Ein Lob des guten Benehmens
Tischsitten, Manieren und Benimmregeln: Wer von Knigge spricht, meint Handreichungen und Tipps zum höflichen Benehmen. Doch der alte Freiherr Knigge, der vor 225 Jahren starb, hatte etwas völlig anderes im Sinn.
Bremen/Hannover (dpa) Wer war Knigge? Adolph Franz Friedrich Ludwig Freiherr Knigge stammte aus einer adligen, aber verarmten Familie. Er wuchs in Bredenbeck am Deister auf, wo er standesgemäß erzogen wurde. Knigge studierte Jura in Göttingen und war unter anderem bei Hofe in Kassel und als Kammerherr in Weimar angestellt. Allerdings verabscheute er das Leben als Höfling und ging später als Schriftsteller nach Frankfurt und Heidelberg.
Er übersetzte Schriften des französischen Aufklärers Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) und verfasste zahlreiche Werke zu Geschichte, Politik und Gesellschaft, auch war er in der Theaterszene engagiert. Knigge starb am 6. Mai 1796 in Bremen – sein Grab befindet sich im Bremer Dom. Sein wohl bekanntestes Werk «Über den Umgang mit Menschen» gilt heute als «der Knigge» – fast so wie «der Duden». Dabei verkündet auch Knigges Nachkomme Moritz Freiherr Knigge einst, er halte nichts von Regelwerken: «Was einen höflichen Menschen ausmacht, ist, dass er es versteht, sich angemessen zu verhalten.»
In der Corona-Pandemie haben sich zum Beispiel ganz neue Umgangsformen entwickelt: Abstand halten, Maske tragen, weniger Gedränge, man weicht sich aus – aus Angst vor dem Virus und vor Strafen. Aber was hätte bloß Knigge dazu gesagt, was ist aus Benehmen und Etikette geworden? Selbst das Händeschütteln hat es in sich – in der Pandemie erst recht.
Irrtümlich gilt Knigge als Verkünder feiner Tischmanieren. Doch das war nicht das Anliegen des 1752 geborenen Schriftstellers und Humanisten. Zwar schrieb er 1788 das Buch «Über den Umgang mit Menschen» und legte damit den Grundstein für die Regeln der Etikette. Aber erst andere Autoren ergänzten das damals schon populäre Buch um die Benimmregeln.
Die stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Knigge-Gesellschaft, Linda Kaiser, macht klar: Sein Hauptanliegen seien Wertschätzung und Toleranz. «Deshalb ist Knigge heute noch sehr aktuell.» Damals, ein Jahr vor der Französischen Revolution, sei die Welt im Wandel gewesen, das Bürgertum habe Handreichungen gesucht, um wettbewerbsfähig mit dem Adel zu werden. Allerdings: Knigge wäre wohl verblüfft über das, was aus seinen Betrachtungen geworden ist.
Denn Knigge hat das Sozialverhalten der Menschen unter die Lupe genommen und Schlüsse gezogen. Er rät: «Beurteile die Menschen nicht nach dem, was sie reden, sondern nach dem, was sie tun.» Ein anderer guter Rat, nicht zuletzt angesichts von Hass und Hetze in sozialen Medien: ««Enthülle nicht die Schwächen Deiner Nebenmenschen.» Aus solchen Einsichten seien Regeln abgeleitet worden – kleine Handreichungen wie das Aufhalten der Tür oder andere Menschen anzusehen, wenn man mit ihnen spricht, sagt Kaiser. Heute werde hinterfragt, ob Zuvorkommenheit gegenüber selbstbewussten Frauen noch angebracht sei. Für Kaiser bleibt es eine «schöne Geste», anderen Gutes zu tun.