Vom Kuchen bis zum Sauerkraut
Wenn am 15. April der «Tag der chilenischen Küche» begangen wird, sollte man auch einmal an die vielen deutschen Produkte und Rezepte erinnern, die inzwischen in der chilenischen Küchenkultur einen festen Platz haben. Dazu lädt das erste und bisher einzige deutschsprachige Chile-Kochbuch «Die chilenische Küche» ein.
Mit einer Breite von durchschnittlich 180 Kilometern – die Entfernung zwischen Rom und Neapel – und einer Nord-Süd-Ausdehnung von 4.300 Kilometern – der Abstand zwischen Moskau und Lissabon – repräsentiert Chile zwischen Pazifikküste und Andenkordillere alle Klimazonen unseres Planten (mit Ausnahme des tropischen Regenwaldes). Entsprechend vielfältig sind Landschaft und Vegetation, Nahrungsmittel und kulinarische Ausdrucksformen. Kulturell vermischen sich hier unter anderem vorkolumbianische, lateinamerikanische sowie europäische Einflüsse, und genau das verleiht der chilenischen Küche ihr unverwechselbares Flair.
Im ersten und bisher einzigen deutschsprachigem Chile-Kochbuch «Die chilenische Küche», erschienen 2006 im Umschau-Verlag, «…lassen die Autorinnen Karla Berndt und Birgit Heitfeld ein differenziertes Bild von Land und Leuten entstehen. Zahlreiche kleine Geschichten über regionale und kulinarische Besonderheiten machen neugierig, mehr über Chile zu erfahren und einige Köstlichkeiten in der heimischen Küche auszuprobieren. Dazu laden die spannenden Rezepte mit ihrer exotischen und doch häufig sehr vertrauten Geschmackswelt ein», heißt es bei Amazon– wie beispielsweise das Kaninchen in Biersoße.
Spuren der deutschen Einwanderer: Wurst und Bier
Etwa 500.000 Chilenen stammen heute von Deutschen der verschiedenen Einwanderungswellen ab (1848, 1883, 1933 und nach 1945). Die Ansiedlung der ersten deutschen Kolonisten erfolgte hauptsächlich um Valdivia, zwischen Osorno und La Unión sowie um den Llanquihue-See, wo sie die Städte Puerto Montt (1852), Puerto Varas (1854) und Frutillar (1856) gründeten. Die deutschen Einwanderer, deren Erbe bis heute ein hohes Ansehen in Chile genießt, brachten handwerkliches und auch kulinarisches Wissen aus Europa mit, das auch in der chilenischen Gastronomie Spuren hinterlassen hat.
So machten Deutsche ab dem 19. Jahrhundert die Verwendung von Schweinefleisch und Wurstwaren populär. Im August 1852 war die Familie Mödinger mit dem Schiff im Hafen von Corral gelandet. 1914 zogen Lorenzo und Teresa Mödinger nach Llanquihue und gründeten im gleichen Jahr eine Metzgerei. Ihr Sohn Ewaldo wurde am 1. September 1919 geboren. Bereits mit 15 Jahren übernahm er nach dem plötzlichen Tod seines Vaters die Metzgerei der Familie in Llanquihue. Als Ewaldo Mödinger mit seiner Braut Berta Hoebel während der Hochzeitsreise in Santiago war, kaufte der Geschäftsmann statt Utensilien für den neuen Haushalt eine Maschine zum Durchdrehen von Fleisch, eines der ersten Geräte für die Wurstproduktion. Alle Gebäude des Geschäfts und auch das Wohnhaus der Familie brannten 1943 vollständig nieder. Einen weiteren Neubeginn des Familienbetriebs gab es nach dem schweren Erdbeben 1960. Die Familie nannte ihr bis heute erfolgreiches Unternehmen Cecinas Llanquihue nach dem Ort, der sie als deutsche Einwanderer aufgenommen hatte.
Äußerst beliebt ist auch deutsches Bier. 1851 gründete Carl Anwandter in Valdivia die erste Brauerei Chiles, die 1960 ebenfalls vom Erdbeben zerstört wurde. 30 Jahre später entstand hier die Cervecería Kunstmann, die mittlerweile 16 Biersorten nach deutschem Reinheitsgebot braut, mehrere Zweigbetriebe unterhält und inzwischen von Cristóbal Kunstmann, Sohn des Gründers Armin, geleitet wird. Ebenfalls ein erfolgreicher Familienbetrieb, geführt von Nachkommen deutscher Immigranten.
Deutsche «Kuchen» in aller Munde
Im Jahr 2007 bereiste der namhafte Chefkoch Carlo von Mühlenbrock die Gegend um den Llanquihue-See, besuchte Nachfahren deutscher Einwanderer und veröffentlichte das Buch «Manos del Sur» («Hände des Südens») mit 80 überlieferten Rezepten – ein Vermächtnis von historischem und patrimonialem Wert. Dabei reicht die Palette von Kartoffelklößen, Sülze und Leberknödeln bis zu Schwarzbrot, Apfelstrudel, Quark- und Streuselkuchen. «Kuchen» ist heute ein geläufiges Wort im chilenischen Spanisch, ebenso wie «Berlines», Berliner mit Marmeladenfüllung – deutliche Beispiele für den Einfluß deutscher Alltagskultur und Sprache.
Das erinnert mich an die erste Reise mit meinen Töchtern und meiner Mutter nach Frutillar. Mama sprach nur wenige Worte Spanisch und war überrascht und begeistert, dass man sich hier überall auf Deutsch unterhalten konnte. In den kleinen Cafés und Restaurants war das Angebot in ihrer Muttersprache aufgelistet: Himbeerkuchen, Mus aus Gravensteiner Äpfeln, Kaiserschnitzel und Kasseler. Ein weiterer Höhepunkt war der Besuch des Museo Colonial Alemán, das den Alltag der Deutschen im 19. Jahrhundert abbildet. Hier gab es beispielsweie einen Sauerkirsch-Entkerner zu bewundern – den wir selbst noch in Benutzung hatten, was meine Tochter zu dem Ausspruch verleitete «komisch, dass unsere Küchengeräte hier im Museum ausgestellt sind»…
Als ich im Jahr 1987 nach Santiago kam, gab es auf dem Markt fast keine deutschen Lebensmittel und dunkles Brot nur bei der Bäckerei Fuchs. Heute ist das ganz anders: Vollkorn- und Knäckebrot, Tortenguß, Vanillezucker, Senf, Sauerkraut, Rotkohl, Meerrettich und Gewürzgurken – vor allem in den Supermärkten Jumbo und Santa Isabel des deutschstämmigen Gründers Horst Paulmann stehen Produkte «made in Germany» in den Regalen. Und damit ist es heute auch leichter, etwas Typisches aus der «alten Heimat» zu kochen und chilenische Gäste damit zu begeistern – auch am «Tag der chilenischen Küche», die ihren deutschen Einfluss nicht verleugnen kann!