Von der «schlechtesten Partie» zur verehrten Wohltäterin
Dem kaiserlichen Hof erschien sie nicht standesgemäß. Doch der Kronprinz liebte sie und setzte seinen Willen durch. Als Ehefrau des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. gewann Auguste Viktoria an Statur und genoss hohes Ansehen. Bis heute tragen Stiftungen, Schulen und Krankenhäuser in Deutschland ihren Namen.
Von Geburt war Auguste Viktoria Prinzessin, doch der Name ihrer Familie trug einen Makel. Das Haus Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg hatte im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 und im Österreich-Deutschen Krieg 1866 die herzoglichen Rechte in Schleswig-Holstein verloren. Dieser Machtverlust wurde für die Prinzessin zum Problem, als der preußische Thronfolger Wilhelm und spätere Kaiser Wilhelm II. die 19-Jährige kennenlernte und sich sogleich in sie verliebte.
Sein Großvater Wilhelm I. lehnte die Verbindung ab, er erhoffte sich eine bessere Partie für seinen Enkel. Doch der Prinz blieb hartnäckig, und nach eineinhalb Jahren stimmte der Kaiser der Verbindung schließlich doch zu. Am 14. Februar 1880 konnte Prinz Wilhelm im privaten Kreis seine Verlobung mit Auguste Viktoria bekanntgeben. In einem Brief an seine Mutter nannte er die Prinzessin seinen «Engel».
Die offizielle Verlobung fand allerdings erst Monate später statt. Die Potsdamer Hofgesellschaft fand keine Sympathie für die Verbindung, die sie als «schlechteste Partie» für den Prinzen erachtete. Auguste Viktoria war zurückhaltend und verlegen, im Gespräch fehlte es ihr an Leichtigkeit. Überdies hatte sie ein schlechtes Personengedächtnis. Dies qualifizierte sie nicht sonderlich als künftige Königin von Preußen und deutsche Kaiserin. Doch innerhalb der kaiserlichen Familie wandelte sich das Bild über Auguste Viktoria zunehmend ins Positive. Am 27. Februar 1881 fand in Berlin die Hochzeit statt. Sieben Jahre darauf war sie Kaiserin. Ihre Ehe entwickelte sich zu einem Vorbild in Deutschland; aus ihr gingen insgesamt sieben Kinder hervor.
Im Schatten ihrer Vorgängerinnen
Auguste Viktoria blieb bescheiden, sie hielt sich nicht für «interessant» und strebte nicht danach, sich mit ihren Vorgängerinnen Kaiserin Augusta und Kaiserin Viktoria zu vergleichen. In den ersten Jahren am Hof stand sie wenig im Rampenlicht und blieb weitgehend unbemerkt. Sie schien wenig an Politik interessiert zu sein, was für viele auch wünschenswert und normal erschien. Zumindest wertete man ihre «Stille» positiver ein als das «Unheil», das Augusta und Viktoria gestiftet hatten.
Andererseits wollte sie nicht nur eine treuliebende Gattin sein, sondern entwickelte sich zu einer hilfreichen Gefährtin Wilhelms II. Und ihr Wirken war durchaus politisch. Durch ihre lutherisch religiöse Prägung in der Kindheit förderte sie den Bau von Kirchen und pflegte einen freundschaftlichen Kontakt mit dem lutherischen Theologen Adolf von Harnack. Über die Tagesereignisse informierte sie sich durch Zeitungen verschiedenster Couleur. So bildete sie sich ein politisches Urteil, das sie auch dem Kaiser mitteilte. In der «Daily Telegraph Krise» 1906 um ungeschickte und anmaßende Äußerungen Wilhelms II. in der britischen Presse geriet auch dessen Reichkanzler von Bülow in die Kritik. Er hätte in der Verantwortung gestanden, die heiklen Passagen zu erkennen. Auguste Viktoria setzte dann durch, dass der Kaiser sich mit seinem Kanzler versöhnte. Öffentlich kritisierte sie ihren Gatten aber nie, sondern versuchte ihn zu unterstützen. Kritik übte sie dagegen an bestimmten Personen aus dem Umkreis Wilhelms II. Vor allem während der Kriegsjahre 1914 bis 1918 durchriss sie so manche Fäden, die andere um den Kaiser gesponnen hatten.
