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Zum 75. Todestag von Gerhart Hauptmann

Von Ratten und Webern

Gerhart Hauptmann (1862-1946) porträtiert von Hugo Erfurth (1929)

Er war der bedeutendste deutsche Vertreter des Naturalismus und Nobelpreisträger für Literatur im Jahr 1912. Gerhart Hauptmann gilt neben Berthold Brecht als meistgespielter deutschsprachiger Dramatiker des 20. Jahrhunderts.

Die Suche nach der Berufung 

Geboren wurde Gerhart Hauptmann am 15. November 1862 in Obersalzbrunn, im damaligen preußischen Schlesien und heutigen Szczawno-Zdrój in Polen. Seine Vorfahren waren schlesische Weber, sein Vater ein Hotelbesitzer. Die Schulzeit war für ihn keine glückliche Zeit, da er unter der strengen preußischen Schuldisziplin litt und auch ein dauerhaftes Lungenleiden entwickelte. Er träumte von einer idealen Gesellschaft, die sich an der Natur orientierte. 

Nach der Schule begann er zunächst eine Landwirtschaftslehre, zeigte sich aber physisch und gesundheitlich ungeeignet und brach nach anderthalb Jahren die Lehre ab. Im Herbst 1880 trat er in die Bildhauerklasse der Königlichen Kunst- und Gewerbeschule in Breslau ein und beendete auch diese nach zwei Jahren ohne Abschluss. 

Seine Verlobung mit der Kaufmannstochter Marie Thienemann 1881 brachte ihm finanzielle Unabhängigkeit, und er begann, Philosophie und Literarturgeschichte an der Universität in Jena zu studieren. Nachdem er auch diese Studien abgebrochen hatte, versuchte sich Hauptmann als Bildhauer in Rom niederzulassen, scheiterte jedoch, als seine überlebensgroße Tonplastik eines germanischen Kriegers zusammenbrach. Zurück in Deutschland begann er dann ein Zeichenstudium an der Königlichen Akademie Dresden, danach ein Geschichtsstudium an der Universität Berlin, wo er aber bald sein Interesse auf das Theater verlegte und daher auch diese Studien beendete.

Am 5. Mai 1885 heiratete er dann endlich Marie. Mit ihr lebte er vier Jahre lang im ländlichen Erkner, wo seine drei Söhne Ivo, der später Maler wurde, sowie Eckart und Klaus, beide später Kaufleute, zur Welt kamen.

Ab 1889 lebten die Hauptmanns dann in Charlottenburg bei Berlin, wo Hauptmann Verbindung zum naturalistischen Literaturverein «Durch» aufnahm. Hauptmann war nun Schriftsteller und naturalistischer Dramatiker. Seine Werke wurden auf der Bühne aufgeführt. Neben den Dramen, der bedeutendste Teil seines Schaffens, hat er sich auch in der Lyrik, Versepik, Komödie und in der Prosa betätigt. 

Der Ruhm eines deutschen Schriftstellers

Seine Ehe mit Marie fand 1904 ein Ende. Bereits seit 1893 hatte er eine Beziehung zur Schauspielerin Margarete Marschalk, mit der er den Sohn Benvento hatte. Neben seiner Schriftstellerei war er jetzt auch als Theaterregisseur tätig, wobei er nicht nur eigene Werke aufführte. 

Während der beiden Weltkriege entwickelte sich Hauptmann zum nationalistischen Deutschen und Patrioten. Erst im November 1918 äußerte er sich als Befürworter der Republik. Man dachte wohl zeitweilig sogar, ihn zum Reichskanzler zu ernennen. Er verstand sich nie als ein Politiker. Während er nun in Deutschland zunehmend an Aufmerksamkeit verlor, so sah man ihn im Ausland als den Repräsentanten der deutschen Literatur schlechthin. 

Unter dem Nationalsozialismus wollte sich Hauptmann als «deutscher Künstler» staatstreu zeigen, wurde zwar «kein Parteimann» der NSDAP, setzte aber zumindest 1942 noch auf eine große Zukunft Deutschlands. Diese Sicht wandelte sich dann gegen Ende des Krieges, als er im Januar 1945 Hitler als «apokalyptischen Dämon der Zeit» betrachtete. Zum Thema des Antisemitismus hatte er sich aber nicht geäußert. Der Reichspropagandaminister Goebbels zensierte jedoch die Aufführungen einiger Werke Hauptmanns, so auch «Vor Sonnenaufgang», zugleich aber ehrte man ihn zu seinem 80. Geburtstag, und 1944 nahm ihn Hitler in die «Gottbegnadeten-Liste auf» und ließ ihn in die Sonderlisten der unersetzlichen Künstler aufnehmen. Das Kriegsende erlebte er dann in seinem Haus «Wiesenstein» in Agnetendorf in Schlesien. Schlesien kam nach dem Krieg aber unter polnische Verwaltung, so dass die Deutschen von dort vertrieben wurde. Bevor dem kranken Hauptmann auch die Ausweisung drohte, starb er am 6. Juni 1946 an einer Bronchitis. Statt, wie er es testamentarisch wünschte, in seiner schlesischen Heimat bestattet zu werden, fand er seine letzte Ruhestätte auf Hiddensee, jener Insel, die er oft bereiste.  

