«Was von allem Gelesenen Früchte getragen hat»
Pastor Siegried Sander erzählt, wie er in seinem Haus am Llanquihue-See im chilenischen Süden die Herbstzeit verbringt. Neben dem Garten beschäftigen ihn seine Hundezucht und die «Herbstlektüre».
Der Herbst und die Hunde
Denen ist die Jahreszeit egal. Die wollen raus bei jedem Wind und Wetter. Pünktlich um halb neun morgens und um halb sechs abends werden sie unruhig und bringen mich auf Trapp. Sie haben sich ein schönes Winterfell angelegt. Nur wenn sie jetzt ins Haus kommen, bringen sie mehr Dreck mit und beim Begrüßen werden die Kleider schmutzig.
Herbstlektüre
Im Herbst meines Lebens frage ich mich, was von allem Gelesenen Früchte getragen hat. Viele Bücher werde ich nicht mehr lesen wollen. Viele waren interessant in einem und für einen Abschnitt im Leben. Aber es wird darin auch viel Stroh gedroschen. Ich will aber nur wenige dem Feuer übergeben, deshalb sondere ich sie nun aus und verstaue sie in Kartonkisten. Vielleicht interessiert sich einmal jemand dafür.
Einige dagegen würde ich wieder lesen und weiterempfehlen. Sie sind wie kostbare Perlen. Vor allem Bücher, die alte Menschen am Ende ihres Lebens geschrieben haben. Dazu fallen mir ein: Jörg Zink: «Ufergedanken» und Heinz Zahrnt «Glauben unter leerem Himmel».
Gerade habe ich noch einmal von Reinhold Schneider «Pfeiler im Strom» gelesen ein schöner Titel. Denn das brauchen wir: Pfeiler im Strom unseres Daseins, in der persönlichen Biografie und im Getriebe der Menschheit. Das Buch ist unterteilt in sechs Kapitel, die alle zu eigenen Erinnerungen einladen: 1. Geschichte, 2. Dichtung, 3. Glaube, 4. Gestalten, 5. Landschaften und Städte sowie 6. Erinnerungen. Dazu sollte jeder sein eigenes Buch schreiben!
Dazu höre ich Musik mit Kommentaren aus der interessanten CD-Sammlung einer Sendereihe der Deutschen Welle: Opus Ultimatum. Gerade hat mich das letzte Violinkonzert von Alban Berg beeindruckt, darin er den Choral «Es ist genug» aus der Bachkantate BWV 60 «O Ewigkeit, du Donnerwort» eingewoben hat. Das will ich auch einmal sagen können: «Es ist genug».
Ich schließe ab und grüße herbstlich mit dem Gedicht von Rainer Maria Rilke:
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
Aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.