Kohlenstoffbindung und Holzproduktion – Doppelbewertung von Prozess und Produkt
Die Rechnung ist ziemlich einfach: In einem Kubikmeter Holz, so wie er im Walde wächst, sind 250 Kilo Kohlenstoff gebunden. Denn dieser enthält 50 Prozent Wasser und von der verbleibenden trocknen Biomasse ist die Hälfte reiner Kohlenstoff.
U m diesen Kubikmeter Waldholz zu bilden, bedarf es der Assimilation von rund einer Tonne CO2 (Umrechnungsfaktor rund 3,7). Das ist die Grundlage für die Berechnung der CO2 – Bindungsleistung unserer Waldbestände, die über periodisch wiederkehrende Inventuren der Holzvorräte und -zuwächse jedes einzelnen der Unterzeichnerstaaten des Kyotoprotokolls ermittelt wird.
Wir wollen hier auf die weltweiten Zahlen über Holzvorräte verzichten, die noch einmal um zwei Potenzen höher liegen als die Waldflächenwerte, wie sie im ersten Teil dieser Serie aufgeführt wurden. Bleiben wir also bei Chile und Deutschland.
Kohlenstoff in Bio- und Wurzelmasse
Wenn wir die im Wald angesammelten Kohlenstoffmengen zusammenstellen wollen, dürfen wir nicht nur an die oberirdische lebende Biomasse denken, also die lebenden Baumstämme und -kronen. Auch ihre unterirdische Wurzelmasse gehört dazu. Mit ihrer Nadel- oder Laubstreu sammeln sie eine sich immer wieder erneuernde Decke organischen Materials an, die dem Boden aufliegt, und diese wird nach und nach zu Humus zersetzt und speichert sich als solcher in den oberen Bodenschichten. Wenn der Wald gar nicht oder nur extensiv bewirtschaftet wird, bleibt zusätzlich viel Totholzmaterial (abgestorbene Bäume, herabfallende Äste und so weiter) auf der Fläche stehen und liegen, das ebenfalls Kohlenstoff enthält . So müssen fünf verschiedene Kompartimente (ein abgegrenzter Raum in einer Zelle, in dem Prozesse unabhängig von anderen ablaufen können) auf ihren C-Gehalt hin untersucht werden – ein mühevolles Geschäft.
Chiles Naturwald großer Kohlenstoffspeicher
In Chile gibt es mittlerweile vielfältige und anspruchsvolle Literatur zu diesem Thema. In erster Linie sind es die Ergebnisse der Naturwaldinventur des Infor, die die Grundlage für eine Broschüre über den Kohlenstoffgehalt der meisten Kompartimente darstellt.
Für die Plantagenwälder existiert eine erschöpfende Studie der «Bioforest», dem privaten Forschungsinstitut des Fostkonsortiums «Forestal Arauco». Erwartungsgemäß schwanken die Zahlen erheblich zwischen den verschiedenen Waldtypen, die das Territorium von Nord nach Süd bedecken.
Nimmt man die gewogenen Mittelwerte der jeweiligen Waldflächen, so ergeben sich die Durchschnittswerte pro Hektar (siehe die Tabelle oben rechts).
Die Zahlen für den Boden unter dem Naturwald werden vermutlich unterschätzt; sie stammen nicht aus spezifischen Untersuchungen unter dem Wald, sondern aus allgemein geografischen Angaben, getrennt nach den chilenischen Regionen. Hier gibt es noch forstlichen Forschungsbedarf.
In den Forstplantagen kamen die Wissenschaftler im Durchschnitt der Baumarten auf fast den gleichen Summenwert (322 Tonnen pro Hektar); er setzt sich dort allerdings anders zusammen. Die lebende oberirdische Biomasse ist hier deutlich höher, dafür gibt es praktisch kein Totholz. Die Streu, die sich je nach Plantagenbaumart nur jeweils elf (Eukalyptus) oder 22 Jahre ansammeln kann, weil danach Kahlschlag und Wiederaufforstung erfolgen, ist viel geringer ausgebildet, und in den Böden wurden etwas höhere Kohlenstoffgehalte festgestellt; aber hier ist der Vergleich mit dem Naturwald, wie oben ausgeführt, noch zu unsicher.
Wegen seiner viel größeren Fläche ist der Naturwald (14,6 Millionen Hektar) also der größere Kohlenstoffspeicher in Chile und der Forstplantagensektor (3,1 Millionen Hektar) der kleinere. Ersterer ist nach den Berechnungen des Infor in der Lage jährlich 64 Prozent (!) der Gesamtemissionen des Landes zu kompensieren. Einzelne Regionen sind sogar Netto-Senken, das heißt, die Waldvegetation baut mehr Kohlenstoff ein, als alle Emitenten der Region in die Luft blasen. Ein Paradebeispiel dafür ist die Region Aysén.
