«Talente im Kontakt mit der Natur frei entfalten»
Eine Schule mit einer besonderen Lage: ein großer Vorteil gerade in Pandemiezeiten. Sabine Petermann, Schulleiterin der DS San Felipe seit 2014
Eine Schule ohne Zäune
Im Juni 2021 wird die Deutsche Schule San Felipe 35 Jahre alt und ihre Gründungsgeschichte steht symbolisch für die Essenz der Schulkultur und des Schulkonzepts.
«Wenn neue Familien aus San- tiago oder anderen Regionen ins Aconcagua-Tal umziehen und ihre Kinder an der Deutschen Schule San Felipe anmelden, sind sie beim ersten Besuch gleich sehr beeindruckt», erlebt Schulleiterin Sabine Petermann immer wieder. Denn die Schule liegt am Fuß des imposanten Bergs «El Peñón» in einem neun Hektar großen Gelände. Vom zentralen Schulhof aus sieht man die bei Schülern beliebte Hügelkette «El Mono», die das Gelände umrahmt. «Und wo ist der Zaun, der das Schulgelände begrenzt?», lautete fast immer die Frage der besorgten Eltern aus der Großstadt.
Die Gründungsmitglieder des Schulvorstandes haben diese Frage so beantwortet: «Es gibt keine Zäune, keine Begrenzungen. Das ist Teil des Schulprojektes: die Gedanken unserer Schüler sollen frei sein, ihre Gedanken sollen fliegen, wie die «aguiluchos», die jeden Frühling am Felsen ihr Nest bauen und dann nach einigen Monaten von ihren Eltern das Fliegen erlernen.» Sabine Petermann, die seit dem Jahr 2014 die Schule leitet, ist der Meinung: «Unsere Schüler sollen ihre Talente und Fähigkeiten im täglichen Kontakt mit der Natur frei entfalten können, und sie sollen Selbstdisziplin und Eigenständigkeit lernen. Die Kinder wissen, wo die Grenzen sind, die sie nicht überschreiten sollen, wir brauchen dafür keine Zäune.»
Gründerjahre
Es gibt im Aconcagua-Tal keine deutschstämmige Gemeinde und so stellt sich die Frage, was die Gründungsmitglieder dazu bewegt hat, eine Deutsche Schule zu gründen. Drei der Gründungsmitglieder sind noch heute aktiv im Schulvorstand: Dr. René Martínez Barros, Carmen Castillo Taucher und María Rubina Rodríguez. Sie alle suchten für ihre Kinder in den 1980er Jahren eine nicht-konfessionelle, gemischtgeschlechtliche Schule mit hervorragendem Bildungsniveau und so eine Schule gab es damals in der Region nicht.
Nach vielen Gesprächen und Verhandlungen mit der Deutschen Botschaft wurde am 16. Juni 1986 im historischen Club San Felipe die Gründungsurkunde der «Corporación Colegio Alemán de San Felipe de Aconcagua» unterzeichnet – in Anwesenheit vieler Gründungsmitglieder, die von der Idee und dem Erfolg einer neuen Schule im Aconcagua-Tal überzeugt waren. Technische Unterstützung erhielten die Gründungsmitglieder auch vom damaligen Vorsitzenden des Schulvorstandes der Deutschen Schule Valparaíso Pedro Roth Urban, dem Schulleiter Knut Nahamowitz und seinem Stellvertreter, Evaristo Carrizo. Ihnen allen sei es zu verdanken, dass die Deutsche Schule San Felipe als eigenständige Schule gegründet wurde und nicht als Unterabteilung der DS Valparaíso, berichtet Sabine Petermann.
Das Amt der ersten Schulleiterin übernahm in dieser nicht einfachen Gründungsphase Johanna Eichhorn, die viele Jahre an der Deutschen Schule Valparaíso tätig war. Sie brachte auch die erste Lehrer-Generation mit nach San Felipe und da sie alle ehemalige Schülerinnen einer Deutschen Schule gewesen sind, von ihrem Geist geprägt worden waren.
Zu Beginn des Schuljahres 1987 nahm die Schule ihre Arbeit auf: mit einer Zahl von 49 Schülern – aber noch ohne Schulgebäude. In den ersten zwei Jahren wurde der Unterricht im Kindergarten von Gründungsmitglied Maria Rubina abgehalten, bis die Schule in ihr neues Zuhause am Fuß des Berges «El Peñón» umziehen konnte. Das riesige Schulgelände von sechs Hektar wurde von Sergio Simonetti Federici zur Verfügung gestellt – unter der Bedingung, dass dieses Gelände immer zu Bildungszwecken zu verwenden sei. Später wurde es dann noch einmal um drei Hektar erweitert.
