Sichel kandidiert für Chile Vamos und Boric für Apruebo Dignidad
Bis kurz vor dem Wahlsonntag, 18. Juli, sahen die Umfragen andere Kandidaten vorne: Umso größer die Überraschung, als sich Sebastián Sichel mit fast 50 Prozent deutlich gegen seinen Hauptherausforderer Joaquín Lavín (31 Prozent) durchsetzte. Bei den Linken erhielt Gabriel Boric mit 60 Prozent über 20 Prozentpunkte mehr als Daniel Jadue.
Auch die hohe Wahlbeteiligung von mehr als drei Mil-lionen Wählern war unerwartet, zumal die Wahlen in den Winterferien, an einem langen Wochenende und während der Pandemie stattfanden – eine Rekordbeteiligung seit Einführung des Vorwahlsystems im Jahr 2013. Alle Chilenen, ob mit oder ohne Parteizugehörigkeit, auch im Ausland konnten wählen gehen. Die Wahllokale waren in Chile von 8 bis 18 Uhr geöffnet.
Im Laufe der Auszählungen am Sonntag wurde bald klar, dass die Stimmenverteilung nicht den Vorhersagen entsprach: Der ehemalige Bürgermeister von Las Condes und Santiago hatte mehr als ein Jahr bei den Umfragen vorne gelegen und erhielt schließlich über 230.000 Stimmen weniger als Sebastián Sichel. Es war Lavíns dritter Anlauf, das Amt im La Moneda-Palast zu erlangen. Der ehemalige Minister im Kabinett von Sebastián Pinera während dessen erster Amtszeit als Präsident erreichte in keiner Comuna und Region eine Mehrheit gegen Sichel, selbst nicht in seiner Wahlhochburg Las Condes.
Weit abgeschlagen waren die anderen beiden Kandidaten von Chile Vamos: Die beiden ehemaligen Minister Mario Desbordes (RN) und Ignacio Briones (Evópoli) erhielten jeweils nur knapp zehn Prozent der Wählerstimmen. Das Ergebnis zeigt, dass die traditionellen Parteien massiv an Vertrauen der Wähler verloren haben. Dagegen schaffte es der Unabhängige Sichel, der für Chile Vamos kandidierte, innerhalb eines halben Jahres die Wäh-
lergunst zu gewinnen.
Ähnlich unerwartet war das eindeutige Wahlergebnis bei den Kandidaten der Linken: Dem Bürgermeister der Gemeinde Recoleta und Mitglied der Kommunistischen Partei (PC) Daniel Jadue waren gute Chancen gegen Gabriel Boric zugerechnet worden. Letzterer ist Jurist und Mitglied der Convergencia Social (CS), die zum Bündnis Frente Amplio gehört. Immerhin hatte Jadue mit der Kommunistischen Partei eine gut organisierte Institution im Rücken. Dagegen entwickelte sich Boric Kandidatur aus den Kräften der Studentenproteste, die 2011 entstanden.
Beide Wahlsieger gelten als Politiker, die für einen Generationenwechsel stehen. Boric ist mit 35 Jahren der jüngste Präsidentschaftskandidat in der Geschichte Chiles.
Die traditionellen Parteien der Mitte-Links-Koalition konnten sich nicht auf einen Kandidaten einigen. Es wird erwartet, dass sie sich an der Präsidentschaftswahl am 21. November mit mehreren Kandidaten beteiligen werden.
Zur Person:
Sebastián Sichel
Der aus Santiago gebürtige Sebastián Sichel Ramírez studierte Rechtswissenschaften an der Pontificia Universidad Católica (PUC), wo er später einen Master in öffentlichem Recht machte.
Er war einer der Gründer der digitalen Zeitung «El Dínamo» im Jahr 2010 und deren Geschäftsführer bis 2013.
Von 2016 bis 2018 war er Professor für Verfassungsrecht und Director der School of Government an der Universidad San Sebastián. Er lehrte auch am Centre for Management Development an der PUC und war Professor für politisches Recht, Verfassungsrecht sowie Führung und Kommunikation.
Im Jahr 2003 wurde er Mitglied der Christdemokratischen Partei. Sechs Jahre später kandidierte er erfolglos für ein Abgeordnetenamt für die Comuna La Reina – Peñalolén, wobei er vom kürzlich zum Gouverneur der Region Metropolitana gewählten Claudio Orrego unterstützt wurde. 2014 trat er aus der Partei aus.
Bei den Parlamentswahlen 2013 kandidierte er als Abgeordneter für die Partei Ciudadanos für den Bezirk Las Condes, Vitacura und Lo Barnechea und verlor die Wahl.
Am 19. November 2017 entschied er sich, Sebastián Piñera öffentlich zu unterstützen. Während der zweiten Regierung von Sebastián Piñera wurde er ab dem 2. Mai 2018 Vizepräsident der Corfo und damit das erste Mitglied der Partei Ciudadanos, das ein öffentliches Amt bekleidete. Er übernahm die Verantwortung für die Verträge zum Lithiumabbau, die sein Vorgänger Eduardo Bitran mit der Firma SQM unterzeichnet hatte.
Nach einer Krise der Partei Ciudadanos trat Sichel aus der Partei aus und gehörte im März 2019 zu den Gründern der politischen Bewegung „Libres“. Am 13. Juni 2019 übernahm er nach der Kabinettsumbildung Piñeras das Amt des Ministers für soziale Entwicklung und Familie. Im Juni 2020 wurde er zum Präsidenten der Banco del Estado ernannt.
Der 43-Jährige ist seit 2008 mit der Journalistin Bárbara Encina verheiratet, mit der er drei Kinder hat.
Zur Person:
Gabriel Boric
Gabriel Boric Font wurde 1986 in Punta Arenas geboren. Während seines Studiums der Rechtswissenschaften an der Universidad de Chile schloss er sich der politischen Bewegung Izquierda Autónoma an. Er wurde 2008 Studentenvertreter seiner Fakultät, 2009 Präsident des Zentrums der Jurastudenten (CED) und Universitätssenator für die Studentenschaft (2010-2011).
Er kandidierte für den Vorstand der Föderation der Studenten der Universität von Chile (FECh) für die Liste «Creando Izquierda» bei den Wahlen 2011, bei denen er mit 30,52 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde.
Bei den Studentenprotesten 2011 war er einer der Hauptsprecher der Konföderation der Studenten von Chile (Confech). Ein Jahr später wurde er in die Liste der 100 jungen Führungspersönlichkeiten Chiles aufgenommen, die in der Zeitschrift Sábado der Zeitung El Mercurio veröffentlicht wurde. Er war 2013 einer der Gründer der Bewegung Marca AC, die eine neue Verfassung für Chile forderte.
Im Jahr 2013 kandidierte er bei den Parlamentswahlen als unabhängiger Abgeordneter für den 60. Bezirk (Magallanes und chilenische Antarktis) und wurde mit 26,18 Prozent der Stimmen gewählt.
Im Mai 2016 trat er aus der Autonomen Linken aus und kündigte die Bildung einer neuen politischen Bewegung im Zusammenschluss mit anderen linken Kräften an. Er förderte auch, zusammen mit dem Abgeordneten Giorgio Jackson (RD), die politischen Allianzen, die zur Gründung der Frente Amplio führten.
Als Abgeordneter war er ab 2018 Mitglied der ständigen Ausschüsse für Verfassung, Gesetzgebung, Justiz und Regulierung sowie für Extremzonen und die chilenische Antarktis.