Deutscher Pass – chilenisches Herz
Seit zehn Jahren arbeitet Iris Wunderlich an der wirtschaftlichen Förderung und Entwicklung von Unternehmen im Bereich Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit und ist Teil des Botschafterinnen-Netzwerks «Women in Energy». In Deutschland geboren und aufgewachsen, lebt sie seit 2015 mit ihrem chilenischen Mann Jaime und der zweijährigen Tochter Julieta in Santiago. Ein Spanischlehrer am Gymnasium in Göttingen und ein junger Mann in einem Internetcafé in Punta Arenas waren ausschlaggebend für Iris bewegtes Leben.
Nach dem Abitur wollte Iris für ein paar Monate im Ausland arbeiten. Ein soziales Projekt in Neuseeland schwebte ihr vor, aber es kam anders: Der Spanischlehrer an ihrer Schule in Göppingen kam mit der Aufgabe in die Klasse, einen Reisebericht über Chile zu übersetzen. Und der klang so interessant und spannend, dass sie ihre Meinung änderte. Über eine englische Organisation fand sie die Gelegenheit, an einer staatlichen Schule Englischunterricht zu geben: in Punta Arenas. «Den Ort habe ich erst nach längerem Suchen ganz, ganz unten auf der Chile-Karte gefunden», erinnert sie sich lachend. «Das Projekt war eine unglaubliche Erfahrung. Wir haben dann sogar während der Sommermonate eine kostenlose Englisch-Summerschool aufgebaut, die viel Anklang fand».
Und noch etwas passierte im Süden der Welt, das entscheidend für Iris weiteres Leben werden sollte: «Meine Gastfamilie hatte keinen Internetanschluss, also arbeitete ich von einem Internetcafé aus. Hier lernte ich Jaime kennen…» Heute hat die 37-jährige eine kleine Tochter, Julieta Gómez Wunderlich. Und die Familie lebt seit 2015 in Santiago.
Zunächst ging es aber erst einmal zurück nach Deutschland. Und wie es der Zufall so wollte, hatte Jaime schon vorher eine Europareise gebucht, um eigentlich einen Freund in Spanien zu besuchen. Er kam aber nur bis Deutschland. Und zu Iris. «Wir haben schon nach wenigen Monaten geheiratet. Ich war gerade 20, mein Mann 25 Jahre alt. Zum Glück haben meine Eltern uns von Anfang an unterstützt, sonst hätten wir die kommenden Jahre sicher nicht so gut gemeistert.» Iris studierte Wirtschaftswissenschaften und Hispanistik mit den Schwerpunkten Internationales Marketing und nachhaltige Unternehmensführung an der Universität Kassel und machte ihr Diplom in Internationalem Management. Jaime lernte Deutsch und jobbte nebenher. Dann studierte er Wirtschaftsingenieurwesen mit Spezialisierung in Erneuerbaren Energien.
Nach elf Jahren in Deutschland las Iris eine Ausschreibung der Auslandshandelskammer Chile (AHK) – gesucht wurde ein Manager für das Projekt Smart Energy Concepts Chile, das die CO2-Emissionen des Agrar- und Lebensmittelsektors durch Energieeffizienz und erneuerbare Energien reduzieren soll. Sie bewarb sich für die von der Internationalen Klimaschutzinitiative des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit geförderte Initiative und begann im Juli 2015 ihre Tätigkeit bei der Kammer in Santiago. «Mit dem Projekt wird sowohl die Fähigkeit der Unternehmen gefördert, eigenständig Energieeffizienzmaßnahmen umzusetzen, als auch Erneuerbare Energien in ihre Produktionsprozesse zu integrieren», erklärt sie.
Seit Januar 2021 hat sie eine neue Führungsposition als Projektleiterin Bergbau & Nachhaltigkeit bei der AHK inne. «Anfang 2020 hatte ich die Verantwortung für das von der Europäischen Kommission finanzierte Projekt Resourcing und auch eine aktivere Rolle im Netzwerk Eco Mining Concepts übernommen. In beiden Fällen handelt es sich darum, den Bergbausektor mit Energie- und Nachhaltigkeitsthemen zu verknüpfen, was in den Bereich meiner Expertise fällt. Ich konnte mich in dieser Zeit also bereits mit den Aktivitäten der Kammer im Bergbausektor vertraut machen, was die Übertragung dieser neuen Verantwortung jetzt natürlich erleichtert.»
Jedes Jahr kommen Iris Eltern für einige Wochen nach Chile zu Besuch. Die kleine Julieta genießt die Zeit mit Oma und Opa, und da sie zuhause zweisprachig aufwächst (im Kindergarten wird außerdem Englisch gesprochen), gibt es keine Verständigungsschwierigkeiten. «Im Moment ist Chile unser Lebensmittelpunkt», so die junge Frau, die ihre Entscheidung nie bereut hat. «Aber wer weiß – vielleicht kommt in Zukunft doch nochmal ein größerer Umzug. Das lassen wir einfach auf uns zukommen.» Abschließend und etwas nachdenklich gesteht sie: «Ich bin Deutsche und habe einen deutschen Pass. Aber irgendwie schlägt mein Herz in Chile.»