Das könnte uns eine Lehre sein: Historische Gesellschaften wie die Rapa Nui, Maya und Wikinger auf Grönland brachen zusammen, weil sie sich ökologisch selbst zerstörten.
Was dachte sich wohl der Bewohner, als er die letzte große Palme auf der Osterinsel fällte? Diese Frage stellten Studienanfänger dem US-Evolutionsbiologen Jared Diamond fassungslos, nachdem dieser an der University of California in Los Angeles Teile seiner Forschungen den Seminarteilnehmern vorgestellt hatte. Aber auch professionelle Historiker und Archäologen stehen vor einem Rätsel. Wie konnte eine ganze Gesellschaft es zulassen, den Ast abzusägen, auf dem sie saß, um mit dieser katastrophalen Entscheidung den eigenen Untergang zu besiegeln?
Der Zusammenbruch des polynesischen Paradieses in den Weiten des Pazifiks stellt nicht einmal eine Ausnahme dar. Im Jahr 2005 erschien Jared Diamonds Dystopie-Epos «Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen», in dem der Wissenschaftler auf mehr als 700 Seiten frühere Kulturen unter die Lupe nimmt und auf deren Nachhaltigkeit abklopft. Die Diagnose fällt fast immer verheerend aus. Ob die Wikingersiedlungen auf Grönland, die Maya in Zentralamerika oder die Anasazi-Kultur im Südwesten der USA – mit Raubbau an der Umwelt versetzten sich die Menschen ihren eigenen Todesstoß.
Der Untergang kam dabei stets auf Raten. Bodenerosion, politische Fehleinschätzungen und rapides Bevölkerungswachstum entzogen den Siedlern schleichend die Lebensgrundlagen. Die kulturelle Blütezeit täuschte zunächst über die langfristigen Schäden hinweg, oft mehrere Jahrhunderte lang. Doch dann muss alles sehr schnell abgelaufen sein. Verschwundene Maya-Städte im Urwald, verlassene Höfe auf Normannisch-Grönland sowie umgekippte Moais sowie noch nicht fertiggestellte Statuen im Steinbruch der Osterinsel zeugen davon, dass in der Endphase Hungersnöte und Kriege die letzten Bewohner dahinrafften. Hochmut kommt vor dem Fall.
Aber nicht alle Gesellschaften teilten dieses Los. Die Bewohner Neuguineas hätten im Hochland eine nachhaltige Landwirtschaft etabliert, ebenso die Menschen auf Tikopia, einer winzigen, abgelegenen tropischen Insel im Südwestpazifik. Japan wiederum habe seinen Wald erfolgreich mit einer weitsichtigen Politik bewirtschaftet. Warum scheitern also die einen und die anderen nicht?
Vier Faktoren können laut Jared Diamond das Wohlergehen einer Gesellschaft beeinflussen: Umweltschäden, Klimaveränderungen, feindliche Nachbarn und freundliche Handelspartner. Sie können, müssen aber nicht. Dagegen ist der fünfte Faktor immer von Bedeutung: Wie eine Kultur auf Veränderungen reagiert. Im Gegensatz zu den Wikingern gelang es den Inuit auf Grönland besser, sich an die rauen Lebensbedingungen anzupassen. Die Dominikanische Republik und Haiti teilen sich zwar eine Insel. Aber der Westteil zählt zu den ärmsten Staaten der Welt, während sich die Dominikanische Republik zu einem Land mittleren Einkommens entwickelt hat. Der Autor führt diesen Unterschied unter anderem auf eine klügere Umweltpolitik zurück.
Die Axt an den letzten Baum anzusetzen war also besonders dumm. Im Rückblick ist man halt immer schlauer – vielleicht aber auch nicht. Denn die Fallstricke damals wie heute seien die gleichen. Eine Gesellschaft sieht ein Problem nicht voraus, bevor es eingetreten ist. Ist es dann präsent, wird es nicht wahrgenommen oder verdrängt, so nach dem Motto «Es wird schon gut gehen».
Drittens: Die Führung traut sich nicht oder verweigert sich wider besseres Wissen, eine Lösung zu finden. Das ist auch möglich, weil die Massen zäh an alten Wertvorstellungen und Routinen festhalten. Die eigene Lebensweise zu ändern, erscheint als unbequem, gesellschaftlicher Wandel führt oft zu Interessenkonflikten. Und dann ist da noch das sogenannte Gefangenendilemma. Alle heutigen Staaten wissen, dass die Meere überfischt sind. Doch kaum eine Nation möchte auf den Fang verzichten, den sich sonst andere wegschnappen. Die Entscheidung zum Ressourcenabbau ist egoistisch betrachtet rational, für das globale Ökosystem dagegen katastrophal.
Während wenige zehntausend Bewohner mit Meißeln aus Stein und ihrer eigenen Muskelkraft es schafften, die Umwelt auf der Osterinsel zu zerstören, leben heute mit 7,8 Milliarden Menschen wesentlich mehr Bewohner auf der Erde. Und sie sind mit weitaus mächtigeren Technologien wie der Kernkraft und Bulldozern ausgerüstet. Die Gefahr einer ökologischen Selbstzerstörung hat sich also noch verschärft. Entwaldung, Wasserknappheit, Bodenerosion und -versalzung sowie Überbevölkerung begünstigen – neben ökonomischen und politischen Faktoren – in Entwicklungsländern Kriege und führen zu Flüchtlingsströmen. Durch die Globalisierung können sich die Industrieländer immer weniger dieser Bedrohung entziehen. Als die Welt der Maya und Rapa Nui zusammenbrach, brauchte das kaum jemanden zu kümmern. Heute sei dagegen die gesamte Welt eine isolierte, begrenzte Einheit.
Ähnlich wie die US-Historikerin Barbara Tuchman in ihrem Buch «Die Torheit der Regierenden» lässt Jared Diamond den Leser mit einem kleinen Schimmer Hoffnung zurück. Die Menschheit sei in der Lage, die heutigen Probleme zu lösen – wenn sie es denn wolle. Jeder Verbraucher könne sich entscheiden, was er kauft und damit nachhaltiges Wirtschaften unterstützen. Und schließlich erwachse aus den modernen Verflechtungen ein gewisser Optimismus: «Dokumentarfilme und Bücher zeigen uns in anschaulichen Einzelheiten, warum die Gesellschaften auf der Osterinsel, bei den Maya und an anderen Stellen in historischer Zeit zusammengebrochen sind. Wir haben also die Möglichkeit, aus den Fehlern der Menschen an weit entfernten Orten und in weit entfernter Vergangenheit zu lernen. Diese Möglichkeit hatte keine frühere Gesellschaft auch nur annähernd in dem gleichen Ausmaß.»