«Das Narrenschiff» – ein Sittengemälde und Bestseller
Sebastian Brant gilt als der erste deutsche Dichter. Mit «Das Narrenschiff», einer 1494 veröffentlichten Moralsatire, begründete er seinen Ruhm als Autor des deutschen Humanismus.
Geboren wurde Sebastian Brant 1458 in Straßburg als Sohn eines angesehenen Gastwirts und langjährigen Ratsherrn der Stadt. 1475 begann er sein Studium an der philosophischen Fakultät der Universität Basel, wo er stark von seinem Meister, dem Theologen Johannes Heynlein vom Stein, geprägt wurde. Dieser war der kirchlich-politischen Reformbewegung der Zeit sehr aufgeschlossen und ein gemäßigter Gegner der Scholastik, zudem ein Förderer der humanistischen Studien und als sittenkritischer Prediger geschätzt.
1477 erlangte Sebastian Brant, der sich, wie viele Humanisten, den lateinischen Namen Titio zulegte, den Grad eines Baccalaureus Artium und verfolgte fortan das Studium der Rechtswissenschaften. 1489 promovierte er und lehrte bis 1499 an der Universität Basel. Während dieser Lehrzeit publizierte er Quellensammlungen, Erklärungen zum römischen und kanonischen Recht, war aber zugleich auch schriftstellerisch auf religiösem, politischem und moralischem Gebiet tätig. Er vertrat dabei eine konservative Sicht, die auf die Bewahrung der alten Ordnung bedacht war und das Ziel verfolgte, diese Geisteshaltung populär zu machen.
Am Wendepunkt des Mittelalters zur Renaissance
Auch der Dichtung widmete er sich. In seinen frühen religiösen Gedichten in lateinischer Sprache, der «Carmina in laudem beatae Mariae», zeigt sich wiederum seine konservative kirchliche Haltung. Als politischer Dichter begann er ab 1486 den Weg des Kaisers Maximilian I. mit lateinischen Versen zu begleiten. Sie behandeln die mittelalterliche Reichsidee, den Kreuzzug gegen die Türken und die Vertreibung der Franzosen aus Italien.
Sebastian Brant bediente sich der illustrierten Flugblätter, in denen er dem lateinischen Gedicht deutsche Verse gegenüberstellt. Andere, ganz in deutschen Spruchversen geschriebene Dichtungen versieht er mit Holzschnitten, die in volkstümlicher Form Naturereignisse darstellen und zur Umkehr auffordern. Er überträgt weitere ältere Werke ins Deutsche. 1498 veröffentlicht er eine Sammlung von Sittensprüchen, die Cato zugeschrieben wurden.
Die deutsche «Divina Commedia»
Anstands- und Sittenregeln sind auch Thema seines Hauptwerks, «Das Narrenschiff», das 1494 in Basel erstmals erschienen ist und sofort zu einem Erfolg wurde, sodass noch im selben Jahr Nachdrucke in Nürnberg, Reutlingen und Augsburg erfolgten. «Das Narrenschiff» erlebte nun zahlreiche rechtmäßige und unrechtmäßige Drucke in Oberdeutschland. Allein zwischen 1494 und 1509 erfolgten in Basel nicht weniger als fünf Originalausgaben. Das Werk wurde zu einem Bucherfolg, als auch in Lyon sowie in Paris 1498 neue Ausgaben erschienen und Übersetzungen ins Französische, Englische und Niederländische folgten. Sebastian Brant hatte damit eine eigene Literaturgattung geschaffen: die Narrenliteratur, die dann bis weit ins 17. Jahrhundert nachwirkte.
Als «Divina Satyra» wurde es sogar als ebenbürtig mit der «Divina Commedia» Dantes betrachtet. Der Erfolg des Werkes lag in der Kombination von Holzschnitten – im Flugblätterformat, von denen einige von Albrecht Dürer stammen dürften – und den Dichtungen Brants. Bild und Text, mittelalterliche Sittenlehre und humanistische Bezüge zum Thema Vernunft machen «Das Narrenschiff» zu einem Spiegel der Gesellschaft des 15. Jahrhunderts. Alle konnten sich in den verschiedenen Lastern und Berufen wiederfinden. Die Bilder von den Narren – aus der Fastnacht und wohlbekannte volkstümliche Gestalten – wurden den Lesern als Spiegelbild vorgehalten.
Brant stand als anonymer Korrektor und Herausgeber in einer engen Beziehung zur jungen Buchdruckerkunst und wurde dadurch zu einer Schlüsselfigur des Basler Buchhandels. Vor allem seine Freundschaft zum humanistisch gebildeten Verleger Johann Bergmann von Olpe förderte die Verbreitung seines Werkes. Hierbei war Brant einer der ersten, der den Buchdruck und die Verwendung von Holzschnitten für die Dichtung populär machte.
Rechtsberater des Kaisers
Brant gab 1499, während der Schweizer Wirren, als Basel den Beitritt zur Eidgenossenschaft beschloss, seinen Lehrstuhl in Basel auf, da er kaisertreu war und den faktischen Austritt Basels aus dem deutschen Reichsverband nicht befürwortete. Daher siedelte er in seine Vaterstadt Straßburg um, wo er ab August 1500 zunächst als Rechtskonsulent tätig wurde. Von 1503 an übernahm er das Amt des Stadtschreibers oder, wie er sich selbst gern bezeichnete, des «Erzkanzlers». Er war mittlerweile ein bekannter Gelehrter und Schriftsteller und so kam es, dass Kaiser Maximilian ihn zum kaiserlichen Rat und Beisitzer des Hofgerichts in Speyer ernannte. Brant führte mehrfach Gesandtschaften seiner Vaterstadt an und konnte beim Kaiser eine Befreiung von Steuerlasten für Straßburg erwirken. Er stand auch mit zahlreichen Humanisten in reger Korrespondenz.
Nach dem Tod Maximilians I. leitete er 1520 die Abordnung seiner Stadt zur Huldigung des neuen Kaisers Karl V., von dem er Privilegien für Straßburg erwirkte. Ein Jahr später, am 10. Mai 1521, stirbt er. Er erlebte zwar noch die ersten Wirren der Reformation, ahnte jedoch nichts von ihrer künftigen Tragweite.
Narren in närrischen Zeiten
Sebastian Brant lädt seine Leser ein, sich selbst als Narren zu erkennen, um sich von einer vernunftlosen Lebensweise zu befreien und Lehren daraus zu ziehen. Er beschreibt meist tragische biblische und geschichtliche Schicksale, die aus einem närrischen Verhalten resultieren.
Es geht ihm darum, die Menschen zur Besinnung zu bringen, indem sie ihre Fehler wahrnehmen und daran wachsen, statt mit allen Narren auf dem «Weltenschiff» in die Hölle zu fahren. Brant bleibt bei seinen Beispielen einerseits dem Mittelalter verhaftet, verweist aber mit seinen Bezügen auf die Vernunft zugleich auf die Moderne, auf das Anbrechen der Renaissance.
«Das Narrenschiff» hat nichts an Aktualität verloren. Wir befinden uns in einer «närrischen» Zeit des Wandels und viele wissen nicht, woran sie sich orientieren sollen. Sebastian Brant empfiehlt Lernbereitschaft, um nicht als Narr zu enden: «Ein Narr ist, wer viel Gutes hört und doch nicht seine Weisheit mehrt».
Leseempfehlung: Sebastian Brant, Das Narrenschiff, Studienausgabe, herausgegeben von Joachim Knape, Stuttgart: Reclam 2005.