In monatelanger Arbeit wurden Zugangswege geschaffen und Steine geräumt. Ein erstes Schulgebäude entstand unter Leitung des Architekten Guillermo Schencke Aubel; an Wochenenden halfen alle Gründungsmitglieder bei der Arbeit und dem gemeinsamen Bau der Schule. Es entstanden nicht nur der erste Sportplatz und die Außenanlagen der Schule, sondern durch diese gemeinsame Arbeit auch enge persönliche Beziehungen zwischen den Familien, die bereit waren, sich tatkräftig für dieses Projekt zu engagieren.
In den darauffolgenden Jahren wuchs die Schülerzahl und damit auch die Infrastruktur der Schule. Die DS San Felipe bietet heute mit sechs Gebäuden, der Bibliothek, der Schulkantine und einer riesigen Sporthalle Platz für 420 Schüler.
«Fester Platz im Bildungsangebot der Region»
Für Schulleiterin Sabine Petermann ist der 35. Jahrestag ein willkommener Anlass innezuhalten und Resumé zu ziehen: «Die Deutsche Schule San Felipe hat heute einen festen Platz im Bildungsangebot der Region, ist bekannt für ihre internationale Ausrichtung, die individuelle Förderung von Talenten und die herausragenden sportlichen Leistungen.» Sie ist Teil von zwei großen Lern-Netzwerken, deren Ziel es ist, durch Austausch, Kooperation, Kommunikation und gegenseitige Unterstützung für eine ständige Verbesserung der Qualität zu sorgen:
zum einen die Gemeinschaft der Deutschsprachigen Schulen in Chile, in der sich die Schule gemeinsam mit anderen Deutschen Schulen Chiles dafür stark macht, die deutsche Sprache und Kultur zu vermitteln, dass sich die Schüler durch das Kennenlernen und Erfahren einer anderen Kultur weiterentwickeln und damit auch Perspektiven für die Zukunft entdecken.
Und zum anderen ist die Deutsche Schule San Felipe seit 2008 Mitglied des Netzwerks der Organización Bacchillerato Internacional (IBO). Denn diese internationale Lerngemeinschaft passe sehr gut zum Profil der Schulgemeinde, wie Sabine Petermann betont: «Sie beinhaltet das, worauf es den Gründern der Deutschen Schule San Felipe ankommt: gebildete, kritische, solidarische, kommunikative Jugendliche auszubilden, die einen Beitrag zur Entwicklung ihrer Region oder ihres Landes leisten. Und es gibt schon sehr viele wertvolle Beispiele dafür, dass die Schulbildung an der DS San Felipe in diesem Sinne prägend ist.»
Vorteil der Lage in Pandemie-Zeiten
Auch die Schule San Felipe steht in Zeiten der Pandemie vor ganz neuen Herausforderungen. Schulleiterin Sabine Petermann erläutert, wie Schulleitungsteam und Lehrer damit umgegangen sind:
«Aufgrund ihres einmaligen Standorts und ihrer Anlage ist die Schule in der Lage, für das Schuljahr 2021 allen Schülern Präsenzunterricht anzubieten. Mit einem hohen finanziellen Aufwand wurden die technischen und räumlichen Voraussetzungen geschaffen und seit März können alle Schüler endlich wieder das ersehnte gemeinsame Lernen im Präsenzunterricht wahrnehmen, und für Schüler, die weiter von zuhause aus lernen, wird der Unterricht direkt durch Live-Streaming übertragen. Falls dann doch wieder Rückschritte im Plan «Paso a Paso» und eine Pause durch die verordnete Quarantäne erzwungen werden, dann schaltet die Schule direkt auf den Onlineunterricht um. Das klappt inzwischen dank des enormen Einsatzes aller Lehrkräfte sehr gut.
Wir mussten lernen, unsere traditionellen Schulfeiern, die immer ein Fest der Begegnung der Schulgemeinschaft waren und wichtiger Teil unserer Identität sind, auf neue Art und Weise zu planen und zu gestalten. Das waren der Schülertag und die Woche des Buches, um nur einige Beispiele der letzten Wochen zu nennen. Doch mit Kreativität und dem ungebrochenen Willen, Begegnungen zu ermöglichen, kann auch das gelingen. Ein Höhepunkt der Woche des Buches waren die digitalen “Vorlesestunden im Schlafanzug” für die Kleinen und kleinsten Schüler.
Doch natürlich vermissen wir das Erntedankfest, das Oktoberfest, das Sportfest und das Laternenfest – sie sind unverzichtbarer Bestandteil unserer Schulkultur und wir hoffen inständig, dass diese großen Begegnungsfeste unserer Schulgemeinschaft bald wieder möglich sein werden.»