Menschliche Not im Zentrum

Nach der Nobelpreisverleihung 1912 schrieb die Stockholmer Presse, dass Hauptmann eine sozialistische Weltanschauung habe. Dieses nötigte ihn zu einer Klarstellung in dem Stockholmer «Sozialdemokraten»: «Ich habe niemals einer politischen Partei angehört, und werde niemals einer solchen angehören. Ein Künstler darf kein Politiker sein.»

Als man ihn zum sozialen Milieu seiner Werke befragte, erwiderte er: «Wenn eine Dichtung politische Färbung hat, dann hat sie nichts mehr mit Kunst zu tun. Ich verstehe es wohl, wenn auf ‹Die Weber› hingezielt wird. Aber dieses Drama ist nur ein menschliches Dokument und es bildet keineswegs eine Kritik der menschlichen Gesellschaft.» Ob man Hauptmann ganz eine «politische Sicht» absprechen kann, scheint bei seinen vielen dramatischen Erzählungen und Dramen, in denen die soziale und menschliche Not ins Zentrum gerückt wird, kaum zu überzeugen. Er selbst meinte ja, eine soziale Sensibilisierung, die Mitleid erzeugt, mit seinen Werken zu verfolgen. Wenn auch nicht parteipolitisch, so setzen seine Schriften durchaus deutliche sozialkritische und politische Akzente. Die naturalistische, realitätsnahe Beschreibung der sozialen Situation seiner Figuren lassen beim Leser das Gefühl aufkommen, man müsse doch etwas an solchen Situationen verändern können. Seine Werke verlassen damit den reinen künstlerischen Unterhaltungsbereich und rütteln zur politischen Verantwortung auf. 

Figuren aus dem wirklichen Leben

Hauptmanns Werke wühlen auf, sie weisen auf Themen hin, die nahezu jeder kennt oder selbst erlebt hat. Die soziale Not, Alkoholismus, die Prägung durch Erziehung, Beziehungsprobleme und der Selbstmord als letzter Ausweg sind zentraler Bestandteil vieler seiner Werke und spiegeln die Probleme der Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts und der Vorkriegszeit wider. Es sind aber zugleich Probleme, die nahezu zeitlos sind.

Hauptmann nahm seine Themen und Figuren aus persönlichen Erlebnissen und Zeitungsberichten. Die Begegnung mit dem Naturprediger Johannes Guttzeit während eines Aufenthalts in Zürich 1888 wirkte auf die Figur des Predigers in der Erzählung «Der Apostel» (1890) ein. Das wegen seiner Realitätsnähe «skandalöse» Thema des Alkoholismus verarbeitete er in seinem berühmten Drama «Vor Sonnenaufgang» (1889 in Berlin uraufgeführt), das unter dem Einfluss des Psychiaters, Hirnforschers und Alkoholgegners Auguste Forel entstand.

In «Die Weber» (1892) greift er ein «Familiengeschichtsthema» auf, da seine Vorfahren schlesische Weber waren und erinnert zugleich an den Aufstand von 1844. Dabei wird am Ende ausgerechnet der fromme alte Webermeister Hilse, der sich nicht gegen die alte Ordnung ausspricht, Opfer einer verirrten Patrone. Gegen diese Theateraufführung hatte sich Kaiser Wilhelm II. gewandt, da er sie zum Aufruf des Widerstandes gegen die Staatsmacht und als eine Anspielung auf die Revolution von 1848 betrachtete. Erst 1894 wurde das Aufführungsverbot aufgehoben und es erfolgte in Berlin die erste öffentliche Aufführung des Stücks.

In der kurzen Erzählung «Bahnwärter Thiel» (1887) greift Hauptmann einen realen Unfall auf der Bahnstrecke von Erkner auf, wo er zeitweilig lebte. Handelt man nicht rechtzeitig auf die Symptome der Not, dann führt sie zu einem tragischen Ende, das scheint die Lehre zu sein, die man aus vielen der Werke Gerhart Hauptmanns ziehen könnte. In diesem Sinne führen sie zu einer wahren sozialen  Sensibilisierung.

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