Wie die ersten Familien ihr neues Leben in Chile begannen
Unbewohnt, unerforscht und viel Urwald – die Provinzen Valdivia, Osorno und Llanquihue sollten im 19. Jahrhundert besiedelt werden. Neun Familien aus Nordhessen bildeten 1846 die Vorhut der folgenden über 6.000 deutschen Einwanderer – angeworben von den rührigen Philippi-Brüdern Bernhard und Rudolf Amandus.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es im Süden Chiles die Städte Valdivia und Osorno sowie die kleinen Orte La Unión und Río Bueno. Auch in der Nähe des späteren Puerto Montt gab es drei jahrhundertealte Siedlungen: Calbuco, Maullín und Carelmapu. Der Rest des Landes war verstreut besiedelt, hauptsächlich von Hui-
lliche-Familien, und es gab große unbewohnte Gebiete mit Urwäldern und Sümpfen.
Handwerker gefragt
Daher begann Anfang der 1840er Jahren die chilenische Regierung unter Präsident Manuel Bulnes erstmals darüber nachzudenken, die Provinzen Llanquihue und Valdivia zu kolonialisieren. Ihr Ziel war die Ausbeutung der reichhaltigen natürlichen Ressourcen im Süden sowie die Angliederung dieser Gebiete an das übrige Chile, um diese besser kontrollieren zu können und die Besetzung durch andere Länder zu verhindern.
Nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen konnte Bernhard Eunom Philippi schließlich die chilenische Regierung überzeugen, 1845 das «Ley de inmigración selectiva» zu erlassen. Es zielte darauf ab, Fachkräfte und Handwerker für die Besiedlung von Gebieten im Süden Chiles zwischen den heutigen Regionen Los Ríos und Los Lagos zu gewinnen, für die sogenannte Kolonialisierung von Llanquihue.
Da aber keine konkreten Schritte durch die Regierung unternommen wurden, startete Bernhard Philippi seine eigene Initiative, die dann auch das Vorhaben der Regierung später richtig in Gang brachte. Der aus Charlottenburg gebürtige Preuße Philippi war Seefahrer, Naturaliensammler und Erkundungsreisender. Nachdem er bereits 1832 und 1837 in Chile war, kam er schließlich 1841 ausgestattet mit einem einjährigen Stipendium als Naturforscher und Sammler zurück. Er begann die Gebiete um Valdivia und Osorno zu erkunden und Anfang 1842 entdeckte er den Llanquihue-See, der damals Lago de Valdivia hieß. Philippi war fasziniert von dieser nur aus Urwäldern und Wildnis bestehenden Region und es reifte in ihm der Gedanke, dass diese besonders geeignet wäre für deutsche Siedler.
Privates Projekt
Die Umsetzung der Kolonialisierung durch die Regierung zog sich hin und so war Philippi bereits 1844 eine Partnerschaft mit Ferdi-
nand Flindt eingegangen. Der deutsche Kaufmann und preußische Konsul, der in Valparaíso ansässig war, hatte den Fundo Santo Tomás südlich des Río Bueno in der Nähe von La Unión erworben. Dorthin wollte er deutsche Siedler bringen.
Rudolf Amandus Philippi, Bernhards Bruder, unterstützte diesen Plan. Er war im Jahr 1835 Lehrer für Zoologie und Botanik an der höheren Gewerbeschule in Kassel geworden, die er 1850 als Direktor aus politischen Gründen verließ, um 1851 nach Chile überzusiedeln.
Rudolf Amandus Philippi sorgte 1846 für die Rekrutierung von neun Familien. Diese stammten aus Rotenburg a. d. Fulda und der Umgebung der Stadt, circa 50 Kilometer südlich von Kassel in Nordhessen, und wurden von dem mit Philippi befreundeten Landbaumeister Althaus angeworben.
Auf der Brigg «Catalina», die Ferdinand Flindt gehörte, legten am 19. April 1846 im Hamburger Hafen die Familien ab. Am 25. August 1846 erreichten die neun Männer, acht Frauen und 23 Kinder den Hafen Corral. Es waren die Familien der Schmiede Georg Aubel und Nikolaus Ruch, des Zimmermanns Johannes Bachmann, des Mühlenbauers Johannes Ide, des Schreiners Johann Lorenz Hollstein, des Branntweinbrenners Adam Konrad Bachmann, des Schuhmachers Bernhard Henkel, des Gärtners Joseph Jäger und des Schäfers Heinrich Krämer. Bis heute sind ihre Nachkommen bekannte und engagierte Mitglieder der deutsch-chilenischen Gemeinschaft.
Als sie jedoch in Chile ankamen, hatte Flindt inzwischen Bankrott angemeldet. Doch Franz Kindermann, ein anderer deutscher Kaufmann, hatte den Fundo erworben und nannte ihn Hacienda Bellavista. Kindermann unterstützte die Kolonialisierung weiterhin und stellte statt Flindt die deutschen Einwanderer an. Später soll der Kaufmann zusammen mit seinem Schwiegervater Johann Renous, Landerwerbungen von zweifelhafter Legalität getätigt haben. Diese Erwerbungen wurden später vom chilenischen Staat für nichtig erklärt, und die ersten Einwanderer wurden schließlich auf der Isla Teja in Valdivia angesiedelt.
Die ankommenden Siedler passten sich sehr schnell an die neue Umgebung an: Denn das Klima und die Landschaft und Natur war denen ihrer Heimat in Mitteleuropa sehr ähnlich.
Richtig in Gang kam die deutsche Einwanderung, nachdem die Deutsche Revolution von 1848/49 gescheitert war. Da sah Philippi dann die Chance gekommen, mehr deutsche Auswanderer als Kolonisten für den Süden Chiles zu gewinnen. Er wurde im August 1848 zum Kolonisationsbeauftragten ernannt und nach Deutschland entsandt. Im Laufe von knapp 30 Jahren, bis 1875, erreichten über 70 Schiffe mit mehr als 6.000 deutschen Einwanderern Chile – darunter die Segelschiffe «Alfred», «Australia», «Susana» und «Victoria». Wie es Bernhard Philippis Vision war, ließen sie sich in der Gegend um den Llanquihue-See bis zur Bucht von Reloncaví nieder. Diese deutschen Einwanderer verwandelten in harter Arbeit die Wildnis in fruchtbares Land, das bis heute die wirtschaftliche Grundlage für die Provinzen Osorno und Llanquihue bildet..
Quellen:
- Alberto Hoerll: La colonización alemana en Chile in «Los alemanes en Chile», 1910.
- Wikipedia, Die deutsche Einwanderung
- Rodrigo Feunzalida Bade, A 125 años de la colonización alemana en Llanquihue.