«Gute Dame», Fürsorgerin und Wohltäterin
Wer die Kaiserin kannte, legte Wert auf ihr Urteil. Besonders während des Ersten Weltkrieges trat sie in der Fürsorge und als karitative Wohltäterin hervor. Dabei absolvierte sie täglich ein hohes Arbeitspensum, obwohl sie zunehmend kränkelte. Bei Lazarettbesuchen legte sie ihre Befangenheit ab und verstand es, den rechten Ton zu treffen. Die Verwundeten waren von der Kaiserin beeindruckt und schätzten sie als «gute Dame», die es verstand «gemütlich» mit ihnen umzugehen. Einige der Verwundeten wurden ins Schloss Bellevue eingeladen, wo die Kaiserin sie dann selbst verband. Einer der Männer berichtete später: «Da gingen ich und sie zusammen an ‘n großen Esstisch und ich kriegte drei Tassen Kaffee, und sie schnitt mir immer wieder Napfkuchen ab. Wissen Sie, Schwester, das ist ne wirklich nette Dame».
Ihre Schwiegertöchter zeigten dieses Engagement nicht, was zu Unstimmigkeiten innerhalb der kaiserlichen Familie führte. Auguste Viktoria selbst erfüllte ihre Aufgaben pflichtbewusst, diszipliniert und sanftmütig. Zugleich zeichnete sie sich als Hüterin der gesellschaftlichen Moral aus. Auch die Frauenbewegung fand ihre Unterstützung, und sie setzte sich für eine bessere Bildung von Mädchen und jungen Frauen ein.
Konflikte unter der Oberfläche
Doch hinter dem öffentlichen Bild der Kaiserin gab es noch eine andere Ebene. Auguste Viktorias Hofdamen dienten ihr zwar bis zuletzt, aber das Verhältnis war auch von jahrelangen Konflikten geprägt. Ans Licht kam dies, als man vor drei Jahren in einem Geheimschrank im Neuen Palais in Potsdam Auguste Viktorias persönliche Korrespondenz entdeckte. Zum 100. Todesjahr der Kaiserin sollen die Briefe jetzt veröffentlicht werden.
Auch das Verhältnis zwischen Auguste Viktoria und ihren Kindern war nicht immer so harmonisch, wie es dem Idealbild entsprach. Als Erwachsene ließen die Kinder nicht selten den Respekt gegenüber ihrer Mutter vermissen. Neue Einblicke verschafften hier die Tagebücher der Oberhofmeisterin Gabriele von Alvensleben, die heute der Forschung zugänglich sind.
Exil und früher Tod
Der 9. November 1918 war einer der dramatischsten Tage im Leben Auguste Viktorias. Nach dem verlorenen Krieg hatte man in Berlin die Republik ausgerufen. In einem Gespräch mit dem Erzieher ihrer Enkel erfuhr Auguste Viktoria beiläufig, dass der Kaiser abgedankt hatte. Den beim Volksaufstand in Berlin ins Schloss eindringenden Matrosen und Soldaten trat sie gefasst entgegen.
Schließlich musste das entthronte Kaiserpaar die Reise ins Exil nach Amerongen in den Niederlanden antreten. Am Bahnhof fanden sich zum Abschied einige nähere Bekannte der Kaiserin ein. Mit Bewunderung sprachen sie von deren «vollendeter Haltung», der Güte ihrer Worte und ihrem Lächeln bei dieser letzten Begegnung.
1920 zog das Paar ins Haus Doorn in der Provinz Utrecht. Der Selbstmord ihres jüngsten Sohns Joachim beschleunigte Auguste Viktorias körperliche Leiden. Vor ihrem Tod soll sie noch gesagt haben: «Ich darf nicht sterben, ich kann doch den Kaiser nicht allein lassen.» Am 11. April 1921 starb sie, mit nur 62 Jahren. Als ihr Tod in Deutschland bekannt wurde, reagierten viele sehr betroffen. Zur Überführung ihres Leichnams nach Potsdam kamen mehr als 200.000 Menschen. .
Leseempfehlung einer biographischen Neuerscheinung: Jörg Kirchstein, Auguste Victoria: Porträt einer Kaiserin, Bebra Verlag, Berlin 2021