Wie mittel- und langfristig die Tendenzen in Chile sind, wird man erst wissen, wenn Folgeinventuren in zehnjährigen Zeitabständen entsprechende Vergleiche ermöglichen.
Deutschlands Wälder wichtige Kohlenstoffsenke
In Deutschland stammt die letzte Kohlenstoffinventur aus dem Jahre 2017 und liefert Zahlen, die mit der vorausgegangenen Bundeswaldinventur (2012) verglichen werden können. Synchron damit ist deutschlandweit eine Bodenzustandserhebung gelaufen, in der die Kohlenstoffvorräte und ihre Veränderungen im Boden ermittelt wurden.
Danach sind im Bezugsjahr 2017 in der lebenden Biomasse der Wälder 1.230 Millionen Tonnen Kohlenstoff gebunden, 14 Prozent davon im Wurzelwerk. Über alle Altersklassen und Baumarten sind das rund 114 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar.
Überraschend mag für den Leser sein, dass die Kohlenstoffvorräte in Streu und im Waldboden etwas höher liegen als in der lebenden Biomasse, nämlich bei 117 Tonnen pro Hektar, wie aus den Zahlen der deutschlandweiten Bodenzustandserhebung 2017 hervorgeht. Totholz gibt es wegen der intensiven Bewirtschaftung noch sehr wenig – zum Leidwesen der Naturschützer.
Wichtig ist nun die Frage der Vorratsveränderungen über den letzten Fünfjahreszeitraum, weil sich daraus ergibt, ob Deutschlands Wälder gegenüber dem Kyotoprotokoll als Netto-Senke oder Netto-Quelle bezeichnet werden können und wie hoch die jährlichen Zuwächse oder Vorratsminderungen liegen. Das hat Auswirkungen darauf, ob das Land Gutschriften geltend machen kann oder Abzüge hinnehmen muss. Erfreulicherweise ist ersteres der Fall. Die zusätzliche Speicherleistung in der lebenden Biomasse betrug 1,1 Tonnen pro Hektar im Jahr; in Streu und Boden war es 0,75 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar und Jahr.
Auf die Fläche hochgerechnet und mit den Faktor 3,67 in CO2-Werte überführt, entzieht der Wald, obwohl er in Deutschland fast zu 100 Prozent bewirtschaftet ist, der Atmosphäre jährlich netto 62 Millionen Tonnen CO2. Die Emissionen dieses hochindustrialisierten Landes lagen demgegenüber im Jahre 2017 allerdings bei 907 Millionen Tonnen CO2, sodass die Forstpartie ganze sieben Prozent zur Kompensation dieses Typs der Luftverschmutzung beiträgt.
Handel mit CO2-Zertifikaten
Was den Unterzeichnerstaaten in ihren jeweils nationalen CO2-Bilanzen als Emissionsminderung gutgeschrieben oder wegen Zielüberschreitung angelastet wird, kann wegen zu großer Bürokratiehindernisse allerdings nicht auf den einzelnen Waldbesitzer heruntergebrochen werden. Dennoch gibt es im Bereich der großen Verschmutzer-Branchen einen realen Geldwert pro Tonne vermiedener CO2-Emission. Diesen Hauptemitenten werden von den Gesetzgebern, entsprechend den jeweiligen nationalen Vorgaben jährliche Emissionsgenehmigungen zuerkannt. Wenn sie diese überschreiten, müssen sie entweder den festgesetzten Strafpreis von 127 Euro pro Tonne bezahlen, oder sie können von erfolgreichen «Emissionsminderern» entsprechende Zertifikate ankaufen, mit denen sie sich entlasten können.
Manchen Branchen fällt die Investition zugunsten von CO2-Minderungen leichter als anderen, und so hat sich ein Markt von Anbietern und Nachfragern gebildet, in dem gegenwärtig der Zertifikatwert für eine Tonne vermiedenen Treibhausgases um die 45 Euro schwankt. Wenn wegen Konjunkturflaute wenig produziert wird, wird auch wenig verschmutzt, und der Zertifikatpreis sinkt beziehungsweise umgekehrt. Um die großen Zukunftsziele einer CO2-Neutralität zu erreichen, knebelt die Politik die Verschmutzungsgenehmigungen mehr und mehr, sodass sich die großen Emitentengruppen bereits einem Genehmigungsdefizit von rund 250 Millionen Tonnen gegenübersehen; die Nachfrage nach Entlastungszertifikaten ist also «garantiert».
Spaziergänge im Wald sind erholsam und wirken sich positiv auf Immunsystem und Psyche aus, wie viele wissenschaftliche Untersuchungen bewiesen. Der Valdivianische Regenwald ist gemischt und ungleichaltrig, oft beherbergt er 20 verschiedene Baumarten.