Immer die Kunst im Mittelpunkt
Marlen Thiermann ist seit Mai 2021 die Geschäftsführerin des Deutsch- Chilenischen Bunds (DCB). Bis heute ist sie mit Leib und Seele Kunstlehrerin und arbeitet in der Escuela de Pedagogías en Alemán der Universität Talca, um Deutschlehrer in Chile auszubilden. Auch bei der Unesco und der Documenta in Kassel setzte sie sich mit viel Engagement für die Vermittlung von Kunst ein.
Marlen Thiermann gehört bereits zur sechsten Generation einer deutschen Familie in Chile. Dennoch ist die deutsche Sprache so lange ihre Mutter- und Hauptsprache gewesen, bis sie mit dem Studium in Santiago begann: «Meine Eltern und Großeltern haben zuhause immer Deutsch gesprochen. Auch vom Kindergarten an und später beim Unterricht in der Deutschen Schule Concepción sprach und hörte ich nur Deutsch.»
Vor 67 Jahren ist die Deutsch-Chilenin in Valdivia geboren. Als sie fünf Jahre alt war starb ihr Vater, ihre Mutter zog mit ihr und den beiden Geschwistern nach Concepción, um an der Deutschen Schule als Lehrerin zu arbeiten. Eine wichtige Bezugsperson sei vor allem ihre Großmutter Margot Weller de Schneider gewesen. «Sie war streng, aber erlaubte manches, was meine Mutter nicht erlaubte, wie das Spielen mit Puppen mit echtem Essen», erinnert sie sich. Margot Weller erhielt im Jahr 1980 die Carlos-Anwandter-Medaille vom DCB für die Gründung des Altenheims in Concepción.
Ihre Familie sei im Gegensatz zu ihr sehr sportlich gewesen: «Meine Mutter Annegret Weller stellte 1945 beim 100-Meter-Lauf im Estadio Nacional einen Rekord auf, der 23 Jahre in Südamerika hielt, und nahm 1948 an den Olympischen Spielen teil. Auch mein Bruder war ein erfolgreicher Läufer und meine jüngere Schwester in der Nationalmannschaft für Fünfkampf.»
Die deutsche Gemeinschaft hat sie sehr geprägt und darum liegt diese ihr auch besonders am Herzen. Das hat sicherlich die ruhige, aber auch entschlossen wirkende Frau dazu motiviert, das Amt der Geschäftsführerin des DCB anzunehmen – trotz der großen Herausforderungen in Pandemiezeiten. Quasi als Leitmotiv für ihre Amtszeit hat sie sich vorgenommen: «Mit unseren hoffentlich bald wieder beginnenden Konzerten und Ausstellungen möchte ich künftig immer wieder an verdiente Mitglieder des Deutsch-Chilenischen Bunds erinnern, die jetzt noch aktiv sind oder auch solche, die bereits gestorben sind.»
Marlen Thiermanns große Liebe galt schon immer der Kunst und der Musik. Sie spielte als Kind und Jugendliche Gitarre, Block- und Altflöte und Akkordeon. Bis heute nimmt sie am Singkreis teil. Dennoch wählte die junge Frau das Studium der Kunstpädagogik: «Das war eine gute Entscheidung: Ich habe immer sehr gerne mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet.» Schon während des Studiums verdiente sie sich ihre ersten Sporen als Lehrerin in der Grundschule der Ursulinenschule in Maipú. Die Pädagogik liegt wohl auch in der Familie: Nicht nur ihre Mutter war Lehrerin, auch ihr Urgroßvater arbeitete unter dem Präsidenten Balmaceda 1891 an einer Erziehungsreform mit und war später Geschichts- und Geografie-Lehrer in Valparaíso.
Als Studentin wurde sie außerdem Mitglied bei der Erika-Michaelsen-Mädchenschaft, der sie bis heute treu geblieben ist: « Mit den damaligen Kommilitoninnen treffe ich mich alle vier bis sechs Wochen per Zoom. Fünf sind in Chile geblieben und fünf nach Deutschland gegangen.»
Ab dem Jahr 1979 war sie bei der Deutschen Schule Santiago als Lehrerin angestellt, wo sie bis 2009 arbeitete. Auch ihre vier inzwischen erwachsenen und unabhängigen Kinder besuchten die Deutsche Schule Santiago. Ihr zweitjüngster Sohn arbeitet als Informatiker in Deutschland.
Im Jahr 2011 begann sie sich auch in anderer Hinsicht für die Kunstpädagogik einzusetzen: Marlen Thiermann wurde eine von drei Vertreterinnen für Lateinamerika bei der Organisation World Alliance for Art and Education, die von der Unesco gegründet wurde. Sechs Jahre lang nahm sie an internationalen Kongressen teil und brachte ihre Erfahrungen und Kenntnisse als Kunstlehrerin ein. Im gleichen Jahr 2011 nahm die Pädagogin eine weitere Aufgabe an: Sie erarbeitete für das chilenische Erziehungsministerium Lehrpläne für den Kunstunterricht an Liceos artísticos. Nach Beendigung dieser Tätigkeit im Jahr 2016 bewarb sie sich bei der Documenta 14 in Kassel, der größten Ausstellung von zeitgenössischer Kunst auf der Welt: «Ich hatte bereits die Documenta 12 und 13 besichtigt und damals war bei mir der Wunsch entstanden, dass ich unheimlich gerne selbst Besucher durch die Kunstobjekte führen würde.» Von rund 1.300 Bewerbern war sie eine von 130 die als Kunstführerin ausgewählt wurde.
Wie sollte es anders sein: Auch in ihrer Freizeit entspannt sie sich am besten mit einem künstlerischen Hobby. Marlen Thiermann erstellt mit viel Begeisterung Keramik: «Das ist für mich wie die Erschaffung der Welt: Ton, dieses aus Erde bestehende Material, in den Händen zu halten, es zu bearbeiten und zu formen und dann mit Hilfe der großen Hitze des Ofens eigene Werke zu erschaffen.» Ihr Mann habe oft zu ihr gemeint: «Mache das möglichst oft – wenn du wieder nach Hause kommst, bist du so entspannt und zufrieden.»