-Jährigen. «Dank meiner Kommunikationsarbeit zum Thema Wein konnte ich viele Orte besuchen und Menschen treffen, die mir sehr offen ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergegeben haben. Am meisten beeindruckt hat mich der Besuch der Weinberge an den Ufern der Rhône. Noch heute erinnere ich mich mit Begeisterung an die steilen, mit Weinreben bepflanzten Hänge, den majestätischen Fluss mit seinen Schiffen und die kleinen Dörfer an seinen Ufern. Es ist eine echte Kulturlandschaft, in die der Mensch zwar eingreift, aber ohne der Natur zu schaden.»
Ihre deutschen Vorfahren haben Harriet Nahrwold geprägt: Sie liebt und bewahrt typische Traditionen zu Weihnachten, Ostern und andere, die für Kinder eine besondere Bedeutung haben. Arbeitsdisziplin ist ihr sehr wichtig, und sie bezeichnet sich selbst als «Ordnungsfanatikerin».