Pastor Siegfried Sander in Las Cascadas
Der seit einem Jahr pensionierte Pastor Sander betreibt am Llanquihue-See eine Hundezucht und widmet sich seinem Garten. Daneben ist die Lektüre für ihn eine wichtige innere Kraftquelle.
Ich denke, jeder Mensch hat seine persönliche Mystik. Bedingt durch seine Veranlagungen, seine Biografie und seine Umwelt. Daraus schöpft er seine Lebenskraft. Diese Quelle muss er in seinem Seelengrund erkennen, offenlegen und pflegen. Die einen tun das mehr intuitiv, die anderen mehr bewusst. Diese zentralen Kraftquellen können Musik, Sport, Begegnungen und Beziehungen mit anderen Menschen oder schöpferische Arbeit sein.
Meine persönliche Mystik nährt sich – neben anderem – aus zwei Hauptquellen: der Natur und der Lektüre. Täglich nähre ich meinen Geist und meine Seele mit Lektüre. Mit Worten der Bibel als Grundnahrungsmittel – Vollkornbrot sozusagen. Aber auch sonst alles Mögliche – als Aufstriche und Zugaben. Da war ich schon immer ein «Allesfresser». Und bin dankbar, dass ich viel Zeit hatte zum Lesen.
Nun in der Sommerzeit reduziert sich das auf Folgendes:
Morgens lese ich täglich einen Psalm, in mehreren Versionen. Mit vielen anderen Menschen zu allen Zeiten mache ich die Erfahrung, dass im Psalter Höhen und Tiefen der menschlichen Seele vor Gott ihren Ausdruck finden. Von der tiefsten Verzweiflung bis zum Loben und Danken in höchsten Tönen. Dann lese ich noch einen Tagesabschnitt aus dem anregenden Andachtsbuch von Pastor Niels Koerner, den ich als liberal-gebildeten, weltoffenen, kritischen und doch frommen Menschen in dankbarer Erinnerung halte. (Anmerkung der Redaktion: Niels Koerner war von 1963 bis 1972 Pastor in Valdivia und starb 2019.)
Ansonsten, meist abends, lese ich dann irgendein Buch, das mich aus meiner Bibliothek anspricht oder von Freunden empfohlen wurde. Es ging mir beim Lesen schon immer nicht so sehr um Kenntnis- und Wissensanhäufung, sondern um das Eintauchen in andere Sphären, intellektuelle, emotionale und geistige Welten. Schwingungen – traurige und freudige, theologische, philosophische, psychologische, poetische, romantisch-träumerische. Allesamt Ausdrücke und Inspirationen der letzten, tiefen und unauslotbaren Dimension der bunten Gotteswirklichkeit, des Wehen Seines Geistes.
So also füllen sich meine Tage. Mit innerer und äußerer, geistiger und körperlicher Bewegung. So erlebe ich die göttliche Gegenwart mit Angeln, den Hunden, im Garten und beim Lesen und Nachsinnen. In hellen und dunklen Zeiten.